Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die Demografie senkt den Zins

Seit über drei Jahrzehnten lässt sich in den Industrienationen ein deutlicher Rückgang des Zinses und eine nachhaltige demografische Veränderung beobachten. Eines hängt vom anderen ab: Die Alterung der Gesellschaften trägt zum Zinsrückgang bei. Und daran dürfte sich wenig ändern.

Seit den frühen achtziger Jahren ist der Zins in den Industrienationen deutlich zurückgegangen. Ablesbar ist dies beispielsweise an der Rendite zehnjähriger amerikanischer Staatsanleihen: Zu Jahresbeginn 1982 betrug sie 14,6 Prozent; derzeit beläuft sie sich auf 2,4 Prozent. Die Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen stürzte in diesem Zeitraum von rund 11 auf 0,44 Prozent.

Ein Teil dieses säkularen Falls kann durch den gleichzeitigen Rückgang der Inflationsraten erklärt werden. Das ist aber nicht die ganze Geschichte. Denn auch der reale, also der um Effekte der Inflation bereinigte Zins ist in den vergangenen 35 Jahren kräftig zurückgegangen.

 

Wie die Demografie wirkt

Für diesen säkularen Rückgang des realen Zinses in den Industrienationen nennen Fachleute mehrere, sich nicht ausschließende Gründe, darunter die Demografie. Die Bevölkerungen in den Industrienationen altern auf zweierlei Weise. Zum einen sinken die Geburtenraten, während gleichzeitig die Lebenserwartung steigt. Wie wirkt nun die Alterung der Bevölkerung auf den Zins? Hier ist eine Auswahl möglicher Effekte:

  • Die längere Lebenserwartung geht mit einem längeren Ruhestand einher, wenn nicht gleichzeitig das Ruhestandsalter steigt. Menschen, die während ihres Berufslebens für das Alter sparen wollen, werden in Erwartung eines längeren Ruhestands ihre Ersparnis erhöhen. Dieser Effekt drückt den Zins.
  • Das von den Arbeitnehmern angesparte Vermögen wird während eines langen Ruhestands nur langsam abgebaut. Dieser Effekt drückt den Zins.
  • Die rückläufige Geburtenrate hat zur Folge, dass in der Wirtschaft Kapital im Vergleich zu Arbeit reichlicher wird. Dieser Effekt drückt den Zins.
  • Die rückläufige Geburtenrate hat auch zur Folge, dass es mehr Rentner im Vergleich zu aktiven Arbeitskräften gibt. Rentner haben im Durchschnitt eine niedrigere Sparquote als Arbeitnehmer. Dieser Effekt hebt den Zins.

Man sieht: Die genannten demografischen Einflüsse wirken gegensätzlich auf den Zins. Welche Einflüsse dominieren, muss durch empirische Untersuchungen geklärt werden.

 

Die Sprache der Fakten

Kürzlich wurden mehrere Studien veröffentlicht, die einen erheblichen Beitrag der Demografie auf den Zinsrückgang der vergangenen Jahrzehnte nachweisen. Wir stellen fünf Arbeiten kurz vor.

