
Die Griechenland-Krise tobt, doch Ökonomen sind seltener zu hören als vorher. Mit wenigen Ausnahmen.
Auf dem Höhepunkt der Griechenland-Krise haben die Ökonomen in deutschen Medien etwas an Gewicht verloren. Im ersten Halbjahr 2015 stammten nur 3,4 Prozent der veröffentlichten Meinungen zu Wirtschaftsthemen von Wissenschaftlern, hat das Medienforschungsinstitut Media Tenor in einer Analyse festgestellt, die dieser Zeitung vorab vorliegt. Im vergangenen Jahr waren es noch 4,0 Prozent gewesen. Zwar werden die Ökonomen in der Eurokrise stärker gehört als in anderen Jahren, doch bei anderen Themen schwindet ihr Einfluss. Und: „Wenn es um Europa und den Euro geht, ist der Stimmanteil der Politiker derzeit außergewöhnlich hoch“, sagt Tobias Thomas, Forschungsdirektor von Media Tenor.
Damit sinkt der Medieneinfluss von Ökonomen erstmals seit drei Jahren. Nur wenige Wirtschaftsforscher haben ihre Medienpräsenz gesteigert, darunter der Erstplatzierte, Ifo-Chef Hans-Werner Sinn, und der Zweitplatzierte, DIW-Präsident Marcel Fratzscher. Beide profitieren von der Eurokrise, zu der sie häufig von Medien zitiert werden. Auf Rang drei schiebt sich Clemens Fuest, der die Leitung des Ifo-Instituts übernehmen soll, wenn Sinn in Pension geht.
Wenn es um Geldpolitik geht, ist Marcel Fratzscher für Medien als Experte ebenso beliebt wie Hans-Werner Sinn. Sinn profitiert zudem vom Ifo-Geschäftsklimaindex, der ihn mit Konjunkturthemen in die Medien bringt. Clemens Fuest war vor allem in Außenwirtschafts-Themen stark. Thomas Piketty dominiert nach wie vor die Diskussion um den Sozialstaat. Das bringt ihn in der Gesamtrangliste noch auf Platz 5, nach Platz 3 im Vorjahreszeitraum.
Für die Analyse hat Media Tenor Politik- und Wirtschaftsteile aus 32 Zeitungen sowie Radio- und Fernsehreihen ausgewertet: von F.A.Z. und F.A.S. über die “Tageszeitung”, Fernsehmagazine wie “Frontal 21” und “Monitor” bis hin zu den 7-Uhr-Nachrichten des Deutschlandfunks. Medienzitate sind ein Teil des F.A.Z.-Einflussrankings für Ökonomen, das im September erscheint.
Unsere Ökonomen...
Unsere Ökonomen, allen voran der SVR Wirtschaft, haben seit Mitte der 1970er-Jahre gebetsmühlenartig gegen den Sozialstaat und seine lebensstandardsichernden Sozialversicherungen gewettert. Nachfragepolitik sei “wirkungslos”. Bei Angebotsschocks wie den Ölkrisen stimmt das sogar. Gewerkschaften und Politik haben damals tatsächlich einen Fehler gemacht. Aber eine generelle Abkehr vom Keynesianismus hat das nicht gerechtfertigt.
Jetzt ist unser Sozialstaat amerikanisiert und die Steuerquote ist schön niedrig. Im Steuer- und Abgabensystem ist die Mittelschicht mit sich selbst solidarisch. Die Vermögen der Besserverdiener wachsen kräftig, die obere Mittelschicht betreibt kapitalgedeckte Vorsorge und Angstsparen. Beides entzieht der Volkswirtschaft Nachfrage. Und nun wundern wir uns über maue Binnennachfrage und explodierende Leistungsbilanzüberschüsse. Die führen über die Stromgröße der Kapitalbilanz zu einem entsprechenden Auslandsvermögensstatus. Und dieser Auslandsvermögensstatus ist laut Bundesbank um 560 Mrd. € niedriger als er laut kumuliertem Kapitalbilanzsaldo eigentlich sein müsste. Die Differenz ist in Wechselkursverlusten und Forderungsausfällen verdampft.
