Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Warum die Aktien nicht haussieren

Seit dem Beginn des Anleihekaufprogramms der EZB sind in Deutschland die Aktienkurse um knapp 20 Prozent gefallen und nicht gestiegen, wie es die These einer generellen Vermögenspreisinflation unterstellt. Eine Erklärung liefern alte Arbeiten James Tobins.

Als die EZB im März 2015 mit Anleihekäufen von 60 Milliarden Euro im Monat begann, stand der Dax bei gut 12.000 Punkten. Heute steht der Dax mit rund 10.000 Punkten fast 20 Prozent niedriger, und darin sind die in der Zwischenzeit ausgeschütteten Dividenden eingerechnet. Vor fast zwei Wochen hat die EZB eine unerwartet kräftige weitere Lockerung ihrer Geldpolitik angekündigt, die unter anderem das Anleihekaufprogramm umfasst, denn nun sollen auch Unternehmensanleihen angekauft werden. Dem Aktienmarkt hat diese Ankündigung keine Flügel verliehen.

Was ist da los? Sollten Anleihekaufprogramme von Zentralbanken denn nicht auch auf anderen Vermögensmärkten wie dem Aktienmarkt Kurssteigerungen auslösen? Wir erinnern zunächst an einen früheren Beitrag, der zeigt, wie in einer Welt perfekter Kapitalmärkte und rationaler Erwartungen Anleihekäufe von Zentralbanken in der Theorie überhaupt keine Wirkungen zeigen dürften – dieses Konzept heißt Wallace-Neutralität. Dem kann man entgegenhalten, dass in der realen Welt Kapitalmärkte nicht perfekt sind und die Annahme rationaler Erwartungen arg heroisch ist.

 
Aber auch dann ist es nicht offensichtlich, dass Anleihekaufprogramme die Aktienkurse treiben müssen. Denn zum einen reagiert der Aktienmarkt keineswegs nur auf die Geldpolitik. Langfristig sind die wirtschaftlichen Aussichten der Unternehmen wichtig und hier gibt die laufende Berichtssaison Anlass zur Beunruhigung.  Außerdem wirken auf den Aktienmarkt politische und wirtschaftliche Ereignisse aus aller Welt wie der Ölpreisverfall oder Sorgen um das chinesische Wirtschaftswachstum ein, die von der Geldpolitik der EZB nicht gesteuert werden können.
 

Außerdem funktioniert ein den Anleihekäufen zugeschriebener Mechanismus, der zum Anstieg der Aktienkurse führen soll, zumindest in der Eurozone nicht gut. Dabei geht es um die These, dass von niedrigen Verzinsungen für Bankeinlagen und sichere Anleihen enttäuschte Anleger einen Teil ihres Vermögens in riskantere, aber damit auch chancenreichere Kapitalanlagen umschichten, zu denen neben Anleihen mit schlechteren Ratings eben auch Aktien zählen. Dieser Umschichtungsprozess findet aber nicht wie erwartet statt. Sehr wohl haben viele Anleger, die bisher überwiegend konservativ investiert waren, auch Anleihen mit schwächerer Bonität in ihre Depots aufgenommen. Aber um Aktien machen sie nach wie vor einen großen Bogen.

Warum das so ist, zeigt ein Vergleich zwischen einer bombensicheren Bundesanleihe oder eines bombensicheren Pfandbriefs auf der einen Seite und einer Aktie auf der anderen Seite. Diese Finanzprodukte sind völlig verschieden, worauf zuerst vor rund einem halben Jahrhundert der amerikanische Ökonom James Tobin hingewiesen hat, der später den Nobelpreis erhielt. Tobin hat seine Ausführungen Mitte der sechziger Jahre für interessierte Laien in seinem “Essay on the Principles of Debt Management” veröffentlicht. Ende der siebziger Jahre wurde der Essay in deutscher Sprache in einem Buch “Grundsätze der Geld- und Staatsschuldenpolitik” mit einer lehrreichen Einführung aus der Feder Dieter Duwendags veröffentlicht.

 

Tobins Portfoliotheorie

Wichtig ist: Tobin bricht in seiner Arbeit mit traditionellen und noch heute verbreiteten Vorstellungen über die Wahrnehmung von Kapitalanlagen durch Sparer. In der Tradition von Ökonomen der Cambridge-School wie Alfred Marshall und John Maynard Keynes hatte man früher in ökonomischen Modellen unterschieden zwischen Geld als üblicherweise nicht oder kaum verzinstem Vermögensgut und einem Vermögensgut, das einen finanziellen Ertrag verspricht. Bei der Behandlung dieses Vermögensgutes wurde aber nicht zwischen Anleihen und Aktien unterschieden, das heißt, es wurde implizit angenommen, dass Aktien und Anleihen aus der Sicht von Anlegern sehr gute Substitute sind. Wenn in einer solchen Welt als Folge von Zentralbankkäufen die Kurse von Anleihen steigen sollten, müssten die Anleger darauf mit Käufen von Aktien reagieren und damit auch deren Kurse treiben. Das ist, wie gesagt, die traditionelle Denkweise.

