Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Bedrohen Verluste aus Griechenland die EZB?

Egal, ob Griechenland im Euro bleibt oder nicht: Die EZB muss Verluste auf Bestände an griechischen Staatsanleihen einkalkulieren, die in der Spitze mehr als 100 Milliarden Euro ausmachen können. Wir erläutern anhand eines kleinen Grundkurses über Zentralbankfinanzen, was dies bedeutet. Das Fazit: In finanzieller Hinsicht sind die Gefahren überschaubar, aber die politischen Folgen sind schwer einzuschätzen.

Welche Summen stehen im Feuer?

Wir beziehen und auf eine aktuelle Studie der DZ Bank, nach der sich das gesamte Griechenland-Risiko der EZB wie folgt aufgliedert:

Kurzfristige ELA-Kredite der Bank of Greece:      90 Milliarden Euro
Wertpapierpensionsgeschäfte Bank of Greece:       9 Milliarden Euro
EZB-Bestände griechischer Staatsanleihen:           18 Milliarden Euro

Da die Bank of Greece nur über ein sehr geringes Eigenkapital verfügt, beläuft sich das Gesamtrisiko für die EZB auf rund 115 Milliarden Euro. Der Maximalverlust würde allerdings nur dann eintreten, wenn die Anleihen des griechischen Staates und griechischer Banken (die sich als Sicherheiten für die Kredite in den Büchern der Bank of Greece befinden) im Zuge eines Konkurses des griechischen Staates völlig wertlos würden. Das ist wenig wahrscheinlich: In den vergangenen Jahrzehnten hat es in mehreren hundert Fällen im sogenannten Pariser Club Arrangements zwischen zahlungsunfähigen Staaten und Gläubigern gegeben. Die Erfahrung zeigt, dass Totalausfälle nicht die Regel sind.

Die EZB selbst verfügt nach Angaben der DZ Bank über einen Risikopuffer von rund 35 Milliarden Euro. Rechnet man die nationalen Zentralbanken des Eurosystems wie die Bundesbank hinzu, ergibt sich ein Risikopuffer von rund 500 Milliarden Euro. Daher könnte die EZB Griechenland-Verluste nach Ansicht der DZ Bank “prinzipiell verkraften”.

Müssen Zentralbanken Verluste überhaupt fürchten?

Eine ältere Schule sagte “ja”, die moderne Schule sagt – eingeschränkt – “nein”. Die moderne Auffassung ist, dass eine Zentralbank dank ihres Status als Geldmonopolist nicht mit einer Geschäftsbank oder einem anderen Unternehmen vergleichbar ist und daher in finanztechnischer Hinsicht die Gefahr einer Überschuldung, sprich eines negativen Eigenkapitals, nicht fürchten muss. Denn auch in diesem Falle wäre die Zentralbank nicht zahlungsunfähig, weil sie ihr eigenes Geld weiter produzieren kann. Häufig zitiert wird eine mehrere Jahre alte Rede des heutigen Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank (SNB), Thomas Jordan: „Zum einen können Zentralbanken nämlich nicht illiquide werden. Dies hat zur Folge, dass eine Zentralbank nicht in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist, wenn ihr Eigenkapital vorübergehend negativ wird. Sie wird auch nicht wie andere Unternehmen dazu gezwungen, Sanierungsmassnahmen einzuleiten oder ihre Bilanz zu deponieren.“ Ein praktisches Beispiel liefert die Zentralbank Tschechiens, die, wie wir in einem FAZIT-Beitrag geschildert hatten, über einen Zeitraum von mehr als zehn Jahren von der Öffentlichkeit mehr oder weniger unbemerkt ein negatives Eigenkapital hatte und trotzdem problemlos funktionierte.

Große Zentralbanken sind Billionen wert!

Der Grund, warum Zentralbanken vorübergehende Bewertungsverluste aus einer rein finanziellen Sicht nicht fürchten müssen, besteht in ihrem einmaligen Geschäftsmodell, bei dem sie in ihrem laufenden Geschäft mehr oder weniger garantiert Gewinne machen und das zu sehr hohen theoretischen Bewertungen führt.

