Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Eine Antwort auf das Produktivitätsrätsel?

Wir haben kürzlich gezeigt, dass an den Finanzmärkten ein ehemals eherner Grundsatz, die gedeckte Zinsparität, seit einiger Zeit nicht mehr gilt. Was soll’s, mag man fragen. Nun, vielleicht lassen sich damit Antworten für zwei andere Rätsel finden: Die enttäuschende Entwicklung der Produktivität in vielen Ländern und eine unerwartet lahme Entwicklung des Welthandels.

In unserem Beitrag über die gedeckte Zinsparität hatten wir die auffallende Tatsache thematisiert, dass es an den Finanzmärkten mittlerweile für identische Finanzprodukte in zwei Währungen längerfristig deutlich unterschiedliche Preise geben kann, ohne dass Arbitrageure mit für sie vorteilhaften Geschäften für einen Preisausgleich sorgen. Als einen wesentlichen Grund für diese “Grenzen der Arbitrage” hatten wir auf die schwächere Verfassung der Banken verwiesen, die sich, um ihre Bilanzentwicklung unter Kontrolle zu behalten, aus früher gewährten Finanzierungen zurückgezogen haben. 1)

Nun könnte man fragen: Wo ist der Schaden, wenn an Finanzmärkten die Preisbildung nicht wie im Lehrbuch stattfindet? Se-Jik Kim und Hyun Song Shin versuchen in einer interessanten Arbeit einen Zusammenhang zwischen gedeckter Zinsparität, schwacher Produktivitätsentwicklung und auffallend lahmer Entwicklung des Welthandels zu zeigen. Mit anderen Worten: Ineffizienzen in der Finanzsphäre haben nachteilige Folgen für die Realwirtschaft. Ihr wichtigstes Beobachtungsobjekt ist die internationale Güterproduktion und ihr Analysewerkzeug ist ein seltener Gast in der modernen Ökonomik: Böhm-Bawerks Kapitaltheorie.

Wir zeigen hier nur kurz den Gedankengang der Autoren und verweisen interessierte Leser auf die Lektüre des Originalpapiers. Der Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass die physische Produktion Zeit erfordert und es daher einen kurzfristigen Finanzierungsbedarf für ein Unternehmen gibt, weil es zunächst Ausgaben für die Produktion der Güter hat und erst später die Verkaufserlöse ins Haus kommen. Sie arbeiten mit dem Begriff des “working capital”, dem Netto-Umlaufvermögen. Es errechnet sich aus der Differenz des Umlaufvermögens und den kurzfristigen finanziellen Verbindlichkeiten.

Der Ausgangspunkt ist die Erkenntnis aus der Kapitaltheorie, dass die Produktion mit der Zahl der einzelnen Stufen, das heißt: mit ihrer Dauer,  werthaltiger wird. Diese Werthaltigkeit wird sich in Form eines Produktivitätswachstums zeigen. Andererseits wird das Umlaufvermögen, darunter die Lagerhaltung, umso größer, je länger der Produktionsprozess dauert – und dieses Umlaufvermögen muss finanziert werden. Unter der plausiblen Annahme, dass das Eigenkapital der Unternehmen zumindest kurzfristig nicht einfach gesteigert werden kann, muss das Umlaufvermögen fremdfinanziert werden, und das heißt in Praxis, ganz oder überwiegend durch Banken. Jetzt erweitern wird unser Modell noch um die Annahme, dass im Zeitalter der Globalisierung viele Produktionsprozesse durch Outsourcing international sind.

Das Unternehmen hat also folgende Optimierungsaufgabe: Die im Prinzip wünschenswerte Verlängerung der Produktion auf eine möglichst hohe Zahl von Stufen muss vereinbart werden mit den wachsenden Kosten der Finanzierung.2) Wir reden hier nicht über ein obskures Thema, sondern über die Bedingungen, unter denen Unternehmen Lagerbestände halten. Aus der Konjunkturforschung ist bekannt, dass Veränderungen des Wirtschaftswachstum stark von Veränderungen in den Lagerbeständen abhängen.

Der Rest der Geschichte ist nicht schwierig, wenn man moderne Arbeiten aus dem Gebiet “Macrofinance” kennt. In guten Zeiten finanzieren Banken das wachsende Umlaufvermögen und gestatten damit sowohl eine Verlängerung der Produktionsumwege, um Böhm-Bawerks Ausdruck zu gebrauchen, ebenso wie die Globalisierung der Produktion. Sobald jedoch der Finanzierungsspielraum der Banken geringer wird – zum Beispiel, weil sie nach einer Krise arm an Eigenkapital sind und sich daher mit Ausweitungen ihrer Bilanz durch Kreditvergabe zurückhalten – wird für die Unternehmen die Finanzierung ihres Umlaufvermögens schwieriger mit dem Ergebnis einer Verkürzung von Produktionsumwegen und einer weniger globalisierten Produktion.

Somit ist in der Veränderung des Umfelds eine Ursache für so unterschiedliche Phänomene wie das Nicht-Funktionieren der gedeckten Zinsparität sowie der enttäuschenden Entwicklung von Produktivität und Welthandel zu sehen. Und man hat einen (weiteren) Kanal, wie die Bedingungen im Finanzsektor auf realwirtschaftliche Grüßen wirken.

Der Ansatz von Kim/Shin ist interessant, weil das Umlaufvermögen der Unternehmen und seine Finanzierung in der bisherigen “Macrofinance”-Literatur praktisch keine Rolle spielt. Wie bedeutsam der Effekt in der Praxis ist, müssen weitere Untersuchungen zeigen.

 


  1. “In practice, such arbitrage entails borrowing and lending through banks. Since hedge funds or other unregulated entities are also reliant on dealer banks to put on leveraged trades, the banking sector remains the focus of attention. If the gap persists, it is because banks do not or cannot exploit such opportunities, and does not have su¢ cient lending capacity to non-bank financial institutions so that these non-banks can close the gap either. Since bank capital determines the total exposures that can be borne by the bank, the persistence of the gap suggests that banks and other financial intermediaries do not have enough capital available to take on such transactions, or at least are putting such a high price on the use of their Balance sheet to make the trade uneconomical at these spreads.” (Kim/Shin)
  2. “If the financing is obtained from banks in the formof short-term debt, then overall credit conditions ruling in the economy will affect the terms of the tradeoff between lengthening the production chain to reap efficiency gains in production versus the greater financing costs entailed in carrying larger current assets on the balance sheet…As such, financial conditions will impact the firm’s corporate finance decisions more sensitively in periods when firms use long production chains.” (Kim/Shin)