Die Deckungsstöcke unserer Riester-, bAV- und Krankenzusatzversicherungen vertragen sich nicht mit negativen Realzinsen. Wussten unsere Ökonomen nicht, dass die USA und UK ihre Schulden nach dem 2. Weltkrieg per negativer Realverzinsung abgebaut haben? Haben sie nie bedacht, dass auch Deutschland diesen Weg gehen könnte mit den Schulden der Wiedervereinigung? Kannten sie die Satzung der EZB nicht, die durchaus eine lockerere Geldpolitik ähnlich der FED zulässt?
Ständig fordern unsere Ökonomen weitere Kürzungen und Verschärfungen im Sozialbereich. Für ihre eigenen Beamtenpensionen und die Beihilfe fordern sie das hingegen nie!
Nein, von unseren Ökonomen erwarte ich gar nichts mehr!
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Sehr geehrter Herr Nowak – ich finde Ihren Beitrag insbesondere in Bezug auf den “deutschen Sozialstaat und der Kritik der Ökonomen daran”
(und genau darum geht es Ihnen doch ,nicht wahr ? Nicht darum ,daß Ökonomen ,wie übrigens alle anderen Wissenschaftler ! , natürlich auch irren in ihren Postulaten ,zwangsläufig doch ?!)
äußerst befremdlich !
In wirklich keinem anderen Land gibt es einen derart ausgebauten , Alle bedienen und vor allem dabei auch noch funktionstüchtig BLEIBENDEN (ganz wichtig !!) Sozialstaat wie in Deutschland .
Der nur Geld im Überfluß ausgebende Möchtegern-“Sozialstaat” -der Ihnen wohl so vorschwebt- ist gerade Pleite gegangen (Griechenland) und belastet all Anderen weit über Gebühr .
Eine Rente mit 55 wie in Griechenland will nämlich bezahlt werden . Man wollte in Deutschland in der Vergangneheit ja auch dahin ! Nur hat man -früher als in Griechenland und Gott sei Dank gemerkt- das dies eben von der Natur der Markwirtschaft (Finanzierbarkeit) nicht geht.
@M. Teuber: Sehe ich anders
Ich habe keinen “überbordenden Sozialstaat wie in GR” gefordert und auch keine Rente mit 55 (by the way: Für deutsche Postbeamte gibt´s die übrigens bis heute – wird berechnet, als ob sie bis 65 gearbeitet hätten). GR und Deutschland sind im Übrigen nicht vergleichbar – weder vom BIP pro Kopf noch von der Wirtschaftsstruktur, den “terms of trade” oder der öffentlichen Verwaltung.
Mir leuchtet einfach nicht ein, warum unsere Sozialversicherungen abgebaut werden mussten. Die wurden für die Wiedervereinigung geplündert, weil Kohl keine Steuererhöhungen und keinen Lastenausgleich wollte. Dann waren sie marode und wurden schlechtgemacht. Warum musste die Arbeitslosenhilfe nach 80 Jahren abgeschafft werden, so dass ein Arbeitsloser nach 1 Jahr behandelt wird wie ein Sozialhilfefall? Warum sind gesetzliche Renten so niedrig? Warum gibt es keine gesetzliche Berufsunfähigkeitsrente mehr? Wo versichern sich ein Maurer oder eine Krankenschwester gegen Berufsunfähigkeit? Welche Anreize setzt es für lebenslanges lernen, wenn man nach 1 Jahr Arbeitslosigkeit als Elektroingenieur auch als Erntehelfer arbeiten muss?
Und warum gibt es das alles in Österreich noch? Ist Österreich deindustrialisiert und wandern dort alle Leistungsträger aus?
Was bitte soll ein Ökonom jetzt sagen
in der gegenwärtigen Situation hat die Politik entschieden und nun muß man abwarten. Das ist wie in der Medizin. Der Patient bekommt eine Therapie verordnet, die er i.d.R. nicht wirklich mag, sie mehr oder weniger befolgt, mal was anderes probiert, zum Heilpraktiker geht usw. Dann landet er wieder in der Intensivstation, Wiederbelebungsversuche gelingen, nun verspricht er die Therapie einzuhalten usw. Oft schleppt er sich dann multimorbid dahin.
Ich bin eben auch dafür – wie der schlaue Herr Haupts – dass man als Ökonom möglichst niemandem einen Rat gibt. Mediziner haben diesen besagten Eid geleistet und müssen trotz unvollständigem Wissen täglich ran. Wir haben diesen Eid nicht zu leisten. Glück auf. Sollen doch alle machen was sie wollen.