Zur Erklärung importieren wir eine schematische Zentralbankbilanz samt Erläuterungen aus einem früheren FAZIT-Beitrag:

Die Bilanz einer Zentralbank sieht etwas vereinfacht so aus:

Aktiva                                                       Passiva
__________________________________________

1. Währungs- und                                  1. Bargeld
Edelmetallreserven

2. Kredite an Banken                             2. Einlagen von Banken

3. Wertpapiere                                        3. Eigenkapital

___________________________________________

Eine Zentralbank ist in ihrem laufenden Geschäft (ohne Sondereinflüsse wie Bewertungsverluste) profitabel, weil sie praktisch keinen Aufwand auf der Passivseite ihrer Bilanz hat, auf der Aktivseite aber üblicherweise Erträge anfallen. Die Kosten ihrer Geldproduktion sind kaum größer als Null und sie können sogar negativ werden!

Schauen wir uns die Passivseite an. Das Zentralbankgeld besteht aus dem Bargeld  und den Einlagen (überwiegend von Banken) bei der Zentralbank. Die Bedeutung des Bargelds hängt von Zahlungssitten, von Regulierungen und vom technischen Fortschritt ab. In der Bilanz der EZB kommt das Bargeld auf einen Anteil von fast 50 Prozent der Passiva, in der Bilanz der Dänischen Nationalbank sind es lediglich 8 Prozent. Zweitens kann die Zentralbank  die Geschäftsbanken zwingen, bei ihr Guthaben (Einlagen) zu unterhalten. Gleichzeitig kann aber niemand die Zentralbank zwingen, auf ihr Geld Zinsen zu zahlen. Auf Bargeld gibt es sowieso keinen Zins und die Einlagen der Banken waren lange Zeit üblicherweise unverzinst. Einige Zentralbanken haben vor der Krise solche Einlagen verzinst; in der letzten Zeit ist es dagegen vorgekommen, dass Zentralbanken – zum Beispiel die EZB, die Schweizerische Nationalbank und die Dänische Nationalbank – auf diese Einlagen, oder zumindest Teile dieser Einlagen, negative Zinsen erheben: Das heißt, die Geschäftsbanken müssen Geld dafür zahlen, dass sie bei der Zentralbank Geld unterhalten! Das ist ein für die Zentralbank einträgliches Geschäft. Schließlich befindet sich auf der Passivseite der Zentralbankbilanz das Eigenkapital, das üblicherweise aus dem Grundkapital und einbehaltenen Gewinnen besteht. Das Eigenkapital macht meist nur einen kleinen Teil der Bilanzsumme aus. Auf das Eigenkapital fallen üblicherweise variable Gewinnausschüttungen an, aber es gibt dort in der Regel keine festen Zahlungsverpflichtungen.

Einem Zinsaufwand von meist Null stehen auf der Aktivseite üblicherweise Erträge entgegen: Währungsreserven werden meist verzinslich in sicheren Anleihen oder Geldmarktpapieren angelegt; einige Zentralbanken besitzen auch Aktien. Die Goldreserven bringen, abgesehen von eventuellen Gebühren im Falle von Verleihgeschäften mit Geschäftsbanken, keine laufenden Erträge. Auf die Kredite an Banken werden gewöhnlich Zinsen erhoben, auch wenn sie in den vergangenen Jahren sehr niedrig (und in Einzelfällen sogar Null) geworden sind. Bei den Wertpapieren handelt es sich meist um verzinsliche Titel von Staaten oder soliden privaten Schuldnern.

Dieses Privileg, dass die Zentralbank ihre Kunden zwingen kann, bei ihr zinslos Geld zu hinterlegen, während die Zentralbank ihre Aktiva verzinslich angelegen kann, wird in der Fachsprache als „Seignorage“ bezeichnet. Es entspricht dem alten Münzgewinn aus der Zeit des Münzgeldes. Auch damals stellte sich quasi automatisch ein Gewinn bei der Geldproduktion ein, wenn der Nennwert, zu dem eine Münze abgegeben wurde, über ihren Produktionskosten lag.

Der künftige laufende Gewinn einer Zentralbank ist abhängig von der Größe der Zentralbankbilanz und der Zinsentwicklung. Er lässt sich natürlich nicht genau vorhersehen, aber es gibt Schätzungen und dementsprechend gibt es Schätzungen über den Wert einzelner Zentralbanken. Diese kalkulierten Werte sind gewaltig.

