Neue Wertpapiere mit Namen “ESBies” sollen Anlegern einen sicheren Hafen bieten und die Verbindung zwischen Banken und Staaten lockern. Anders als bei Eurobonds sieht das Konzept keine nationale Haftung vor. Jetzt prüft die EU-Kommission das Vorhaben. Aber es gibt Widerstand aus Deutschland, da Bundesregierung und Bundesbank eine nationale Haftung durch die Hintertür befürchten.
Vier Fliegen mit einer Klappe will eine Idee schlagen, als deren Folge aus europäischen Staatsanleihen ein neues Wertpapier mit dem Namen ESBies (“European Safe Bonds”) gebildet würde. Erstens erhielte die Eurozone neben Anleihen aus Ländern wie Deutschland und den Niederlanden Anleihen mit einer sehr geringen Ausfallwahrscheinlichkeit. Die hohe Bedeutung solcher sicherer Kapitalanlagen wird in jeder Krise deutlich, weil eine starke Nachfrage nach solchen Papieren ihre Kurse stark steigen und ihre Renditen stark fallen lässt. (Mit dem Thema haben wird uns in FAZIT unter anderem hier beschäftigt.)
Zweitens könnten Banken vor allem aus dem Süden der Eurozone mit dem Erwerb solcher Papiere ihre enge Bindung an die jeweiligen Staaten reduzieren, was die Gefahr einer neuen Finanzkrise in der Eurozone reduzieren würde. Denn diese Banken würden dann weniger Staatsanleihen aus dem eigenen Land halten. Die Idee läuft auch darauf hinaus, dass es damit weniger Anreize für Kapitalflucht aus einem Land der Währungsunion in andere Länder geben dürfte und sich die Wahrscheinlichkeit der Ausbreitung einer Krise von einem Land auf die gesamte Währungsunion verringerte – eine Vorstellung, an der nicht zuletzt Deutschland ein Interesse haben sollte.
Drittens erhielte die Europäische Zentralbank eine Möglichkeit, ihren Anleihebestand bei Bedarf zu verringern, indem sie die von ihr gehaltenen nationalen Staatsanleihen in ESBies bündelt und an interessierte Investoren verkauft. Das ist zwar gegenwärtig kein Thema, weil die EZB weiterhin Anleihen kauft. Aber falls sie nach einem Ende des Kaufprogramms nicht passiv warten will, bis durch Tilgungen ihr Anleihebestand einmal sinkt 1), könnte sie ihn durch die Umwandlung in ESBies aktiv verwalten. Und viertens und gerade aus deutscher Sicht besonders wichtig: Im Unterschied zu nahezu allen Versionen von Eurobonds, die in den vergangenen Jahren vorgeschlagen worden sind, existiert bei den ESBies keinerlei Haftung von Nationalstaaten.2)
Die Idee der ESBies geht auf das Jahr 2011 zurück, als sie nach Ausbruch der Eurokrise von einer Gruppe von Ökonomen vorgeschlagen wurde, in der sich auch der deutsche Princeton-Professor Markus Brunnermeier befand. Nunmehr wurde das Konzept noch einmal präzisiert 3), und wie zu hören ist, stößt es in der EZB auf Interesse. Die Grundidee ist einfach: Ein Emittent – das können staatliche Institutionen ebenso sein wie private Finanzunternehmen – bündeln Staatsanleihen aus der Eurozone in einem Portfolio, wobei sich die Anteile der Anleihen aus den einzelnen Ländern nach einem festen Schlüssel ergeben. Das kann der Anteil eines Landes am Bruttoinlandsprodukt der Eurozone sein oder der Anteil eines Landes am Eigenkapital der EZB.
Ein solches Portfolio hätte allerdings ein durchschnittlich größeres Risiko als Bundesanleihen. Um sichere Anlagen zu erzeugen, wollen die Väter der ESBies das Portfolio in zwei Tranchen aufteilen. 70 Prozent des Portfolios werden zur Ausgabe erstrangiger ESBies benutzt und die verbleibenden 30 Prozent als nachrangige European Junior Bonds (EJBies). Diese Junioranleihen sind riskanter, weil im Falle von Zahlungsausfällen nationaler Schuldner zunächst diese Anleihen Wertverluste erleiden würden. Die Junioranleihen dienen als eine Art Sicherheitspuffer für die ESBies.