Was leitet Ökonomen?
Lieber Herr Caspari, die Frage ist nicht nur, inwieweit Ökonomen Ratschläge geben können. Da muss man vielleicht nicht zu pessimistisch sein. Die Frage ist aber auch, mit welcher (vielleicht nicht immer von außen leicht erkennbaren) Motivation sie das tun. In dieser Hinsicht sorgt derzeit in der englischsprachigen Internetwelt ein Artikel über eine kürzliche Konferenz am Ifo-Institut für große Aufmerksamkeit. Hier ist der Link:
https://www.nytimes.com/2015/07/15/opinion/germanys-destructive-anger.html?smid=tw-share
Viele Grüße
gb
Herr Braunberger
Der NYT-Artikel, ist es gar nicht Wert verlinkt zu werden. Da wird nicht nur auf eine platte Art und Weise versucht, die von Varoufakis und Krugman gestreuten Vorurteile zu bestätigen. Es wird auch so getan, als Bestünde die EU nur aus Deutschland, Frankreich und Italien.
Dass die EU aus 19 Ländern besteht, auch Finnland und osteuropäische Länder gehören dazu wird unterschlagen, denn diese Länder verfolgen eine viel strengere Linie als Deutschland. Übrigens: Der Standpunkt des Vereinigten Königreiches dürfte in der Englischsprachigen Welt alles andere als Unbekannt sein. Die Berichterstattung der NYT lässt hier einiges zu Wünschen übrig.
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“Der NYT-Artikel, ist es gar nicht Wert verlinkt zu werden. Da wird nicht nur auf eine platte Art und Weise versucht, die von Varoufakis und Krugman gestreuten Vorurteile zu bestätigen.!”
Ah! Waren Sie auf der Ifo-Konferenz? Ansonsten werden Sie kaum beurteilen können, ob die Schilderungen des Verfassers vom Verhalten der deutschen Ökonomen auf der Konferenz richtig sind.
Gruß
gb
Herr Braunberger
Leider war ich auf der Ifo-Konferenz nicht zugegen. Sie hingegen schon, nehme ich an. Sie haben also einen Informationsvorsprung.
Dafür haben Sie allerdings übersehen, dass es sich beim NYT-Kommentar um einen meinungsbildenden Text gehandelt hat und nicht um einen neutralen Bericht, im Gegenteil.
Man kann, wie man auch bei Krugman sehen kann nicht nur mit dem Meinung machen, was man schreibt sondern auch mit dem, was man bewusst auslässt. In diese Richtung ging meine Kritik.
Nun bin ich aber gespannt was Sie alles interessantes auf der Ifo-Konferenz erlebt haben.
Ich war nicht auf der Ifo-Konferenz. Deswegen halte ich mich mit Bewertungen der Erfahrungen des Autors auch zurück.
@ Braunberger: Was leitet Ökonomen?
Als Privatmann und Bürger leiten mich meine Interessen. Als Wissenschaftler, muß ich versuchen, mich davon frei zu machen. Das ist nicht einfach, aber es ja ein Teil einer gegklückten akademischen Sozialisation, das zu können. Schließlich habe ich weder Gewerkschaftssekretär noch Vorstandsassistent “gelernt”.
Ich hatte den Beitrag in der NYT bereits gestern gelesen und mir einerseits gesagt, na ja jetzt weiß ein Amerikaner halt mal, wie es einem Europäer auf US Konferenzen geht. Man wird dort eben auch nicht mit Samthandschuhen angefasst. Andererseits war ich eben nicht dabei und kann das nicht werten.
Ich bin ja nun alles andere als antikeynesianisch, aber Nachfragesteuerung ist doch kein Allheilmittel. Ein guter wirtschaftspolitischer Ökonom muß wie ein Arzt erst mal alle Register der Differenzialdiagnose ziehen. Dann kommt die Therapie. Manchmal gibt es keine und manchmal mehrere. Mir fehlt bei all den selbsternannten Keynesianern anglo-amerikanischer Provenienz die Bereitschaft, differentialdiagnostisch an das Griechenland-Problem heran zu gehen.
Und ansonsten halte ich es mit Alfred Marshall: Warm harts but cold heads and not the other way round.
[…] Fazit: Die Stimme der Ökonomen wird leiser […]
Der Titel ist schlicht falsch!
