Ein Ziel expansiver Geldpolitik besteht darin, durch sinkende Zinsen die Menschen zu mehr Konsum und weniger Ersparnis anzuregen. Aber funktioniert das überhaupt in der Praxis? Eine Studie zeigt: Nicht immer und nicht überall. Und das könnte die Leistungsbilanzungleichgewichte in der Welt verstetigen.
Studenten der Wirtschaftswissenschaften lernen im ersten Semester im Fach Mikroökonomik als Ergebnis einer Preisänderung auf einem Gütermarkt einen Substitutionseffekt und einen Einkommenseffekt kennen. Die Analyse kann man auch auf die Folgen einer Zinsänderung für die Bildung von Ersparnissen anwenden.
Nehmen wir den Fall sinkender Zinsen an. Dann haben wir:
- Substitutionseffekt: Wegen der sinkenden Zinsen ist künftiger Konsum (Ersparnis) im Vergleich zu laufendem Konsum weniger attraktiv geworden. Deshalb sollten die Menschen eigentlich mehr konsumieren und weniger sparen. Das ist ein Grund, warum die Geldpolitik in einer Konjunkturschwäche darauf setzt, mit Leitzinssenkungen den Konsum und damit das Wirtschaftswachstum zu beleben.
- Einkommenseffekt: Wegen der sinkenden Zinsen sinken auch die Erträge auf vorhandene Ersparnisse. Falls die Menschen aber eine bestimmte Summe für die Zukunft sparen wollen (zum Beispiel als Altersvorsorge oder als Notgroschen für schlechte Zeiten), veranlassen die sinkenden Zinsen die Menschen dazu, mehr zu sparen und weniger zu konsumieren.
Der Substitutionseffekt und der Einkommenseffekt sind gegenläufig und die Frage ist, welcher Effekt in der Praxis dominiert. Üblicherweise geht man davon aus, dass der Substitutionseffekt den Einkommenseffekt dominiert – das heißt, dass als Folge einer Zinssenkung die Ersparnisbildung sinkt, so wie es im Lehrbuch steht. Allerdings zeigen empirische Untersuchungen, dass zwischen 2000 und 2010 in der Volksrepublik China der umgekehrte Zusammenhang galt. Und da außerdem spätestens mit der Ankunft negativer Nominalzinsen in einigen Industrienationen auch dort eine Debatte über den Einkommens- und den Substitutionseffekt einsetzte, haben drei Ökonomen einmal nachgeschaut und für den Zeitraum von 1995 bis 2014 die Situation in 135 Ländern empirisch überprüft.
Zwei Vorbemerkungen, bevor wir zu den Ergebnissen kommen: Erstens verwenden die Autoren aus datentechnischen Gründen die Ersparnis des Privatsektors einer Wirtschaft und nicht nur die Ersparnis der privaten Haushalte. Und zweitens schauen sie, im Einklang mit der Theorie, auf den Realzins.
Zusammenfassend für die 135 Länder zeigt die Untersuchung, dass der Substitutionseffekt dominiert, das heißt, dass sinkende Zinsen zu weniger Ersparnisbildung führen. Aber der Effekt ist nicht sehr stark ausgeprägt. Das hat die Autoren dazu veranlasst, etwas genau hinzuschauen.
So zeigt sich, dass der Effekt schwächer wird, wenn der Nominalzins besonders niedrig ist. Das passt zu der Ansicht, dass sehr niedrige – und vielleicht sogar negative – Nominalzinsen Unsicherheit erzeugen und die Menschen daher aus Vorsichtsgründen Ersparnisse bilden. Das konterkariert eine sehr expansive Geldpolitik.1)
Die Situation kann sich sogar umkehren, wenn die Bevölkerung im Durchschnitt alt ist oder starke Schwankungen des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beobachtet werden. Dann lassen Ersparnisse aus Vorsicht den Einkommenseffekt dominieren, das heißt, als Ergebnis sinkender Zinsen steigt die Ersparnisbildung.
