Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Hat die Makroökonomik eine Geschichte?

Kritiker der gegenwärtigen Volkswirtschaftslehre treten unter anderem für die Vermittlung theoriegeschichtlichen Wissens ein. Hier sind ein paar Tipps zur Geschichte der Makroökonomik.

Die nachfolgenden Lektüreempfehlungen zur makroökonomischen Dogmengeschichte sind natürlich nicht umfassend und notwendigerweise subjektiv. Jeder Text erfordert zumindest Grundkenntnisse in Makroökonomik. Weitere Lektürevorschläge werden gerne entgegen genommen.

 

A) Bücher

  • Peter Spahn: Streit um die Makroökonomie. Marburg 2016. Wir haben dieses sehr lesenswerte Buch vor ein paar Monaten ausführlich in FAZIT besprochen. Der Untertitel “Theoriegeschichtliche Debatten von Wicksell bis Woodford” verrät schon ein wenig, was den Leser erwartet; hier beginnt die makroökonomische Theorie mit Wicksell und nicht erst, wie in vielen anderen Darstellungen, mit Keynes. Es ist ein dicht geschriebener Text, an dem nicht zuletzt die ausführliche Behandlung der Arbeiten von Keynes erfreut.
  • Michel de Vroey: A History of Macroeconomics from Keynes to Lucas. Cambridge 2016 Der belgische Ökonom ist schon lange als Autor von Arbeiten zur makroökonomischen Theorie bekannt. Nun hat er auf der Grundlage zahlreicher einzelner Untersuchungen ein zusammenfassendes Werk geschrieben. De Vroey legt großen Wert auf die Unterscheidung zwischen einem Ansatz à la Marshall und einem Ansatz à la Walras; man könnte auch sagen, er betont den Unterschied zwischen Partial- und Totalanalyse. Zur Orientierung zitiere ich aus dem “Waschzettel” des Verlags:  “In the Keynesian era, the book studies the following theories: Keynesian macroeconomics, monetarism, disequilibrium macroeconomics (Patinkin, Leijongufvud and Clower), non-Walrasian equilibrium models, and first-generation new Keynesian models. Three stages are identified in the DSGE era: new classical macroeconomics (Lucas), RBC modelling, and second-generation new Keynesian modeling. The book also examines a few selected works aimed at presenting alternatives to Lucasian macroeconomics.”
  • Brian Snowdon and Howard R. Vane: Modern Macroeconomics. Cheltenham 2005 Das Buch ist nicht mehr ganz neu und mit rund 800 Seiten zu voluminös, um handlich zu sein. Aber in zweierlei Hinsicht ragt es hervor: Es beinhaltet zum einen Interviews mit Größen wie Friedman, Tobin, Lucas und Prescott. Und es enthält neben einer Darstellung der traditionellen Theoriegeschichte von Keynes bis Lucas spezielle Kapitel, die sich mit dem Postkeynesianismus, der Österreichischen Schule, der Theorie der politischen Ökonomie und der Wachstumstheorie befassen. Insofern reicht das Buch weit über den Mainstream hinaus.
  • Robert W. Dimand: James Tobin. London 2014 Ein nicht sehr dickes und leider sehr teures, aber auch sehr interessantes Buch, das nur einen Ökonomen behandelt – aber nicht irgend einen. James Tobin (1918 bis 2002) war einer der führenden Makroökonomen seiner Zeit, dessen Arbeiten einerseits von der Generation der Lucas/Prescott/Woodford abgelegt wurden, dessen Themen aber in der modernen Macrofinance-Literatur wieder aufgenommen werden. Auch wenn seine alten Modelle in der heutigen Zeit nicht mehr verwendet werden, ist Tobin, der früh die Bedeutung von Geld und Finanzmärkten für den Wirtschaftsprozess erkannt hatte, im übertragenen Sinne up to date.
  • Ingo Barens und Volker Caspari (Hrsg.): Das IS-LM-Modell. Marburg 1994 Das IS-LM-Modell mag umstritten und in der Forschung tot sein, aber im Lehrbetrieb hält es sich unverdrossen. Die vorliegende Aufsatzsammlung zeigt unter anderem, dass dieses Modell bei weitem nicht so simpel ist, wie es dem oberflächlichen Studenten erscheint.

 

B) Aufsätze:

  • Ohne auf einzelnene Papiere gesondert zu verweisen, ist die Lektüre dogmengeschichtlicher Aufsätze von David Laidler und Axel Leijonhufvud sehr zu empfehlen. Es ist ebenso empfehlenswert, in den Publikationslisten deutschsprachiger Autoren wie Heinz D. Kurz oder Harald Hagemann nachzuschauen sowie die Internetseite des Ausschusses für die Geschichte der Wirtschaftswissenschaften im Verein für Socialpolitik zu konsultieren. In der englischsprachigen Welt ist das Center for the History of Political Economy (Hope) eine Anlaufstelle.
  • Olivier Blanchard: What do we know about Macroeconomics that Fisher and Wicksell did not? (2000) Der Aufsatz stammt von einem modernen Makroökonomen und er ist allen modernen Makroökonomen zu empfehlen, die sich die Geschichte ihres Faches als eine Art natürlicher Entwicklung vorstellen, in der Simpel mit guten einzelnen Ideen wie Wicksell (1890 bis 1940) einer Truppe von leidlich begabten Leuten wie Samuelson und Friedman (1940 bis 1980) vorangingen. Ab 1980 dann  sorgten helle Köpfe dafür, dass die Makroökonomik mit noch heute geltenden Prinzipien zu einer seriösen Wissenschaft wurde.
  • Michael Woodford: Revolution and Evolution in Twentieth-Century-Macroeconomics (1999). Woodford zählt wie Blanchard zu den führenden Makroökonomen – aber Woodfords Aufsatz ist sehr viel inhaltsreicher und gleichzeitig weniger arrogant gegenüber den Altmeistern. Wer nur einen der beiden Aufsätze lesen möchte, ist bei Woodford deutlich besser aufgehoben.
  • Perry Mehrling: The Development of Macroeconomics and the Revolution in Finance (2005): Mehrling bestreitet die Argumentation von Blanchard und Woodford, nach der die Makroökonomik der frühen Nachkriegszeit an theoretischen Schwächen gescheitert sei. Er argumentiert, dass sich die Welt unter dem Einfluss des Finanzsektors geändert habe und die damalige Theorie daran gescheitert sei, diese Veränderungen zu erklären.
  • Otmar Issing and Volker Wieland: Monetary Theory and Monetary Policy: Reflections on the development over the last 150 years (2012). Ein kurzer Überblick über 150 Jahre Denken über Geldtheorie und Geldpolitik. Der Aufsatz kann viele Themen natürlich nur anreißen, aber er ist als Einstieg gut geeignet.
  • Marvin Goodfriend: How the World achieved Consensus on Monetary Policy (2007) Geschrieben vor Ausbruch der Finanzkrise, beschreibt der Artikel sehr schön, wie sich aus den Auseinandersetzungen der siebziger Jahre im Laufe der Zeit ein geldpolitischer Konsens herausbildete – der heute kein Konsens mehr ist.