Oxfam behauptet: Die 62 Reichsten der Erde haben mehr Vermögen als die halbe Weltbevölkerung. Doch an dieser Studie gibt es viel Kritik. Oxfams Ungleichheits-Forscher Jörg Nowak widerspricht. Ein Mailwechsel.
Sehr geehrter Herr Bernau,
Sie haben in Ihrem Beitrag „Wer ist am gutesten?“ Oxfam dafür kritisiert, dass wir uns bei der Berechnung der Vermögensungleichheit auf das Nettovermögen beziehen, das Schulden einschließt. Sie schreiben, dadurch würde jemand, der einen Kredit für den Kauf eines Autos aufnimmt, zu den ärmsten zehn Prozent der Weltbevölkerung zählen. Die Rechnung ist aber falsch: Wer Autos oder Immobilien mit einem Kredit erwirbt, gehört nicht zu den ärmsten zehn Prozent der Weltbevölkerung, weil der Wert des Autos oder der Immobilie mit dem Kredit verrechnet wird.
Der Kern unserer Aussage liegt darin, dass der Anteil des reichsten Prozents am globalen Vermögen seit 2008 stetig ansteigt, im letzten Jahr hat er die 50-Prozent-Marke überschritten. Dabei geht es nicht um die Frage des nackten Überlebens, sondern darum, ob die Mehrheit an dem von ihr geschaffenen Wohlstand teilhaben kann – das ist eine Frage der Demokratie und des sozialen Zusammenhalts von Gesellschaften.
Oxfam kritisiert eben diese Form der ungleichen Entwicklung und ein Wirtschaftsmodell, das zu eklatanter Ungleichheit führt. Ein erster Schritt, sich die Verfügung über den Wohlstand wiederzuholen, den wir alle erarbeitet haben, wäre der konsequente Kampf gegen Steuervermeidung. Länder im Süden des Globus verlieren jedes Jahr 100 Milliarden Dollar durch Steuervermeidung, den Staaten fehlt damit Geld, um effektive Bildungs- und Gesundheitssysteme aufzubauen. Dort liegen die Probleme, nicht beim Kredit für das neue Auto.
Mit besten Grüßen
Jörg Nowak
Sehr geehrter Herr Nowak,
mit Immobilien mögen Sie Recht haben, mit Autos nicht. Wenn der Wert des Autos schneller sinkt, als der Kredit getilgt wird – dann bleibt ein Nettokredit, und der Autobesitzer gehört in Ihrer Rechnung zum ärmsten Zehntel. Der Wertverfall bei Autos geht so schnell, dass das bei quasi jedem Autokredit der Fall ist. Deshalb habe ich die Autos als Beispiel gewählt und nicht die Immobilien.
Aber das ist ja nur ein technisches Detail. Mich stört, dass Sie die fundamentalen Fortschritte im Welt-Wohlstand und in der Verteilung dieses Wohlstands leugnen. Es waren die weltweit Armen, die in den vergangenen Jahren reicher geworden sind. Gucken Sie sich noch mal diese Animation an:
The Global Distribution of Incomes
Based on great research by @BrankoMilan & Lakner https://t.co/M6UsFuwfOx pic.twitter.com/Qwuz34VpvC
— Max Roser (@MaxCRoser) 19. Dezember 2015
Dabei geht es nicht nur um das nackte Überleben. Eine neue globale Mittelschicht entsteht, und Sie tun so, als sei das Gegenteil der Fall.
Das liegt auch daran, dass Ihre Statistik nicht so weit trägt, wie Sie sie interpretieren. Im Jahr 2010, kurz nach der Immobilienblase, galten laut den Zahlen 2 Millionen Einwohner der Vereinigten Staaten als so verschuldet, dass sie zum ärmsten Zehntel der Welt gehörten. 2015 waren es 70 Millionen – das wäre jeder Fünfte! Die 70 Millionen kommen mir schon ziemlich seltsam vor. Der Zeitvergleich aber wird auf jeden Fall zum Problem: Die neu gezählten Schulden von 68 Millionen Amerikanern lassen es so aussehen, als wären die Ärmsten der Welt ärmer geworden. Dabei ist nur etwas die Statistik seltsam. Das können Sie nicht ernst meinen.
Beste Grüße
Patrick Bernau
Sehr geehrter Herr Bernau,
Ich habe die Immobilien nicht zufällig erwähnt – in Europa besitzen mehr Menschen Immobilien als Autos.
Aber halten wir uns nicht bei diesem Detail auf. Wichtiger scheint mir, dass Sie Armut und Ungleichheit verwechseln. Muss man das einem FAZ-Redakteur wirklich erklären? Dass 1 Milliarde Menschen zwischen 1990 und 2015 aus der extremen Armut entkamen, erwähnen wir in unserem Bericht zur globalen Ungleichheit ausdrücklich. Doch auch wenn die Allerärmsten ihre Lage verbessern, kann die globale Ungleichheit steigen, so lange die Reichsten noch mehr dazu gewinnen.
Zwar ist die Mittelschicht in China enorm gewachsen, ihr steht jedoch ein riesiges Heer von mehreren Hundert Millionen Wanderarbeitern gegenüber, die kaum soziale Absicherung genießen und unter katastrophalen Bedingungen arbeiten.