Man hätte damit Wertpapiere, die in ihrer Konstruktion ein wenig an Anleihe-ETFs erinnern. Eine naheliegende Frage lautet: Reicht der Sicherheitspuffer durch die Junioranleihen aus, um die Besitzer der ESBies im Falle von Zahlungsschwierigkeiten eines oder mehrerer Euroländer abzuschirmen? Das ist die Voraussetzung, damit ESBies als deutschen Bundesanleihen vergleichbare sichere Kapitalanlagen nachgefragt werden können. Die Ökonomengruppe hat umfangreiche Simulationen vorgenommen, in denen auch eine schwere Rezession in der Eurozone angenommen wird und gelangt zu dem Schluss, dass die ESBies die Anforderungen an eine sichere Kapitalanlage erfüllen würden. Die Implementierung sollte auch aus politischen und juristischer Sicht nicht zu kompliziert sein: “Crucially, ESBies are designed with political reality in mind. They entail no joint liability among sovereigns and require no significant change in treaties or legislation.”
Wer käme als Emittent von ESBies in Frage? “Die wahrscheinlichsten Kandidaten sind private Finanzhäuser wie große Banken oder Vermögensverwalter oder eine öffentliche Institution wie der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), die Europäische Investitionsbank (EIB) oder die EZB oder sogar eine neue Europäische Schuldenagentur”, schreibt die Ökonomengruppe. Es gebe keine Exklusivität; ESBies könnten gleichzeitig von privaten und von staatlichen Emittenten begeben werden. Als Erwerber stellen sich die Verfasser unteranderem Banken vor, die bisher hohe Bestände an Staatsanleihen ihres Heimatlandes halten. Durch die mit dem Tausch nationaler Staatsanleihen in ESBies verbundene geografische Diversifizierung der Anleihenbestände lockerte sich die große Abhängigkeit der Gesundheit der Banken von der Gesundheit der Staaten.
Wie das “Handelsblatt” in seiner Ausgabe vom 27. Januar schreibt, will die EU-Kommission das ESBies-Konzept im März in ein Weißbuch aufnehmen. Allerdings gäbe es Widerstand bei Bundesregierung und Bundesbank, da dort die Befürchtung existiere, dass bei einer Emission solcher Papiere durch eine öffentliche Institution wie die EZB am Ende doch nationale Haftungsrisiken auftreten könnten. Eine solche Sorge hatte bereits der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage in seinem jüngsten Jahresgutachten geäußert. Dort heißt es einerseits lobend: “Der Hauptvorteil der ESBies liegt in der Schaffung einer sicheren europäischen Wertpapierklasse bei gleichzeitiger Wahrung der Marktdisziplin und ohne explizite Vergemeinschaftung der Risiken…Der Vorschlag ist also grundsätzlich verschieden von der Einführung von Eurobonds, bei denen eine gemeinschaftliche Haftung der Mitgliedstaaten bestünde.” Andererseits warnt der Sachverständigenrat aber auch: “Es bestehen allerdings Risiken bei der Einführung von ESBies, die durch eine angemessene Ausgestaltung begrenzt werden müssten. Insbesondere müssten implizite Haftungsrisiken ausgeschlossen werden. Dies spricht für eine private Emission der Wertpapiere, da eine öffentliche Institution einem größeren Druck ausgesetzt wäre, im Krisenfall Haftungsrisiken zu übernehmen. Außerdem müssten die Kriterien für die Ausgestaltung der ESBies dem laufenden politischen Prozess weitgehend entzogen sein.” Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium gibt zu bedenken, ESBies wären “besonders anfällig für politische Einflussnahme.”
