Die Ungleichheit in Deutschland wächst nicht weiter. Wann immer wir diesen Satz berichten, stoßen wir auf Überraschung und Unverständnis. Diese statistische Erkenntnis deckt sich nämlich weder mit dem Gefühl der Deutschen noch mit den Daten, die aus vielen anderen Ländern kommen. Kann sein, dass die Agenda 2010 erfolgreich war – aber es ist auch kein Wunder, dass so eine Statistik ausführlich hinterfragt wird. Und das ist gar nicht so leicht.
Einer der wichtigsten Kritikpunkte an den Zahlen ist: Die Reichsten sind nicht richtig berücksichtigt. Dieser Gini-Koeffizient wird nämlich aus dem “Sozio-ökonomischen Panel” (SOEP) berechnet, einer jährlichen Umfrage unter mehr als 20.000 Deutschen. Doch obwohl die SOEP-Forscher schon einen Extra-Aufwand betreiben, um einkommensstarke Haushalte in das Panel zu bekommen, bleibt eine Lücke bei den Allerreichsten. Beim Jahrestreffen der amerikanischen Ökonomen wird dieser Tage ein Paper vorgestellt, das zeigt: Schon wenn wenige Hochverdiener außen vor bleiben, kann das die Ergebnisse deutlich verfälschen.
Unter den Steuerzahlern steigt die Ungleichheit
Schon vorher hat ein anderes Forscherteam diese Datenlücke aufgespießt: In einem Beitrag für den “Wirtschaftsdienst” nahmen sich Moritz Drechsel-Grau und Andreas Peichl vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung sowie Kai Daniel Schmid vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung im Oktober eine andere Datenquelle vor: die Einkommensteuer-Statistik, genauer gesagt: das “Taxpayer-Panel”. Dort fanden sie einen ganz anderen Trend: Unter den Steuerzahlern stieg die Einkommensungleichheit weiter an.
Jetzt haben die SOEP-Forscher ihre Erwiderung vorgelegt. Im “Wirtschaftsdienst” sagen Jan Goebel und Carsten Schröder, erstens betrachteten Drechsel-Grau et al. nur die Steuereinheiten, die seien aber nicht zwangsläufig Individuen oder Haushalte. Zweitens seien die Steuerzahler nicht die gleichen Leute, die im SOEP befragt werden. Drittens werde im SOEP das ganze Markteinkommen abgefragt, für die Steuerstatistik aber gelte nur das steuerrechtlich relevante Einkommen ohne Nachtzuschläge – und vor allem: Seit die Abgeltungssteuer eingeführt ist, stecken auch Kapitaleinkommen nicht mehr in der Steuererklärung.
Das Ganze ergänzt das DIW um den Wochenbericht, der am Mittwoch veröffentlicht wird. Charlotte Bartels und Carsten Schröder führen Steuerstatistik und SOEP soweit es geht zusammen und zeigen, dass die beiden Statistiken die Reichen einigermaßen gleichmäßig abbilden. Nur für das wichtige oberste Prozent bleibt eine Differenz, die Steuerstatistik sieht dort mehr Reichtum. Mehr noch: Nach einigen Korrekturrechnungen für Abgeltungssteuer und Co, die Bartels gemeinsam mit Katharina Jenderny vorgenommen hat, zeigt sich: Der Einkommensanteil des obersten Prozents steigt nicht leicht, wie das SOEP bisher zeigte, sondern ist zumindest zwischen 2008 und 2011 wegen den Folgen der Finanzkrise gesunken – wenn er auch auf hohem Niveau bleibt.
Wie misst man das Einkommen der Reichen?
Die SOEP-Erwiderung weist auf einige Punkte hin, die die Steuerdaten tatsächlich schwer verwendbar machen.
- Steuereinheiten lassen keinen Schluss auf Haushalte zu. Man erfährt nur, ob die Steuerzahler gemeinsam oder getrennt veranlagt wurden. Zeigt das wenigstens, ob die Steuerzahler verheiratet sind? Nicht unbedingt. Es gibt auch viele Fälle, in denen sich für Ehepaare eine getrennte Veranlagung lohnt – zum Beispiel für Gutverdiener, wenn Auslandseinkommen vorliegt, oder für Normalverdiener, wenn eine Abfindung gezahlt wird oder wenn das Paar Elterngeld bekommt.
- In den Steuerdaten fehlen die Leute, die gar nicht arbeiten. Das kann gerade für die vergangenen Jahren den Trend verfälschen. Denn es haben viele Menschen Arbeit gefunden. Das senkt die gesellschaftliche Ungleichheit, denn arme Leute beziehen wieder ein Gehalt, wenn auch häufig eines, das nicht weit über dem alten Arbeitslosengeld liegt. Gleichzeitig steigt die Ungleichheit unter den Steuerzahlern, denn plötzlich gibt es unter den Steuerzahlern mehr Leute mit relativ geringem Einkommen.
Mehr Daten wären besser – darauf ziehen sich die Autoren von ZEW und IMK am Ende zurück. Bleibt die nächste Frage: Was sagt da der Datenschutz?
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