Seit der Finanzkrise steht die Geldpolitik stärker im Interesse der Öffentlichkeit als zuvor. Intensiv diskutiert werden vor allem mögliche wirtschaftliche Folgen der aktuell betriebenen Geldpolitik. Ein weiteres, ebenfalls sehr spannendes Thema sind die Folgen dieser Jahre für die politische Unabhängigkeit der Geldpolitik.
Die erfahrenen niederländischen Ökonomen Jakob de Haan und Sylvester Eijffinger haben einen sehr interessanten Überblicksartikel veröffentlicht, der die moderne (und auch ein wenig ältere) Fachliteratur zum Thema Unabhängigkeit der Zentralbank zusammenfasst.
De Haan und Eijffinger beginnen mit der aus ökonomischen Lehrbüchern wohlbekannten Begründung der von Weisungen der Regierungen unabhängigen Zentralbank: Sie garantiert eher als Regierungen eine an der Stabilität des Preisniveaus ausgerichtete Geldpolitik, weil unabhängige Geldpolitiker weniger anfällig für das Zeitinkonsistenz-Problem sind als auf Wiederwahl schielende Politiker.
Das Argument lautet vereinfacht so: Unter der Annahme rationaler Erwartungen kann Geldpolitik nur dann realwirtschaftliche Effekte haben, wenn die Teilnehmer am Wirtschaftsleben unerwartet mit Inflation konfrontiert werden. Damit besteht ein Anreiz für Politiker, die mit Geldpolitik eine in einer Krise befindliche Wirtschaft ankurbeln wollen, stabiles Geld zu versprechen und dann plötzlich Inflation zu produzieren. Unabhängige Zentralbanken haben diesen Anreiz nicht, wobei unterstellt wird, dass diese Zentralbanker deshalb Inflation eher ablehnen als gewählte Politiker – in den einschlägigen Modellen werden diese Geldpolitiker als “konservativ” bezeichnet.
Dazu ließe sich manches schreiben, aber das ist nicht unser Thema heute. Bemerkenswert ist hingegen, dass de Haan/Eijffinger auch die moderne politikwissenschaftliche Literatur besprechen, in der die politische Unabhängigkeit der Zentralbank anders begründet wird – wer sich dafür interessiert, sei aus Platzgründen auf Haan/Eijffinger und die dort genannte Literatur verwiesen.
Anschließend diskutieren die beiden niederländischen Ökonomen drei aktuelle Gefährdungen für die Unabhängigkeit der Zentralbank:
- Die in vielen Industrienationen sehr hohe Staatsverschuldung droht eine Situation der “fiskalischen Dominanz” zu erzeugen, in der die Geldpolitik Gestaltungsspielraum verliert. In der Theorie ist das spätestens seit einer berühmten Arbeit von Sargent/Wallace aus dem Jahre 1981 bekannt und in den vergangenen Jahren suchen die Vertreter der “Fiskaltheorie des Preisniveaus” mit dem Thema nach Aufmerksamkeit. Aber eigentlich ist es erst jetzt wirklich auf die Agenda geraten.
- Seit dem Jahre 2008 haben mehrere bedeutende Zentralbanken in Industrienationen durch umfangreiche Anleihekaufprogramme ihre Bilanzsummen erheblich ausgeweitet – und damit auch Risiken in die Bilanz genommen. Für den Fall, dass Schuldner ausfallen, drohen Zentralbanken Verluste, die im Extremfall das Eigenkapital aufzehren könnten und dann – jedenfalls im Falle staatlicher Zentralbanken – die Frage aufwerfen, inwieweit die Regierung die Zentralbank finanziell unterstützen müsste, was sicherlich für deren Unabhängigkeit nicht gut wäre. Das Thema ist sehr spannend und sehr kompliziert, weil es keine holzschnittartigen Antworten zulässt. (Auch sehr erfahrene Ökonomen können hier zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen gelangen, wie eine in den vergangenen Jahren ausgetragene, ziemlich bittere Kontroverse zwischen Hans-Werner Sinn und Martin Hellwig belegt.) Aus der Tatsache, dass eine Zentralbank das gesetzliche Zahlungsmittel selbst herstellt, leitet sich ein Handlungsspielraum ab, den eine Geschäftsbank nicht hätte – wir haben vor einiger Zeit den Fall der Zentralbank Tschechiens behandelt, die jahrelang ohne jedes Eigenkapital klaglos funktionierte, ohne dass dies überhaupt einer breiten Öffentlichkeit klar war. Aber daraus folgt nicht, dass Zentralbanken unverletztlich wären. Aktualität bekommt das Thema durch sich häufende Äußerungen amerikanischer Geldpolitiker, nach denen die Fed bald anfangen könnte, ihre Bilanzsumme zu reduzieren.
- Früher haben Zentralbanken Inflation bekämpft, heute versuchen sie, (etwas) Inflation zu produzieren. Das hat zum großflächigen Einsatz ehemals ungebräuchlicher Instrumente wie Anleihekäufen geführt, die vielleicht größere Auswirkungen auf die Verteilung von Einkommen und Vermögen haben als der frühere Instrumenteneinsatz. Auch hier muss man sich vor holzschnittartigen Betrachtungen hüten. Aus der Tatsache, dass viele Leute anscheinend erst in dieser Krise von der Existenz von Verteilungseffekten von Geldpolitik gehört haben, folgt nicht, dass es früher keine Verteilungswirkungen gegeben hätte. Außerdem sind die bisher vorliegenden Analysen zu den Verteilungswirkungen moderner Geldpolitik widersprüchlich – keinesfalls ist es so, dass alle Analysen zu dem Schluss kämen, hier würden die Reichen massiv zulasten der Armen bevorteilt. So kam die Deutsche Bundesbank im vergangenen Jahr in einer Studie zur Geldpolitik der EZB zu dem Schluss: “Auf Grundlage existierender Studien und unter Berücksichtigung dieser drei Aspekte erscheint es zumindest sehr zweifelhaft, dass die expansiven geldpolitischen Sondermaßnahmen der letzten Jahre in der Gesamtschau die Ungleichheit erhöht haben.” Aber richtig ist auch, dass sich im Falle bedeutender Verteilungswirkungen die Frage stellt, ob sich Geldpolitik dann noch zurecht in der Hand von Bürokraten befindet oder ob sie nicht gewählten Politikern betrieben werden sollte.
Abschließend gehen de Haan/Eijffinger der Frage nach, ob in den letzten Jahren bereits Einschränkungen der Unabhängigkeit von Geldpolitik nachgewiesen kann. Ihre Antwort lautet: Bisher nicht. Ob es dabei bleibt?