Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Vier geldpolitische Wahrheiten

Negative Zinsen sind kein Irrsinn. Zentralbanken können ihre Bilanzen nicht beliebig ausweiten. Eine Zentralbank hat keine unbegrenzte Macht. Die Sicherung der Finanzstabilität ist möglich. Jean-Pierre Danthine, der scheidende Vizegouverneur der Schweizerischen Nationalbank, hat sein geldpolitisches Credo geschildert. Es gilt nicht nur für die Schweiz.

Die Schweiz gilt häufig – und sieht sich auch selbst gerne – als ein Hort der wirtschaftlichen Stabilität, in dem Wirtschaftspolitik nach ehernen Prinzipien betrieben wird. Wer sich die Geldpolitik der vergangenen Jahre in der Schweiz anschaut, stößt auf allerlei Beobachtungen, die mit der idyllischen Wahrnehmung nicht übereinstimmen mögen. 1) Die Frage, wie eine solche Geldpolitik einzuschätzen ist, interessiert weit über die Schweiz hinaus – zum Beispiel auch in Deutschland, wo die Geldpolitik der EZB nicht unumstritten ist. Jean-Pierre Danthine, der scheidende Vizepräsident des Direktoriums der Schweizerischen Nationalbank, hat in einer interessanten Rede eine Bilanz gezogen und vier Fiktionen über Geldpolitik benannt:

Fiktion 1: Es kann keine negativen Zinsen geben

Die Auffassung, dass nominale Zinsen nicht negativ werden könnten, habe sich als Fiktion erwiesen, sagt Danthine nicht nur mit Verweis auf jüngste Erfahrungen in der Eidgenossenschaft. Vor allem aber widerspricht Danthine der auch in Deutschland verbreiteten Ansicht, Negativzinsen widersprächen der Vorstellung, dass Ersparnisse belohnt werden müssten: “Diese Ansicht ist jedoch irreführend. Der Zins widerspiegelt den Preis für den heutigen Konsum im Vergleich zum künftigen Konsum. Er ist ein relativer Preis. Es ist daher nicht völlig undenkbar, dass der Konsum von morgen wertvoller sein kann als derjenige von heute.”

 

Fiktion 2: Eine Zentralbank kann ihre Bilanz ohne Risiko ausweiten

Die Währungsreserven der Schweiz haben als Folge von Devisenmarktinterventionen Ende 2014 eine Höhe von 490 Milliarden Franken, entsprechend 75 Prozent des BIP erreicht, und damit die Bilanz der Nationalbank aufgebläht. Die zweite Fiktion ist nach Ansicht Danthines die Vorstellung, dass eine unbegrenzte Erhöhung der Zentralbankbilanz risikolos sei: “Diese Fiktion widerspricht dem gesunden Menschenverstand und ist vor allem in Akademikerkreisen anzutreffen.” Große Bilanzausweitungen bergen finanzielle und ökonomische Risiken, vor allem, wenn ihnen Devisenkäufe zugrunde liegen: “In diesem Fall werden Wechselkursrisiken auf die Bilanz der Zentralbank genommen.” Ein zweites Risiko besteht darin, dass eine sehr große Bilanz eine Rückkehr zu einer geldpolitischen Normalität, die mit einer deutlich kleineren Bilanz einhergeht, erschwert.

 

Fiktion 3: Die Zentralbank hat unbegrenzte Macht

Danthine sieht zwei Gründe für die Überschätzung der Macht einer Zentralbank. Der erste ist die Wahrnehmung, dass die Zentralbank die alleinige Lizenz zum Gelddrucken besitzt. Das ist richtig, doch: “Diese Sicht überschätzt jedoch die tatsächlich damit verbundene Macht deutlich: Gelddrucken kann nur kurzfristige Liquiditätsprobleme lösen, langfristig hingegen schafft es keine Werte und schlägt sich bloß in einer Erhöhung der nominalen Preise nieder.” Der zweite Grund für die Überschätzung der Macht besteht in der Annahme, dass die Unabhängigkeit einer Zentralbank gleichbedeutend sei mit einem Fehlen demokratischer Kontrolle. Auch dies hält Danthine für unbegründet: “Die Unabhängigkeit der Schweizerischen Nationalbank ist mitnichten unbegrenzt. Erstens ist unsere Unabhängigkeit kein Selbstzweck. Sie dient allein dazu, ein klar definiertes Mandat wahrzunehmen. … Die Unabhängigkeit geht zweitens Hand in Hand mit einer Rechenschaftspflicht.”

 

Fiktion 4: Finanzstabilität ist eine Utopie

Den Bemühungen um ein stabileres Finanzsystem schlägt nach der Wahrnehmung Danthines Skepsis entgegen. Finanzstabilität sei eine Utopie. Der Schweizer hält dies für unzutreffend. Erstens müssten die Kenntnisse über die Quellen von Instabilität laufend verbessert werden. Zweitens sei Finanzstabilität auch eine Frage des Willens. Natürlich könne man niemals alle Risiken kennen, aber Verbesserungen des regulatorischen Rahmens seien möglich und in der Schweiz auch zu beobachten.

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1) Das ist übrigens nichts Neues: In den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gab es in der Schweiz Beschränkungen des Kapitalverkehrs, Negativzinsen und umfangreiche Interventionen am Devisenmarkt.