Mit Verlaub Herr Bernau, im süffigen Titel fehlt das Wort ‘deutschen’.
Die amerikanischen Nobel-Preisträger haben sich in letzter Zeit keineswegs zurückgehalten und imho gebührend blamiert.
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Die Stimme der Ökonomen ist noch immer viel zu laut – nach dem auch für die Masse von ihnen nicht vorhersehbaren Crash von 2008 sollten sie lieber den Mund halten und solange intensiv an ihren Theorien, Methoden und Praktiken arbeiten, bis diese wieder einen Bezug zur Realität haben. Denn der Crash war eine glatte Bankrotterklärung ökonomischer Theoriebildung, seitdem weiss man, dass man bei Befragung von Ökonomen dasselbe Ergebnis bekommt, wie bei der Befragung von Astrologen.
Das vorgestellte “Ranking” übrigens gibt Auskunft über genau zwei Dinge – das Selbstvermarktungstalent von bestimmten Personen und die aktuellen Vorlieben von Medien für bestimmte Personen.
Gruss,
Thorsten Haupts
Berufsverbot für Ärzte?
Sie fordern, dass Ökonomen bitte ihren Mund halten sollen, wenn Sie jede Krise nicht 100% zuverlässig mit Ansage hervorsehen können, womit Sie also vollständig Journalisten und Politikern das Feld überlassen. Na gut.
Aber wenn Sie Ihre Haltung konsequent auf andere Berufe anwenden würden, müssten Sie jedes mal wenn ein Mensch an Krebs stirbt, ein Berufsverbot für Ärzte fordern, solange diese nicht jede Krankheit mit hundertprozentiger Sicherheit heilen können.
Der Inhalt ist eine Sache
und der Ton ist Geschmackssache. Meiner Meinung nach klang der Text von Herrn Soll schon arg giftig.
Verehrter Herr Hirtenenbach, kennen Sie einen Arzt, der vorhersagen würde,
wie sich global in 5 Jahren die Krankheiten mit welcher Mortalitätsrate in welcher Altersgruppe auf welchem Erdteil entwickeln werden, wenn man nicht heute (beliebiges einsetzen) tut? Nein? Ich auch nicht.
Aber mehr als ein Dutzend (und ich bin nur am Rande interessiert) von deutsch- und englischsprachigen Ökonomen, die derartig grössenwahnsinnig waren, das ökonomische Äquivalent zu dem oben geschriebenen Beispiel im Wochenrhytmus zu veröffentlichen. Die kenne ich schon :-).
Gruss,
Thorsten Haupts
Was nicht stimmt
konnen sie lesen in the NYT,Germany’s Destructive Anger by Jacob Soll,15.07.2015.
Und ich bin ganz seiner Meinung.
Kurzgefasst
mancher reden nur Unsinn ,Wählerlieblinge,oder wie Kafka schreibt in Der Proceß:”
Ihre Sicherheit ist nur durch ihre Dummheit möglich.”.
Manche gestandene Staatswirtschaft-
Wissenschaftler wissen genau wenn die kritische Grenze da ist,und eine Debatte längst nicht mehr raisonnable sein könnte wenn Politiker es zu toll treiben,wie ein Hahnenkampf,skrupellos,und gar nicht amüsiert sein stolpern zu können über etwaige vernünftige Wissenschaftler,außerdem das Publikum liebt Streit,eben auch manche Medien.Ein jeder konnte sich einmischen,ohne basisbegriffe zu verstehen,nicht verstehen können und oder wollen,zB. einfache Begriffe wie Bruto National Produkt,oder die Funktion der EZB,oder Wahlsystemen,oder ,und persönlich irritiert mir das am meisten was ein Demokratie ist,oder ein Rechtsstaat,und so weiter ….All dass was erreicht ist nicht ohne Mühe,euphemistisch formuliert,sei heutzutage ein Selbstverständlichkeit.Ich vermisse das Gespür für Verantwortung und Dank ,Leben in ein Land mit Freiheit ohne seines gleichens,wie ebenfalls die EU Raum [modisch gesagt].
Ihr Redakteur Herrn Braunberger versucht jedesmal stufenweise Bankenwesen,öffentliche Finanzen o.ä die Verstehenskompetenz der Leser zu fördern.
Gar nicht einfach ,auch nicht für “kluge Köpfe”!