Japan überwand die Krise in den dreißiger Jahren schneller als andere Länder. Der damalige Finanzminister Korekiyo Takahashi wird gelobt für den Einsatz von Helikoptergeld. Zu Recht?
Das Verhältnis der Deutschen und der Japaner zu ihrem Geld ist maßgeblich durch die Geschichte geprägt. In Deutschland haben sich die Hyperinflation der frühen Weimarer Republik und der Währungsschnitt nach dem Zweiten Weltkrieg ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Das rät zum Misstrauen gegenüber geldpolitischen Experimenten. In Japan werde die historische Erfahrung eher durch die Deflationsepisoden der zwanziger und dreißiger Jahre bestimmt, sagen japanische Ökonomen. Sie stehen einer aktiven Geldpolitik zur Steuerung der Konjunktur häufig offener gegenüber.
Als Musterbeispiel für einen erfolgreichen Einsatz der Geldpolitik gilt die Depression 1930/31, als Japan im Gefolge der Weltwirtschaftskrise in die Deflation und Schrumpfung rutschte, aber erheblich schneller als Amerika oder Europa wieder herausfand. Das Verdienst daran wird Korekiyo Takahashi zugeschrieben, der 1931 mit 77 Jahren aus dem politischen Ruhestand geholt wurde, um das Land als Finanzminister aus der Krise zu führen. Takahashi war schon Notenbankgouverneur, viermal Finanzminister und auch Ministerpräsident gewesen. Ihm galt das Vertrauen, dass er Krisen lösen konnte.
Dreifacher Paukenschlag
Ben Bernanke, der spätere Vorsitzende der amerikanischen Zentralbank Federal Reserve, lobte 2003, Takahashi habe Japan in „brillanter“ Art und Weise aus der großen Depression gerettet. Auch Japans jetziger Notenbankgouverneur, Haruhiko Kuroda, rühmt Takahashi. Sein Vorgänger, Masaaki Shirakawa, sprach dagegen noch 2011 von der „bitteren Erfahrung“, die die Zentralbank damals gemacht habe.
Takahashi, der als Japans Keynes gefeiert wird, verabschiedete sich 1931 mit einem dreifachen Paukenschlag von der restriktiven Geld- und Finanzpolitik der Vorgängerregierung. Japan verließ umgehend den Goldstandard, in den es erst 1930 zurückgekehrt war, wertete den Yen binnen eines Jahres um mehr als 60 Prozent gegenüber dem Dollar ab und koppelte den Wechselkurs danach an das britische Pfund. Zweitens steigerte Takahashi die Ausgaben der Regierung um mehr als ein Drittel und finanzierte das durch die Bank von Japan, die Staatsanleihen kaufen musste. Die Mehrausgaben wurden so direkt mit der Notenpresse finanziert. Drittens setzte der Finanzminister den Diskontsatz von 6,57 schrittweise auf 3,65 Prozent herab. Im Gesamtergebnis verzeichnete Japan von 1932 bis 1936 eine durchschnittliche Wachstumsrate von 6,1 Prozent. Die Inflation blieb vorerst noch gering.
Eine heftige Debatte unter japanischen Ökonomen ohne klares Ergebnis dreht sich darum, ob die Abwertung, die Fiskal- oder die Geldpolitik den Ausschlag für die Erholung gaben. Einiges spricht für ein großes Gewicht der Yen-Abwertung. Nicht nur die Weltwirtschaftskrise, auch ein Aufwertungsschock durch die Rückkehr zum Goldstandard hatte Japan in die Deflation geführt. Der rasche Abschied vom Gold trieb die Inflationserwartungen in die Höhe. Die Ankündigung, dass die Zentralbank die Staatsschulden monetär verflüssigen werde, hatte dagegen keinen Einfluss auf die Inflationserwartungen, argumentieren die Ökonomen Masahiko Shibamoto und Masato Shizume.
Vorbild für Helikoptergeld?
Heute wird Takahashis Fiskal- und Geldpolitik oft als Beispiel für Helikoptergeld herangezogen. Der Name geht auf den gestorbenen Ökonomen Milton Friedman zurück. Der hatte in einem Gedankenexperiment unterstellt, dass die Zentralbank Geld wie mit dem Hubschrauber abwirft und so gleichmäßig unter die Leute bringt. Kern des Helikoptergeldes ist, dass eine Zentralbank das Schuldenmachen der Regierung durch neugeschaffenes Geld finanziert und zusichert, die damit verbundene Ausweitung der Geldbasis dauerhaft beizubehalten.
Diese Interpretation tut Takahashis Denken Gewalt an. Der Politiker war Keynesianer in dem Sinne, dass er einen temporären fiskalischen und monetären Stimulus in der Depression für notwendig hielt. Die Betonung liegt jedoch auf zeitweise. Takahashi wusste, dass Finanz- und Geldpolitik zur Solidität zurückkehren mussten. Als gelungenes Beispiel für Helikoptergeld kann die damalige Episode damit gerade nicht dienen.
Die Bank von Japan finanzierte zwar zunächst direkt die Staatsschuld, ohne Umweg über den sekundären Kapitalmarkt. Der Zentralbank gelang es aber schon in den ersten Jahren der Amtszeit von Takahashi, den Großteil der neuen Staatsschuldtitel am Kapitalmarkt zu verkaufen. Bis 1935, keine drei Jahre nach Beginn des Experiments, hatte die Bank sich so von 90 Prozent der erworbenen Staatsanleihen getrennt und den Großteil der eingespeisten Liquidität wieder aufgesaugt. Eine Zusage der Zentralbank, die Geldbasis dauerhaft auszuweiten, war das gerade nicht. Die Geldbasis stieg nicht signifikant, stellte Shirakawa 2011 fest.
Drastische Warnung vor den Risiken des Exit
Der Sündenfall, die Staatsschuld direkt durch die Zentralbank finanzieren zu lassen, zeigte sich an anderer Stelle. Der leichte Weg in die Schulden weckte den Geschmack nach mehr. Im immer stärker militaristisch geprägten Japan wurde das Gelddrucken probates Mittel, um die Aggression in China und Südostasien zu finanzieren. Als Takahashi versuchte, das Defizit zu reduzieren und den Zuwachs der Militärausgaben zu stoppen, wurde er am 26. Februar 1936 von rebellierenden Offizieren ermordet. Die monetär finanzierte Expansion der Staatsausgaben zur Kriegsfinanzierung ging beschleunigt weiter; die Inflation erreichte zweistellige Höhen.
Das tragische Ende Takahashis lässt ihn im Rückblick weniger als genialen Finanzminister erscheinen, sondern als keynesianischen Zauberlehrling, der die Kräfte, die er rief, nicht im Zaume halten konnte. Für andere Finanzpolitiker und Zentralbanker, die gewagte Experimente beenden müssen, ist das eine drastische Warnung. Die Episode lässt sich aber auch anders deuten. Die Präsenz von Takahashi sei das Mittel der fiskalischen Disziplin gewesen, schreibt Masato Shizume. Es habe jedoch ein formaler Mechanismus gefehlt, um die Nachfragewünsche des Militärs in Schach zu halten. In die Sprache der Ordnungspolitik übersetzt, heißt das: Man sollte sich nicht auf das Charisma eines Mannes verlassen, sondern auf klare Regeln, die Fiskal- und Geldpolitiker in die Schranken verweisen.
Der Text erschien als „Sonntagsökonom” am 1. Mai in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
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