Mit der enormen Konzentration von Vermögen und Besitz an der Spitze geht auch ein überproportionaler Einfluss der Elite auf die Politik einher. Der Soziologe Michael Hartmann hat in einer Studie herausgefunden, dass gerade in der Steuerpolitik die Eliten in Deutschland fundamental andere Auffassungen vertreten als die Mehrheit der Gesellschaft. Die Steuerpolitik in den vergangenen 20 Jahren orientiert sich jedoch eng an den Vorstellungen der Eliten.
Kann man wirklich noch von funktionierender Demokratie reden, wenn in Dax-Konzernen Manager 43mal so viel verdienen wie durchschnittliche angestellte Beschäftigte? In China beträgt das Verhältnis sogar 200:1, und in den USA 300:1.
Der Wachstumszyklus nach der Wirtschaftskrise 2008 war der erste seit mehr als 100 Jahren, in dem in den USA die ärmsten 80 Prozent real an Einkommen verloren haben. Das reflektiert sich auch in der Verschuldung eines Teils der Bevölkerung.
Mit besten Grüßen
Jörg Nowak
Sehr geehrter Herr Nowak,
es gibt viele Fragen, über die man diskutieren kann: Ist die Steuerpolitik so, weil sie sich an den Vorstellungen der Eliten orientiert – oder weil es dafür gute Gründe gibt, die die Eliten mittels ihrer Ausbildung erkennen? Können die Gehälter von Vorstandschefs in westlichen Ländern wirklich eine Demokratie untergraben? Oder zeigt der amerikanische Wahlkampf gerade, dass am Ende doch nicht das Budget entscheidet?
Oder: Können sich selbst die Wanderarbeiter in China nicht oft ihre Stellen aussuchen? Müssen nicht die Unternehmen Gehälter erhöhen, damit die Arbeiter am nächsten Tage überhaupt noch auftauchen? Wächst nicht der Wohlstand auch in vielen anderen Ländern, die sich dem Handel geöffnet haben?
All das sind spannende und wichtige Fragen. Umso entscheidender ist, dass man sie auf einer guten Datengrundlage diskutiert. Die Weltbank, die die globale Armut bekämpft, zeigt in ihren Daten deutlich: Nicht nur die globale Armut schrumpft, sondern auch die Ungleichheit. Ihre Zahlen dagegen überzeugen mich nicht.
Sie sagen, dass es in China noch vielen Menschen schlecht geht. Aber wer die Daten zu Ihrer Studie liest, muss zu einem anderen Schluss kommen. Immerhin gibt es in Ihrer Studie 100-mal so viele arme Amerikaner wie arme Chinesen. Da widersprechen Sie sich selbst. Wie soll’s denn jetzt sein? Ich schlage vor: Vergessen Sie Ihre Armutsstudie, und arbeiten Sie mit richtigen Zahlen.
Beste Grüße
Patrick Bernau
Sehr geehrter Herr Bernau,
„Grau ist alle Theorie, aber entscheidend ist auf’m Platz“, wusste schon Adi Preißler, Kapitän der legendären Dortmunder Meistermannschaft von 1956/57. Und auf dem Platz, sprich in der Realität, liegen die Dinge einfach etwas anders, als Sie es mit Ihren Fragen suggerieren. Nein, die Eliten wissen nicht besser, welche Steuern sinnvoll sind, sie haben einfach schnöde Interessen, die sie leiten. Nein, Wanderarbeiter in China können sich ihre Stellen nicht aussuchen wie ein deutscher Abiturient, der überlegt, ob er BWL oder Jura studieren möchte. Auch wenn sie Wahlfreiheit haben, in welchem Unternehmen sie arbeiten, müssen sie doch in allen diesen Stellen 10-11 Stunden täglich arbeiten.
Die eigentliche Frage ist, warum Sie noch behaupten, unsere Zahlen seien nicht valide, während Ihr Kollege Rainer Hank von der FAS unsere Diagnose längst bestätigt. In seinem Text „Lob der Ungleichheit“ macht er aus der wachsenden sozialen Kluft gar keinen Hehl, verteidigt diese jedoch als Motor des Fortschritts. Nur: Wessen Fortschritt? Von den Früchten der wirtschaftlichen Entwicklung profitiert jedenfalls immer weniger die breite Mehrheit, von Verteilungsgerechtigkeit kann keine Rede sein. Das weiß nicht nur Ihr Kollege, das wissen auch OECD, IWF und das DIW.
Lassen Sie uns deshalb aufhören, über die Validität unserer Zahlen zu streiten und vielmehr darüber reden, welche Gesellschaft wir wollen. Wir sind der Überzeugung, dass mangelnde Verteilungsgerechtigkeit ein Problem für den Zusammenhalt von Gesellschaften und unser demokratisches System ist. Sie offenbar nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Jörg Nowak
Sehr geehrter Herr Nowak,
wenn Sie von den Zahlen weg sind, dann finde ich das ja schon mal gut. Mein Kollege Rainer Hank allerdings beschreibt die Ungleichheit zum Glück viel differenzierter, als Sie das jetzt sagen. Mit ihm bin ich mir vollkommen einig. Lesen Sie doch noch mal nach!
Dann sind wir aber schon bei der nächsten Frage: Was ist Verteilungsgerechtigkeit? Wenn jeder das hat, was er erwirtschaftet? Wenn jeder gleich viel hat? Oder irgendwo dazwischen? Auch diese Debatte wird noch geführt werden.
Beste Grüße
Patrick Bernau