Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Teure Wahlgeschenke

Junge Politiker hören eher auf ihre Wähler als ältere. Das hat nicht nur Vorteile.

 

Erinnern Sie sich noch an einen Politiker, der es sich für seine Überzeugung mit den Wählern richtig verscherzt hat? Gerhard Schröder zum Beispiel, der über die Einführung von Hartz IV seine Kanzlerschaft verloren hat? Helmut Kohl, weil er den Euro gegen Widerstand eingeführt hat? Und wie viele junge Politiker kennen Sie, die das tun? Keinen?

Vielleicht liegt das nicht nur daran, dass junge Politiker weniger bekannt sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass junge Politiker mehr zu verlieren haben, wenn sie sich bei den Wählern richtig unbeliebt machen. Schröder verlor ein paar Jahre Kanzlerschaft. Ein junger Abgeordneter verliert dagegen potentiell eine ganze politische Karriere. Also müssten junge Politiker den Wählerwillen ernster nehmen – theoretisch. Aber ist das auch tatsächlich so?

Mit ein paar Anekdoten sollte sich niemand zufriedengeben. Aber einen systematischen Zusammenhang zwischen dem Alter von Politikern und ihrer Wähler-Nähe zu suchen, das ist schwierig. Am besten zählt man systematisch nach, wie sich die Politiker verhalten. Aber wie kann man überhaupt auszählen, ob Politiker nach ihrer eigenen Überzeugung handeln oder nach dem Willen der Wähler? Welche Wähler überhaupt – die Wähler der eigenen Partei oder die von anderen Parteien, die man von sich überzeugen will? Und wie stellt man fest, was der Wille dieser Wähler ist? Gar nicht so leicht.

Die Wähler haben ein kurzes Gedächtnis

Doch an der amerikanischen Eliteuniversität Harvard hatten ein paar Ökonomen eine gute Idee. Dort arbeitet Alberto Alesina, der immer wieder damit auffällt, dass er komplizierte Fragen zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik so ordnet, dass sie eine sinnvolle Antwort bekommen. Alesina und zwei jüngere Forscher, die heute an der University of Michigan arbeiten, dachten an Wahlgeschenke. Kurz vor der Wahl gibt ein Politiker noch mal Geld aus. Er führt ein neues Betreuungsgeld ein oder lässt ein paar Straßen reparieren. Schon haben die Bürger bessere Laune und wählen ihn eher wieder – so hoffen jedenfalls manche Politiker. Sie verlassen sich darauf, dass die Wähler ein kurzes Gedächtnis haben und sich nur noch an die aktuellen Verbesserungen erinnern, nicht aber an die Jahre vorher.

Das ist eine ziemlich plumpe Maßnahme, um sich den Wählern anzubiedern. Aber es gibt Hinweise darauf, dass das tatsächlich funktionieren könnte. Ökonomen nennen das den „politischen Konjunkturzyklus“, weil dieses Verhalten im Extremfall sogar Auswirkungen auf die Konjunktur einer Region oder eines ganzen Landes haben kann. Wenn jüngere Politiker eher dazu geneigt sind, sich ihren Wählern anzubiedern, müssten sie solche Wahlgeschenke häufiger nutzen als ältere.

Tun sie das tatsächlich? Dazu besorgten sich Alesina und sein Team (Ugo Troiano und Traviss Cassidy) Daten aus 17 Jahren aus mehr als 1000 italienischen Städten und Gemeinden. Wie alt waren dort jeweils die Bürgermeister? Wurden sie am Ende ihrer Amtszeit wiedergewählt? Und was geschah dabei mit den Finanzen der Stadt? Dabei bemerkten die Ökonomen, dass manche Wahlgeschenke nach diesem Muster tatsächlich die gewünschte Wirkung haben. Bürgermeister, die in der Zeit vor der Wahl die Ausgaben noch mal in die Höhe trieben, wurden messbar häufiger wiedergewählt als andere. Trotzdem ist nicht sicher, dass es wirklich am Geld liegt. Vielleicht handelt es sich bei den wiedergewählten Bürgermeistern schlicht um wählerorientierte Politiker, die sich besonders für ihre Wiederwahl engagieren und dabei auch ein paar Wahlgeschenke verteilen. Sicher ist aber: Wer vor der Wahl mehr Geld ausgab als in den anderen Jahren, der hatte bessere Chancen, den Bürgermeistersessel zu behalten.

Jeder Geburtstag bringt drei Euro weniger für Wahlgeschenke

Und wer verteilt diese Wahlgeschenke? Tatsächlich sind es eher die jungen Bürgermeister. Interessanterweise hat das nichts mit politischer Erfahrung zu tun, denn die älteren Bürgermeister waren im Durchschnitt gar nicht länger in der Politik als die jüngeren.

In der Untersuchung bildeten die Forscher keine klaren Gruppen von alten und jungen Bürgermeistern. Stattdessen betrachteten sie das Alter ihrer Politiker kontinuierlich. Und sie rechneten aus: Mit jedem Jahr, das ein Bürgermeister älter wird, schrumpft der Wert seiner Wahlgeschenke um durchschnittlich mehr als drei Euro je Einwohner. Hochgerechnet bedeutet das: Ist ein Bürgermeister 30 Jahre älter, wendet er im Wahljahr rund 100 Euro weniger pro Kopf für kurzfristige Geschenke auf.

Nun könnte man sagen: Kein Wunder, dass spendable Politiker beliebter sind, nur für die öffentlichen Finanzen ist das schlecht. So einfach ist es aber nicht. Denn die jungen Bürgermeister respektierten ihren Kämmerer ebenso viel oder wenig wie ihre älteren Amtskollegen. Im Langfristvergleich über viele Jahre waren ihre Haushalte nicht großzügiger als die der Älteren. Aber sie hielten während ihrer Wahlperiode öfter Geld zurück und gaben es dann erst kurz vor der Wahl aus.

Wer wiederum Ausgaben nur verzögert, der nutzt den Wählern kaum. Am Ende der Wahlperiode sind die Schulden die gleichen, die Stadtbewohner bekommen ihr Schwimmbad nur später. Die einzigen, die davon profitieren, sind die Bürgermeister. Die nutzen das kurze Gedächtnis der Wähler, um sich zur richtigen Zeit einzuschmeicheln.

Am Ende der ganzen Anbiederei schaffen es die jungen Politiker mit diesem Trick tatsächlich oft, ihre Karriere zu verlängern. Wenn sie zur Wiederwahl antreten, sind sie Alesina zufolge jedenfalls häufiger erfolgreich als ihre älteren Kollegen.

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