Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Thomas Piketty und seine Fans

Haben die Ökonomen das Werk von Ungleichheits-Forscher Thomas Piketty zu weit ignoriert? Ein neues Buch soll mehr Aufmerksamkeit bringen.

© Frank RöthNicht bei jedem Ökonomen lohnt sich eine Buch-Signierstunde. Bei Thomas Piketty schon.

Drei Jahre ist es schon her, dass Thomas Piketty mit seinem Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ Furore gemacht hat. Wenn der Zins höher sei als Wirtschaftswachstum, würden die Kapitalbesitzer auf Dauer immer reicher, also auch die Erben, so argumentierte er. Und er lieferte eine ausführliche historische Analyse, die zeigen sollte, dass das in der Geschichte doch meistens der Fall war. Erst dominierte Piketty die amerikanische Diskussion, dann die deutsche. Doch inzwischen scheint es so, als sei aus seiner These die Luft raus.

Sein Buch wurde zum Bestseller, doch bald stellte das „Wall Street Journal“ fest: Kaum ein Buch bleibt nach dem Kauf so ungelesen wie dieses. Die SPD setzte unter Sigmar Gabriel und unter Martin Schulz monatelang auf eine Diskussion über Ungleichheit und soziale Gerechtigkeit, um dieses Jahr nach drei verlorenen Landtagswahlen zu sehen: Dieses Thema reicht nicht zur Mehrheit, zumindest nicht, wenn man es auf diese Weise angeht.

Und in der Wissenschaft selbst? Dort hat Piketty viele Kritiker, aber wenige Verteidiger gefunden. Auf der Jahrestagung der amerikanischen Ökonomen vor zwei Jahren kam er mit seinen Thesen so in die Kritik, dass er die Verschriftlichung seines Beitrags um einen entscheidenden Satz ergänzen musste: „Ich sehe sie nicht als einziges Werkzeug, nicht mal als das wichtigste, um die Veränderung von Einkommen und Vermögen im 20. Jahrhundert zu durchdenken oder um die Ungleichheit im 21. Jahrhundert vorherzusagen“.

Neues Buch: “After Piketty”

Jetzt allerdings haben sich noch mal einige Ökonomen mit seinem Werk auseinandergesetzt. J. Bradford Delong, Heather Boushey und Marshall Steinbaum finden, ihre Fachkollegen hätten Piketty zu weit ignoriert und nicht genügend Folgefragen angegangen. „After Piketty“ („nach Piketty“) heißt ein neuer Sammelband, in dem sie diesem Missstand abhelfen wollen.

Es ist ein Buch von Fans, wie die drei Herausgeber in ihrer Einleitung freimütig einräumen, und es versammelt einige weitere Fans, die das politische Geschehen Amerikas meist von links kommentieren, zum Beispiel Paul Krugman.

“Piketty bietet auf eine gewisse Weise Sicherheit”

Spannend wird es, wenn der Übersetzer, der Piketty aus dem Französischen ins Englische gebracht hat, über die Rezeption spricht: „Piketty bietet auf eine gewisse Weise Sicherheit, trotz seines schwarzen Ausblicks. Das zweite Gilded Age wird in vielem dem ersten ähneln, man sollte es also mit ähnlichen Methoden zähmen können.“

Andere Ungleichheitsforscher spinnen Pikettys Gedanken noch ein bisschen weiter. Branko Milanovic überlegt, was Pikettys These für die Einkommensungleichheit pro Kopf bedeuten könnte.

Wichtig ist, wie Emmanuel Saez, der oft mit Piketty zusammen publiziert, die wichtigsten anstehenden Forschungsfragen auflistet: die Ungleichheit noch genauer zu messen – und dabei festzustellen, wie die aktuelle Reichtumsverteilung zustande gekommen ist: Ist sie fair? Und: Was kann die Politik tun, um Ungleichheit zu steigern oder zu senken?

Die wichtigsten Kritiker fehlen

Die Soziologin Elisabeth Jacobs bezeichnet das deutlich als Mangel in Pikettys Buch: Was Politikwissenschaft und Soziologie über die politischen Bedingungen von Reichtum wüssten, käme zu kurz.

Die wesentlichen Kritiker Pikettys aber fehlen in dem Sammelband. Matt Rognlie zum Beispiel: Er warf Piketty vor, die Abschreibungen vergessen zu haben, und traf damit unter Ökonomen auf viel Resonanz. Gregory Mankiw betonte, Piketty vergesse, dass Erben ein Vermögen häufiger mal verlieren. Auch er ist im Buch nicht präsent. Dort wird allenfalls gelegentlich darüber lamentiert, dass Pikettys Definition von „Kapital“ unscharf ist.

Piketty selbst geht in seinem Schlusswort auch gar nicht auf die Haupt-Kritikpunkte der Diskussion um sein Buch ein. Auch die selbst abgegebene Gültigkeits-Einschränkung wiederholt er nur indirekt: Er habe sich zu wenig um die politischen Rahmenbedingungen gekümmert, schreibt er nun. Stattdessen betont er, wie sehr er sein Buch als Brückenschlag zu anderen Gesellschaftswissenschaften versteht.

Es ist ein Buch von Fans für Fans geworden. Selbst die Fans, die das Buch herausgegeben haben, kommen allerdings nur zu einem zurückhaltenden Fazit: „Hat Piketty Recht? Im Moment ist die Antwort: vielleicht.“

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Patrick Bernau