Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

“Freie Fahrt für den Negativzins!”

Marvin Goodfriend sagt: Anleihekäufe bringen wenig außer Risiken. Und da die langfristigen Anleiherenditen sehr niedrig bleiben werden, braucht die Geldpolitik die Möglichkeit eines negativen Leitzinses. Das bedeutet: Bargeld muss unattraktiv werden.

Das diesjährige geldpolitische Treffen in Jackson Hole stand unter der interessanten Überschrift “Entwicklung widerstandsfähiger geldpolitischer Rahmenbedingungen für die Zukunft”. In den Vorträgen ging es weniger um langfristige geldpolitische Strategien, sondern um die richtige Wahl und den Einsatz geldpolitischer Instrumente. Wie sich heute und in weiteren Beiträgen zeigen wird, gingen die Ansichten weit auseinander – ein Hinweis darauf, dass die Wahrheit nicht einfach auf der Straße liegt und spannende Debatten auf die an Geldpolitik Interessierten warten.

Ein bemerkenswert engagiertes Plädoyer für den negativen Leitzins hielt der amerikanische Ökonom Marvin Goodfriend, ein sehr erfahrener Mann in Fragen der Geldpolitik. Das Plädoyer kommt in einer Zeit, in der die Zweifel am negativen Leitzins eher zunehmen; auch aus der amerikanischen Notenbank selbst waren früher sehr zurückhaltende Stimmen zu vernehmen.

Goodfriends Motto “Befreit die Geldpolitik von der Zinsuntergrenze” beruht auf seiner Überzeugung, dass ein negativer Leitzins möglich sein muss, um in künftigen Wirtschaftskrisen überhaupt mit Erfolgsaussichten eine expansive Geldpolitik betreiben zu können. Drei wichtige Annahmen schickt Goodfriend seiner Analyse voraus:

  • Erstens nimmt er an, dass die Renditen von Staatsanleihen niedrig bleiben werden als Folge eines gesunkenen Realzinses (auf den die Geldpolitik kaum Einfluss hat) und absehbar sehr niedriger Inflationsraten: “First, an exceptional range of identifiable long-lasting global factors, pessimistic aboutfuture relative to current income prospects, is plausibly putting downward pressure on the intertemporal terms of trade and the natural interest rate. Second, the behavior of market interest rates in the past two decades is consistent with the growing plausible pessimism likely to persist indefinitely.”
  • Zweitens äußert sich Goodfriend sehr skeptisch gegenüber Anleihekäufen als geldpolitischem Instrument, unter anderem wegen ihrer engen Verbindung zur Finanzpolitik: “Pressure to rely more heavily on balance sheet policy in lieu of interest rate policy will tempt central banks increasingly to exert stimulus by fiscal policy via distortionary credit allocation, the assumption of credit risk, and maturity transformation, all taking risks on behalf of taxpayers, and all moving central banks ever closer to destructive inflationary finance.”
  • Drittens betrachtet Goodfriend Zinspolitik als ein sehr mächtiges und wenig problematisches geldpolitisches Instrument: “Interest rate policy is far superior, being necessary and potentially sufficient for countercyclical stabilization purposes. Interest rate policy is by far the most flexible, the least intrusive of markets, and has proven capable of targeting low inflation. Moreover interest rate policy can be managed credibly, reasonably free of politics, by an independent central bank because it makes little or no use of fiscal resources. Interest rate policy is merely about shadowing the natural interest rate to yield the best stabilization of employment and inflation that monetary policy alone can deliver.” Knapper und zugleich prägnanter kann man es kaum ausdrücken.

Expansive Geldpolitik mithilfe von kurzfristigen Leitzinsen funktioniert nur, wenn der kurzfristige Leitzins deutlich unter die langfristigen Anleiherenditen gesenkt werden kann.1) Unter der Annahme, dass die Anleiherenditen noch lange nahe Null bleiben werden, folgt aus dieser Argumentation die Notwendigkeit, den kurzfristigen Leitzins unter Null senken zu können. Für Goodfriend, einen Kenner der Geschichte der Geldpolitik, besitzt ein solches Niederlegen der Nullzinsgrenze eine ähnliche Bedeutung für die Geldpolitik wie die Abkehr vom Goldstandard und die Aufgabe eines Regimes fester Wechselkurse.

Nun steht negativen Leitzinsen jedenfalls ab einem bestimmten Niveau das Bargeld entgegen: Wird der negative Zins aus Sicht der Geldhalter zu hoch, könnten sie Bankeinlagen durch Bargeld substituieren und damit den Negativzins konterkarieren. Goodfriend will dieses Problem lösen, indem er das bisher feste Austauschverhältnis von Bankeinlagen und Bargeld unter anderem abhängig von der Zinshöhe flexibilisieren will. Bargeld wird in diesem Modell nicht verboten, aber finanziell als Alternative zur Bankeinlage auch bei einem Negativzins unattraktiv gemacht.2)

Solche Vorschläge sind nicht neu, aber bemerkenswert ist der Schluss von Goodfriends Ausführungen. Er betont, dass die Sparer in einer Welt, in der sie weder Inflation noch Deflation zu fürchten haben, Anreize besitzen, bisher in Form von Bankeinlagen gehaltene Ersparnisse in länger laufende Sparformen zu transferieren, womit sie einem Negativzins auf Einlagen ausweichen könnten, während die Geldpolitik Negativzinsen verhängen könnte, ohne sich Sorgen um die Sparer machen zu müssen. Auf diese Weise, so Goodfriend, ließe sich die Öffentlichkeit für das Konzept des Negativzinses gewinnen.3) Das ist ein interessanter Gedanke, über den sich auch dann nachzudenken lohnt, wenn man ihn nicht teilt.

 


  1. “For example, to stimulate the recovery from each of the eight recessions experienced in the United States since 1960, the Fed pushed its federal funds rate policy instrument more than 2 ½ percentage points below the 10-year nominal Treasury bond rate, and on five of those occasions the Fed cut the federal funds rate over 3½ percentage points below the bond rate.” (Goodfriend)
  2. “To sum up, the method of unencumbering interest rate policy by floating the deposit/reserves price of paper currency is attractive in many ways. The regime completely removes the zero bound encumbrance with relatively few technological or institutional requirements for implementation. In principle, the deposit/reserve price of paper currency could be floated relatively expeditiously, if need be, in a future crisis. Most of what is needed involves clarifying that henceforth taxes would be assessed in units of deposits and that contracts previously written in the national unit of account henceforth would be enforced in terms of deposits.” (Goodfriend)
  3. “With inflation credibly under control, the public could safely hold longer term nominal bonds to minimize its exposure to negative short term interest rates. Thus, we can imagine a mutually reinforcing equilibrium in which the public extends the maturity of its savings and the central bank with the public’s support feels free to pursue negative nominal interest rate policy whenever required to perpetuate full employment and price stability. The idea of negative nominal interest rates takes some getting used to, but it should be possible to make the public aware eventually that such flexibility in short term interest rates is well worth it to provide better employment security and more secure lifetime savings.” (Goodfriend)