  1. Zu einem spektakulären Ergebnis gelangen drei Mitarbeiter der Bank of England in einer Schätzung für die Industrienationen und führenden Schwellenländern. Nahezu die Hälfte des Rückgangs des langfristigen realen Zinses um 3,6 Prozentpunkte seit dem Jahre 1980 lässt sich nach dieser Schätzung auf den demografischen Wandel zurückführen. Die drei Ökonomen halten die These, der Eintritt der Babyboomer in den Ruhestand werde den Druck der Demografie auf den langfristigen realen Zins zunächst neutralisieren und den Zins langfristig wieder in die Höhe treiben, für falsch. Denn der Trend zu einer immer höheren Lebenserwartung findet kein Ende.
  2. Einen erheblichen Einfluss (mehr als einen Prozentpunkt) der Demografie auf den langfristigen realen Zins zeigt eine Arbeit dreier Ökonomen, die sie mit der Entwicklung in den Vereinigten Staaten seit dem Jahre 1980 befasst. Ihre Prognose lautet, dass der dämpfende Effekt der Demografie auf den Zins sowie auf das Wirtschaftswachstum auch in den kommenden Jahren Bestand haben wird. Ursächlich für die Entwicklung ist die Generation der Babyboomer, die zunächst positiv für das Wirtschaftswachstum und den Zins war – die Autoren sprechen von einer “demografischen Dividende”. Angesichts der geringen Nachkommenschaft der Babyboomer wird diese Dividende aber aufgezehrt.
  3. Die beiden erstgenannten Arbeiten analysierten die Folgen der Demografie für den langfristigen Realzins. Wir kommen nun zu zwei Arbeiten, die auf den kurzfristigen Realzins blicken. Ein Drittel bis zur Hälfte des Rückgangs des kurzfristigen realen Zinses in den Industrienationen konstatieren drei andere Ökonomen in einer Arbeit, die den Zeitraum 1990 bis 2014 umfasst. Auch nach dieser Arbeit dürfte in den kommenden Jahren die demografische Entwicklung auf den Zins drücken; für die kommenden vier Jahrzehnte wird dieser Effekt mit 0,4 Prozentpunkten veranschlagt. Die Berechnungen zeigen, dass der Druck auf den Zins in erster Linie von der längeren Lebenserwartung und damit der Annahme eines längeren Ruhestands rührt und weniger von der rückläufigen Geburtenrate. Daher gehört zu den Empfehlungen der Autoren eine Anpassung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung.
  4. Noch eine Studie für die Vereinigten Staaten mit einem etwas anderen Ergebnis: Vom Rückgang des realen kurzfristigen Zinses um 4 Prozentpunkte seit dem Jahre 1990 entfallen nach Berechnungen eines weiteren Autorentrios rund 0,9 Prozentpunkte (also etwas mehr als ein Fünftel) auf die Demografie. Die Arbeit ist noch in der Entstehung und befasst sich nicht alleine mit dem Einfluss der Demografie auf den Zins; das besondere Interesse der Autoren gilt eventuellen Wirkungen ausgeprägter Unsicherheit auf die Zinsentwicklung.
  5. Der Einfluss der Demografie auf den Zins führt dazu, das bei der Berücksichtigung demografischer Änderungen die langfristige Prognose von Zinsentwicklungen treffsicherer wird. Darauf weisen drei Autoren in einer Arbeit hin, die kürzlich in einer Zeitschrift des Internationalen Währungsfonds erschienen ist.

 

Demografie und Leistungsbilanz

Die Ergebnisse dieser Studien laden zu interessanten Schlussfolgerungen ein – auch über den in der internationalen Öffentlichkeit so viel diskutierten hohen deutschen Leistungsbilanzüberschuss. Denn der demografische Wandel hat Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten stärker erfasst als andere Länder, zum Beispiel die Vereinigten Staaten. Dies ist ein Grund, warum der deutsche Zins im internationalen Vergleich so niedrig ist.

Der niedrige Zins in Deutschland lädt die Deutschen dazu ein, viel Geld im Ausland anzulegen. Somit ist die Demografie ein Grund für den starken deutschen Export von Kapital, der wiederum ein wesentlicher Grund für die Nachhaltigkeit des deutschen Leistungsbilanzüberschusses bildet.

Das Thema “Demografie und Leistungsbilanz” ist nicht neu. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage (“Fünf Weise”) hat sich damit in seinem Jahresgutachten 2014/15 befasst und er ist zu dem Schluss gekommen, dass die Alterung der deutschen Bevölkerung zumindest in den kommenden Jahren in Richtung einer Vergrößerung des Leistungsbilanzüberschusses wirkt. Ein wesentlicher Grund ist – wie in einigen der oben erwähnten Studien – die Bedeutung der Babyboomer, die mit Blick auf den nahenden Ruhestand viel für die Altervorsorge sparen wollen. Andererseits kann eine stärkere Einwanderung die binnenländische Nachfrage stärken. In den Worten des Sachverständigenrats:

“Der partielle Effekt der demografischen Struktur auf die Leistungsbilanz kann ökonometrisch quantifiziert und dann für eine Projektion des Einflusses der künftigen demografischen Entwicklung verwendet werden. Dabei zeigt sich, dass die Altersstrukturveränderung für sich genommen einen weiteren Anstieg der Leistungsbilanz bis zur Mitte der 2020er-Jahre begünstigen dürfte. Die Projektion reagiert dabei stark auf alternative Szenarien der Bevölkerungsentwicklung. Wenn etwa, wie seit dem Jahr 2011 zu beobachten, die Nettozuwanderung sehr viel höher als angenommen ausfallen sollte, so wäre mit einem geringeren partiellen Einfluss der demografischen Struktur auf den Leistungsbilanzsaldo zu rechnen. Es wäre dann davon auszugehen, dass insbesondere die Investitionen in Wohnbauten zu einer stärkeren inländischen Absorption beitragen.”