Tobin hatte einen anderen Ansatz. Vergleichen wir einmal eine Bundesanleihe und einen Pfandbrief mit einer Aktie. Die Bundesanleihe und der Pfandbrief tragen eine feste Verzinsung und, wenn sie nicht während der Laufzeit verkauft werden, auch kein Kursrisiko. Das Ausfallrisiko ist sehr gering. Kurz gesagt: Diese Anlagen sind sehr sicher. Tobins Argument war, dass aufgrund dieser Eigenschaften diese Anlagen eher Bankeinlagen (und damit Geld) ähneln als Aktien. Denn gerade in einer Zeit sehr niedriger Zinsen und sehr niedriger Inflation ist der Unterschied zwischen einem Festgeld und einer Bundesanleihe nicht erheblich. Geld ist für Tobin ein Staatsschuldtitel ähnlich wie eine Staatsanleihe.

Dagegen ist nach Tobins Sichtweise der Unterschied zwischen einer Bundesanleihe und einer Aktie erheblich. Die Aktie trägt keine feste Verzinsung und das Kursrisiko ist weitaus höher als bei der Bundesanleihe. Aus der Sicht gerade risikoscheuer Anleger wird die Aktie im Vergleich zur Bundesanleihe als weitaus riskanter eingeschätzt. Wer auf der Suche nach Rendite nach Alternativen sucht, wird daher im Zweifel eher bei Anleihen schwächerer Bonität landen als bei Aktien. Dies ist genau die Erfahrung, die sich für den Euroraum heute zeigt. Der heute häufig zu hörende Satz „die Dividende ist der moderne Zins“ ist trügerisch, denn viele kontinentaleuropäische Anleger haben eine andere Wahrnehmung. Aktien sind hier keine guten Substitute für sichere Anleihen.

Dazu passen die komplizierten Entscheidungsprozesse vieler Großanleger. Die Aktienquote zu erhöhen, erfordert bei vielen Versicherern, Versorgungswerken, Pensionskassen und Stiftungen Entscheidungen durch Aufsichtsgremien. Diese Entscheidungen benötigen häufig Zeit und sind nicht selten sehr kontrovers. Innerhalb einer durch das Aufsichtsgremium vorgegebenen Aufteilung des Gesamtvermögens auf Aktien und Anleihen kann in vielen Fällen das laufende Fondsmanagement Anleihen mit sehr gutem Rating durch Anleihen mit etwas weniger gutem Rating ersetzen. Ein Beispiel sind Schwellenländeranleihen.

Die Frage, ob Anleger eher traditionell oder wie in Tobins Modell denken, ist eine rein empirische. Es gibt hier kein richtig oder falsch. Je nach der individuellen Risikopräferenz, den Anlagevorschriften und dem Anlagehorizont kann die eine Verhaltensweise so vernünftig sein wie die andere. Es spricht manches dafür, dass in vielen kontinentaleuropäischen Ländern, in denen Aktien nicht sehr geschätzt werden und die Anleger risikoscheu sind, eine Denkweise à la Tobin weit verbreitet ist. Übrigens zeigt eine empirische Arbeit aus Großbritannien, dass auch dort die Anleihekäufe der Bank of England den Aktienmarkt kaum beeinflusst haben. In den Vereinigten Staaten wiederum, wo die Aktienanlage verbreiteter ist, hat zumindest das erste Anleihekaufprogramm der Fed, das nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers kam, offenbar auf den Aktienmarkt gewirkt

Zu Ungunsten der Aktien spricht heute auch eine wachsende Konkurrenz durch sogenannte alternative Anlagen wie Beteiligungskapital oder Immobilien und Infrastruktur. Hinzu kommen von Vermögensverwaltern als neuartig bezeichnete Produkte, die in großen Depots Anleihen ersetzen sollen, aber keine Aktien sind. Dazu zählen sogenannte marktneutrale Strategien, für die es gleich ist, ob die Kurse steigen oder fallen, solange sich die Kurse nur überhaupt verändern.

Erwähnt werden sollte abschließend, dass die Frage, wie geldpolitische Impulse auf Vermögensmärkte wirken, im Kontext der Portfoliotheorie von erheblicher Bedeutung für die Konjunktur und damit für die Realwirtschaft ist. Über diese Fragen wurde in den sechziger und siebziger Jahren zwischen Ökonomen heftig debattiert. Eine Kenntnis der damaligen Überlegungen könnte modernen Ökonomen, die sich heute mit der Wirkung von Geldpolitik befassen, vielleicht hilfreich sein.