“Anfällig” für den Einkommenseffekt sind besonders Länder in Asien. Da empirisch nachweisbar ist, dass die Zinsen in den Industrienationen auch die Zinsen in Schwellenländern beeinflussen, führt eine sehr expansive Geldpolitik in den Industrienationen zu niedrigerer Ersparnisbildung, aber in Asien zu höherer Ersparnisbildung – was die Leistungsbilanzungleichgewichte verstetigt.
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“In an environment in which the interest rate is extremely low, the income effect may, for example,outweigh the substitution effect. In other words, in such an environment, agents may be worried about the possibility of not meeting financial investment objectives such as retirement, and therefore try to overcome the low return by increasing the aggregate volume of saving. In this case, lower interest-rate levels would lead to higher levels of saving. Or, the effect of the interest rate on saving may differ depending on macroeconomic or demographical conditions or policy Environment.”
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Sparen die Menschen überhaupt?
In einem Sozialstaat, wo der Staat das Leben der Menschen plant, für sie vorsorgt und das Sparen organisiert, braucht der normale Mensch nicht zu sparen.
Kausalität vs Korrelation?
Interessehalber und ohne das verlinkte Paper gelesen zu haben: wie wird denn bewiesen, dass sinkende Zinsen kausal für die Ersparnisbildung sind? Dass sie korrelliert sind: fein. Aber wird tatsächlich Kausalität bewieden? Das im FAZ-Text genannte Beispiel zu älteren Gesellschaften scheint mir persönlich genau in umgekehrter Kausalkette plausibel: Ältere Leute investieren weniger als junge Leute. Daher schwindet in alternden Gesellschaften die Nachfrage nach Kapital. Daher könnte in alternden Gesellschaften der Preis von Kapital, also der Zins, sinken. Im Artikel ist die Kausalkette umgekehrt. Wurde mal bewiesen, in welcher Richtung die Kausalkette arbeitet?
[…] Fazit: Sparen die Menschen weniger, weil die Zinsen sinken? […]
So So
also auf den Realzins zu schauen macht Sinn, aber Privat Verbraucher und Privatwirtschaft zusammenzufassen ergibt am Ende Eine Aussage in der sich womöglich nicht alle wiederfinden werden können. Besser wären zwei Aussagen wo dann schon mehr zustimmen könnten. Frage and die VWLer: kann es sein dass reiche Unternehmer und Einkommensbezieher nicht wissen wohin mit dem Geld und daher sparen, und das dieser Anteil Gesamtsummenmäßig diejenigen die nicht oder nur sehr wenig sparen insgesamt bei weitem übertrifft ? Warum soll man auch Investieren wenn jede zusätzliche Kapazität nur Druck auf die Rentabilität schafft da der Absatz stockt ? Geld was nicht investiert wird, sondern am Rentenmarkt angelegt wird schafft somit auch Druck auf die Zinsen.
Anderes Thema
“Frage and die VWLer: kann es sein dass reiche Unternehmer und Einkommensbezieher nicht wissen wohin mit dem Geld und daher sparen, und das dieser Anteil Gesamtsummenmäßig diejenigen die nicht oder nur sehr wenig sparen insgesamt bei weitem übertrifft ? Warum soll man auch Investieren wenn jede zusätzliche Kapazität nur Druck auf die Rentabilität schafft da der Absatz stockt ? Geld was nicht investiert wird, sondern am Rentenmarkt angelegt wird schafft somit auch Druck auf die Zinsen.”
Das kann schon sein, aber darum geht es in der Untersuchung doch gar nicht.
Sie stellen die Frage, wie Einkommen/Vermögen auf den Zins wirken, die von mir zitierte Studie untersucht die Wirkung von Zinsänderungen auf Konsum-/Sparentscheidungen.
Zu dem von Ihnen erwähnten Thema gibt es Arbeiten in FAZIT – benutzen Sie doch die Suchfunktion.
