Es fing schon in der Schule an: Frühere Klassenkameraden beschreiben den kleinen Travis als ziemlich penetranten Typ. Ständig, so kam es ihnen vor, wollte er ihnen etwas verkaufen. In den Ferien zog er von Haustür zu Haustür, um den Leuten Küchenmessersets anzudrehen. Ziemlich nervend sei das Verhalten gewesen, sagt ein früher Wegbegleiter.
Aus dem kleinen, unverschämten Travis ist der große Uber-Boss Kalanick geworden. Sein Verhalten besserte sich nicht, es wurde eher noch schlimmer: Seine Gegner, die Taxifahrer, bezeichnete er als “Arschlöcher”, auch die eigenen Uber-Fahrer beschimpfte er bei Bedarf wüst. Den Fahrtenvermittler führte Kalanick aggressiv, ohne Rücksicht auf Verluste – und extrem erfolgreich: Zwar musste der Milliardär inzwischen von der Spitze des Konzerns zurücktreten. Doch dank des Großmauls Kalanick ist Uber weltweit auf dem Vormarsch.
Zahlt sich Dreistigkeit im Leben tatsächlich aus? Kommen diejenigen, die nichts auf Regeln geben, am weitesten? Das Beispiel Kalanicks legt es nahe – und eine gerade veröffentlichte Studie liefert Stoff für diese These: Zwar wird nicht aus jedem Rotzlöffel ein Uber-Chef. Doch wer als Kind aufmüpfig, impulsiv und aggressiv ist, hat später im Beruf größeren Erfolg, bilanzieren Nicholas Papageorge von der Johns Hopkins University und seine beide Koautoren in ihrer Arbeit, die sie “The Economic Value of Breaking Bad” getauft haben.
Was die Ökonomen herausgefunden haben, ist eine Beruhigungspille für Eltern, die an ihren schwererziehbaren Kindern verzweifeln. Und es ist eine Mahnung an übereifrige Erzieher, die alles daransetzen, auch aus dem größten Rüpel einen Engel zu machen. Die Forscher stellen mit ihrer Studie viele scheinbar gesicherte Erkenntnisse auf den Kopf. Bislang war man davon ausgegangen, dass Kinder mit Verhaltensproblemen ein Leben lang finanziell darunter zu leiden haben. Auf den ersten Blick bestätigt die Studie diesen Befund sogar. Denn auch unter den mehr als 7300 Schulkindern, die allesamt in derselben Woche des Jahres 1958 in Großbritannien zur Welt kamen und danach in regelmäßigen Abständen wissenschaftlich vermessen wurden, waren es die unauffälligen Kinder, die in Schule und Beruf mehr Erfolg als ihre quengelnden Altersgenossen hatten. Bei genauerem Hinsehen zeigte sich jedoch, dass zwei Arten von Verhaltensauffälligkeiten unterschieden werden müssen – “internalisierendes” und “externalisierendes” Verhalten.
Schüler, die von ihren Lehrern als zurückgezogen, verschlossen oder depressiv beschrieben wurden, zählten die Forscher zu der ersten Gruppe. Aggressive, ruhelose Kinder, die Mitschüler und Erwachsene anfeindeten, landeten in der zweiten Gruppe. Diese Schüler bekommen zwar im Schnitt schlechtere Noten als ihre braven Mitschüler. Doch im Berufsleben ziehen sie an ihnen vorbei – vor allem die Frauen: Böse Mädchen bekommen einen um 2,5 Prozent höheren Stundenlohn, sie arbeiten zudem jede Woche knapp 7 Prozent länger und sind seltener arbeitslos. Außerdem machen sie sich häufiger selbständig, was sich mit einer früheren Studie deckt. Ross Levine und Yona Rubinstein hatten im Jahr 2013 nachgewiesen, dass Menschen, die als Teenager durch illegales Verhalten auffallen, später häufiger zu Unternehmern werden. Bei den Männern, die sich laut der neuen Studie übrigens deutlich häufiger danebenbenehmen als Frauen, ist der positive Lohneffekt etwas kleiner, aber ebenfalls klar erkennbar.
Die Ergebnisse demonstrieren, dass “externalisierendes Verhalten auf dem Arbeitsmarkt produktiv ist, obwohl es in der Schule unproduktiv ist”, fassen die Autoren zusammen. Sie widersprechen damit der etablierten Humankapitaltheorie, der die Annahme zugrunde liegt, dass sich Schulerfolg und Investitionen in Bildung später in jedem Fall auszahlen. Doch offenbar gibt es Eigenschaften, die in Schule und Beruf gegensätzliche Konsequenzen haben. Das sei ein völlig neuer Beitrag zu der Literatur, die sich mit kindlichem Fehlverhalten und den späteren Folgen befasst, finden die Forscher.
Warum genau die auffälligen Kinder später mehr verdienen, können sie nur vermuten. Aggressive, ruhelose Personen hätten in aller Regel keine große Neigung zu Altruismus, Kooperation und Nachgiebigkeit. Und das hilft im Job, wie aus psychologischen Studien bekannt sei. Wer nicht nachgibt, handelt einen besseren Vertrag aus. Wer die Ellenbogen ausfährt, räumt den Konkurrenten um den Chefposten zur Seite. Wer Zerstörungswut in sich trägt, kann Neues schaffen. Nett klingt das alles nicht gerade, aber offenbar lohnt es sich.
Spannend ist nun die Frage, was daraus für Eltern und Lehrer folgt. Denkt man nur ans Geld, ist die Sache klar. Anstatt aufmüpfige Kinder für ihre Frechheiten zu bestrafen, müsste man sie belohnen und darin bestärken, besonders fies zu sein. Das kann niemand ernsthaft wollen. Auch die Forscher gehen nicht so weit und nennen dafür vor allem einen ökonomischen Grund. Wenn feindseliges Verhalten gefördert würde, käme es im Klassenzimmer zu “Spillover-Effekten”: Die Aggressiven behinderten dann die Schwächeren in ihrer Entwicklung. Ohnehin bestehende Ungleichheit würde auf diese Weise noch verstärkt, argumentieren die Forscher. Nur weil eine Charaktereigenschaft auf dem Arbeitsmarkt nützlich sei, müsse sie in der Schule nicht gefördert werden. Welche Signalwirkung es auch ganz grundsätzlich hätte, bösartiges Verhalten zu belohnen, ziehen die Forscher nicht in Betracht.
Ist es also richtig, dass in den Schulen immer größerer Wert darauf gelegt wird, die Kinder auch charakterlich zum Guten zu formen, wie die Forscher beschreiben? Auch das halten die Ökonomen nicht für die perfekte Lösung. Ein solches Einschreiten könne zwar kurzfristig den Schulerfolg verbessern, habe langfristig aber Kosten, da “wertvolle Begabungen” für den Arbeitsmarkt verlorengingen. Darum sprechen sich die Autoren dafür aus, auffälliges Verhalten nicht zu bekämpfen, sondern es besser einzuhegen. Ganz konkret: Wer den Unterricht stört, soll nicht bestraft werden, sondern einen Gutschein bekommen. Der Schüler muss dann schweigen, darf aber zum richtigen Zeitpunkt eine Diskussion anzetteln. Studien würden die positive Wirkung solcher Maßnahmen belegen. Vielleicht hätte das sogar dem kleinen Travis gefallen.