Für die EZB existiert eine Schätzung von Ökonomen der Citibank aus dem Jahre 2010, die auf einen Wert von rund 3,4 Billionen Euro kamen. Hans-Werner Sinn nennt in einer aktuellen Arbeit einen Schätzwert von rund 3 Billionen Euro: “Der Gegenwartswert (oder potenzielle Marktwert) der Gewinnausschüttungen aus den heute schon vorhandenen Ausleihungen und Vermögensobjekten, über die Notenbanken verfügen, ist gerade gleich der vorhandenen Zentralbankgeldmenge abzüglich der Mindestreserve der Banken, weil die Banken dafür keine Zinsen zahlen müssen. Ende März 2015 lag dieser Wert bei 1259 Milliarden Euro. Rechnet man noch die Ausweitungen der Geldmenge hinzu, die im Zuge der Inflation und des wirtschaftlichen Wachstums in der Zukunft möglich sein könnten, so kommt man gar auf einen Schätzwert in der Gegend von 3 Billionen Euro. Dieser Wert gibt die maximal mögliche Haftung aus dem Verbrauch der Seignorage-Gewinne des gesamten Eurosystems an. Er ist in etwa so groß wie das gesamte jährliche Bruttoinlandsprodukt der sechs Krisenländer oder etwas größer als das deutsche Bruttoinlandsprodukt (3230 Milliarden Euro bzw. 2904 Milliarden Euro im Jahr 2014).” Für die amerikanische Fed ist eine mehrere Jahre alte Schätzung auf einen Wert von umgerechnet rund 5 Billionen Euro gekommen.

Mit Blick auf solche Zahlen erklärt sich die These, wonach ein vorübergehend negatives Eigenkapital als Ergebnis von Bewertungsverlusten bei einer Zentralbank akzeptiert werden kann: Auf lange Sicht baut sich durch Gewinne aus dem laufenden Geschäft neues Eigenkapital auf. Und bei einem Gesamtwert von rund 3 Billionen Euro müsste die EZB einen Verlust aus den Griechenland-Geschäften von maximal 115 Milliarden Euro überstehen.

Aber den Steuerzahler trifft es doch

Es wäre somit nicht richtig, wenn suggeriert würde, als Folge eines negativen Eigenkapitals bei der EZB müsste der Steuerzahler durch höhere Steuern sein Scherflein zur Rekapitalisierung der EZB leisten. Eine solche Rekapitalisierung wäre finanztechnisch nicht notwendig. Aber indirekt wären die Steuerzahler im gesamten Euroraum bei einem Griechenland-Ausfall doch betroffen, weil die Verluste der EZB deren Gewinnausschüttungen an die Staatshaushalte reduzierten. Um noch einmal Sinn aus der oben angeführten Quelle zu zitieren: “Der Sachverhalt wird bisweilen mit dem Hinweis verneint, dass die Staaten des Eurosystems keine Nachschusspflicht für ihre Notenbanken haben, falls Verluste entstehen. Aber darauf kommt es gar nicht an, denn auch ein Aktionär verliert Vermögen, wenn seine Aktiengesellschaft Verluste macht, obwohl er keine Nachschusspflicht hat.”

Die politischen Risiken sind schwer kalkulierbar

In finanztechnischer Hinsicht werfen Verluste eine Zentralbank so schnell nicht um, vor allem, wenn es sich um eine vorübergehende Erscheinung handelt. Aber aus politischer Sicht ist das nicht unproblematisch, weil – erstens – die Öffentlichkeit das Vertrauen in die Zentralbank und damit in deren Geld verlieren könnte. Zweitens sind Fälle bekannt, in denen finanziell angeschlagene Zentralbanken ihre Unabhängigkeit verloren und unter Kontrolle der Regierung geraten sind. Das Problem sieht auch Jordan von der Schweizerischen Nationalbank in dem oben zitierten Aufsatz: “Gleichzeitig möchte ich aber festhalten, dass ein über lange Zeit anhaltender Zustand von negativem Eigenkapital auch für eine Zentralbank nicht unproblematisch ist, weil er ihre Glaubwürdigkeit und ihre Unabhängigkeit gefährden kann. Deshalb ist es für eine Zentralbank wichtig, eine ausreichende Eigenkapitaldecke zu halten respektive das Eigenkapital nach Verlusten wieder aufzubauen.”

Die amerikanischen Ökonomen Stephen Cecchetti und Kermit Schoenholtz haben zu dem Thema einen interessanten Aufsatz verfasst. Ihre Schlussfolgerung lautet: “If you ask monetary economists whether we should care if a central bank’s capital level falls below zero (even for an extended period of time), most will say no. Pose the same question to central bank governors, and the answer in nearly every case will be yes… Central bankers know instinctively that the effectiveness of policy depends critically on their credibility. They worry that a shortfall of capital would threaten their independence, which is the foundation of that credibility.”