Gruß
gb
Variabel verzinsliche Immobilienkredite in den USA
In den USA sind haben ueber 90% aller privaten Immobilienkredite einen langfristigen Festzinssatz, in der Regel ueber anfaenglich ueber 30 Jahre, also deutlich laenger als in Deutschland. Was Hr. Kalupner hierzu schreibt ist falsch. Lediglich in den drei oder vier Jahren vor 2007 lag der Anteil der variabel verzinslichen Kredit voerruebergehend ueber 50%. Davor und danach hatte und hat die grosse Mehrzahl aller Kreditnehmer Immobiliendarlehen mit langfr. Festzinssaetzen.
Für den nicht-Volkswirt hören sich diese Erklärungen so an,
als würde nach den Beobachtungen nach einer passenden Erklärung gesucht. Der Glaube an die Vorhersagequalität der Wirtschsftswissenschaften stärkt das nicht gerade. (Man könnte von einer post-faktischen Methodik sprechen.)
Als Volkswirt finde ich die Ergebnisse nicht überaus erstaunlich.
Und die Methodik stammt aus einer Zeit, in der das Wort “post-faktisch” noch gar nicht existierte.
Gruß
gb
zum ignorierten Mega-Einkommenseffekt
Mit höheren Zinssätzen steigen die Zinseinkommen der Vermögenden, die aber deshalb ihren Lebensstil nicht verändern, und Konsumausgaben nicht erhöhen – sondern ihr Vermögen steigen sehen. Gleichzeitig nimmt die Konsumnachfrage der Kreditnehmer, wie Häuslibauer, mit steigenden Zinssätzen ab. Das gilt besonders in VWschaften, in denen Variabelzins-Kredite üblich sind, wie in den USA. Das volkswirtschaftliche Sparvolumen steigt also. Er ist in Wohlstands-/entwickelten Industrie-Staaten unübersehbar und eigentlich nicht zu ignorieren. Dass diese rechnerisch leicht zu quantifizierenden Effekten von sinkenden/steigenden Zinssätzen in der Studie nicht erwähnt wird, deutet auf einen professionellen Denksystemfehler, d.h. er ist sicherlich nicht zufällig. Keiner forscht da weiter. Keynes hat diesen Trivialeffekt der Zinsveränderungen auch nicht in sein Modell aufgenommen.
Meine Hypothese für diese Modell- und Theorielücke: Es zerstört die Eignung der Wirtschaftswissenschaften für die Aufrichtung des herrschenden Wachstumszwang-Régime.
Substitutions-/Einkommenseffekte werden aus Psycho-/Verhaltens-Black Box abgeleitet
… statt die Zusammenhänge zw. Zinssatz und Sparvolumen mit einfachen Modellen zu errechnen, in denen dann Funktionsbeziehungen quantitativ berechenbar sind und mit mathematischen Modellgleichungen einfachst darzustellen sind.
Das fiel mir bei diesem Aufsatz noch auf. Mein Schluß daraus: hier wird systematisch verwirrt und verschleiert.
Verschleierung war schon immer ein Mittel der herrschenden Macht-Nr.1.
Als Ex-IGMetaller weiß ich aus eigener Biographie, dass der IGM-Vorstand in den wissenschaftlichen und medialen und politischen Verschleierungszwang zentral eingebunden ist. Das Märchen vom Rumpelstilzchen klärt hier auf. Es erzählt von dem Aufstieg von Trägern eines Wissensvorsprung zur geheimen Macht-Nr.1, die unerkannt herrschen, bis einer drauf kommt. Wenn ffentlich bekannt wird, wie und was verschleiert wurde, dann wird sich die IGMetall vom Verschleierer trennen müssen.
Hier wurde weder “verwirrt, noch verschleiert”, sondern auf Konzepte zurückgegriffen, die im ersten Semester Wirtschaftswissenschaften gelehrt werden.
Gruß
gb.