Eine mit dem Konzept verbundene wichtige Frage lautet, wer als Käufer der riskanteren Junioranleihen aufträte, denn ohne die Ausgabe von Junioranleihen gäbe es keine ESBies. Die Ökonomengruppe ist zuversichtlich, dass die Junioranleihen für eine große Zahl von Anlegern interessant sein müssten. Aber ob diese Annahme zutrifft, könnte erst ein Markttest zeigen für die beiden neuen Wertpapiere zeigen. “Wie bei jedem neuen Markt, und besonders bei einem umfangreichen und hoch-standardisierten Emissionsprogramm, würde es eine gewisse Zeit dauern, bis sich die ESBies etablieren”, sagen die Ökonomen voraus. Dies hängt auch mit der Notwendigkeit eines liquiden Sekundärmarktes zusammen. Die EZB könne die ESBies fördern, indem sie diese Papiere bevorzugt für ihre Geldmarktgeschäfte benutze, heißt es. Der Sachverständigenrat ist in seinem Gutachten weniger zuversichtlich: “Unklar bleibt gleichwohl, ob die Einführung der ESBies die angestrebten Ziele tatsächlich erreichen kann. Vor allem stellt sich die Frage, ob die Junior-Tranchen in Krisenzeiten noch Käufer finden und ob eine Emission von ESBies dann überhaupt noch möglich ist. Es kann nicht ausgeschlossen wer-den, dass die EZB sich genötigt sähe, als Käufer der Junior-Tranchen aktiv zu werden. Eine vollständige Wiederherstellung der Marktdisziplin ist daher unwahrscheinlich. Schließlich hängt die Fähigkeit des Euro-Raums, sichere Wertpapiere zu schaffen, entscheidend von der fiskalischen Entwicklung ab.” Manche Experten sind der Ansicht, dass die ESBies erst nach einer Anpassung der Regeln, wie Banken Anleihen mit Eigenkapital unterlegen müssen, attraktiv werden können.
- Nach einem vor allem zu Beginn des EZB-Anleihekaufprogramms verbreiteten Mythos können die Bilanzsummen der Zentralbanken angeblich nicht mehr sinken, weil sie angeblich keine Anleihen verkaufen könnten. Diese Idee – auf die man allerdings kaum noch trifft – übersieht, dass Anleihen (von wenigen Ausnahmen abgesehen) im Unterschied zu Aktien eine begrenzte Laufzeit haben. Wenn eine Zentralbank gar nichts täte, verschwänden die Anleihen im Laufe der Zeit von selbst. In der Praxis ersetzen Zentralbanken wie die Fed oder die EZB fällige Anleihen durch neue Papiere, aber zwingend ist dies nicht.
- Für einen Überblick: “Other proposals for union-wide safe assets engender some form of joint liability, rendering them susceptible to political problems (since fiscal union requires political union to ensure democratic account-ability) and incentive issues (since joint liability implies moral hazard), as documented by Claessens,Mody & Vallée (2012) and Tumpel-Gugerell (2014). Common issuance of eurobonds, contemplated by the European Commission (2011) and Ubide (2015), implies joint liability. The blue-red proposal of Von Weizsacker & Delpla (2010) entails joint liability for the first 60% of a sovereign’s debt stock (relative to GDP). The “eurobills” proposal of Philippon & Hellwig (2011) involves joint issuance of short-maturity bills of up to 10% of a country’s GDP. Even the German Council of Economic Experts’ (2012) proposal for a “European Redemption Pact” involves some degree of joint liability, albeit with strict conditionality, and without leading to the creation of a union-wide safe asset. Hild, Herz & Bauer (2014) envisage a security similar to ESBies, namely a synthetic security backed by a GDP-weighted portfolio of sovereign bonds, but with partial joint liability among nation-states. To our knowledge, the only proposal for a pooled security that does not engender joint liability is that of Beck, Wagner & Uhlig (2011), whose “synthetic eurobond” is comparable to ESBies without tranching.
- Ein mathematisches Modell, das sich vor allem mit der Bedeutung für die Banken beschäftigt, ist hier.