Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Neue Kritik an Thomas Pikettys Daten

| 19 Lesermeinungen

Thomas Piketty hat mit einem Ungleichheits-Buch Furore gemacht. Lange hieß es: Die Daten sind gut, aber die Folgerungen zweifelhaft. Jetzt werden auch die Daten angegriffen.

© Frank RöthThomas Piketty an der Universität Frankfurt

Der französische Ungleichheitsforscher Thomas Piketty kommt einmal mehr in die Kritik. In seinem 2013 erschienenen Buch „Das Kapital im 21. Jahrhundert“ trägt er Vermögensdaten der vergangenen Jahrhunderte zusammen und folgert, die Welt entwickle sich zu einer Erbengemeinschaft, in der die Reichen ihre Vermögen immer weiter steigern. Für diese Folgerung hat er von Anfang an viel Widerspruch bekommen. Nach einer Diskussion bei der amerikanischen Ökonomentagung sagte er selbst, seine Kernthese sei nicht das wichtigste Werkzeug, um Ungleichheit in der aktuellen Zeit zu erklären. Seine Leistung, historische Daten zusammenzustellen, galt dagegen bisher als vorbildlich. Wirtschaftshistoriker Hans-Joachim Voth fasste die Kritik mit dem Satz zusammen: Pikettys historische Analyse sei weitgehend richtig, doch seine Vorhersagen über die weitere Entwicklung der Ungleichheit ließen sich daraus nicht ableiten.

Doch nun mehrt sich auch die Kritik an Pikettys Daten. Der angesehene Wirtschaftshistoriker Richard Sutch hat für die Vereinigten Staaten nachgerechnet und einige fragwürdige Vorgehensweisen entdeckt, die er Piketty nun in der Fachzeitschrift „Social Science History“ vorwirft. Piketty peile zu viele Zahlen über den Daumen, und zwar mit unklaren Annahmen. Wenn ihm Daten fehlten, zeichne er gelegentlich einfach eine gerade Linie in seine Grafiken. Auf diese Weise gingen wichtige Ungleichheitstrends unter – zum Beispiel, dass in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts in Amerika der Vermögensanteil der Reichen gesunken und später wieder gestiegen sei. Solche Details seien aber wichtig, um Politikmaßnahmen einzuschätzen. „Die Daten für den Vermögensanteil der reichsten zehn Prozent zwischen 1870 und 1970 sind unzuverlässig“, folgert Sutch. Gleiches gelte für das reichste Prozent im 19. Jahrhundert.

“Piketty dramatisiert langfristige Entwicklungen”

„Pikettys Datenmanipulation war dazu gedacht, langfristige Entwicklungen zu dramatisieren, ohne in der Erzählung zu viel Rücksicht auf kurzfristige Einzelheiten der Wirtschaftsgeschichte zu nehmen“, schreibt Sutch. „Historiker mit anderen Interessen als Piketty sollten seine Zahlen nicht unkritisch verwenden.“ Und: „Insgesamt entsteht ein irreführendes Bild der Entwicklung von Vermögensungleichheit.“ Piketty selbst verteidigt sich damit, dass er schon im Buch darauf hingewiesen habe, dass die Datenlage dünn sei. Die Zahlen seien „unsicher“, hieß es im Buch.

Sutch ist der erste angesehene Wirtschaftshistoriker, der Kritik an Pikettys Daten vorbringt. Er bestätigt mit seiner Arbeit weitgehend Vorwürfe, die zwei Wirtschaftshistoriker schon gemacht hatten, die unter Ökonomen gelegentlich als liberale Propagandisten gelten, nämlich Phillip Magness und Robert Murphy. Gleichzeitig stützt Sutch eine weitere Kritik, die vor drei Jahren kam: Damals hatte die „Financial Times“ Piketty Datenprobleme vorgeworfen. Piketty widersprach, doch Sutch stellt sich jetzt hinter die britische Zeitung. Wie hart die Kritik insgesamt ist, zeigt ein einzelner Satz: Sutch betont, dass er Pikettys Integrität als Forscher nicht angreifen möchte.

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Patrick Bernau


19 Lesermeinungen

  1. Gentle_civilizer sagt:

    Übersteigerter Belastungseifer
    Diesem Blog-Beitrag haftet ein gewisser Belastungseifer an. Die Kritik wird aufgebauscht. Sutch ist nicht nur weit davon entfernt, Pikettys Redlichkeit in Zweifel zu ziehen, sondern auch davon, ihn zu widerlegen. Sutch gibt sogar zu, dass die Kritik an den Daten für den Zeitraum von 1910 bis 2010 relativ marginal sei und die diesbezüglichen Thesen von Piketty damit nicht widerlege. Seine Kritik bezieht sich v.a. auf den von Piketty offengelegten Gebrauch unterschiedlicher Datenquellen für das 19. bzw. 20. Jahrhundert. Try again, Herr Bernau.

    • Patrick Bernau sagt:

      Lieber Herr Goldmann, die Zitate sind aus dem Paper von Sutch – sie spiegeln also exakt seine Sichtweise wider.

  2. MF87 sagt:

    Perspective Wechsel :Data , Allokation...und Humor
    Wie sich data sammeln lassen ,produzieren,verkaufen ,presentieren und definieren sei bekanntlich eine Frage ,mindestens eine Teilfrage einer vorherrschender gesellschaftlicher Opportunismus .
    Ein gehobener wirtschaftswissenschaftlicher Discours lässt sich immer weniger blicken [ Die gesamte Artikeln letzter Zeit im „Le Monde“,lesenswert und bemerkenswert],daß fokussiert beschäftigt sein mit data ,damit gesellschaftliche Perspectiven beinahe vernachlässigen.
    So entstehen Dissidente Denkers und die sogenannte Representanten der
    herrschender Macht,zugespitzt gesagt.

    Mit ein wenig Humor ,wenn sie wollen,die „Piketty“ Frage auf den Punkt gebracht :

    « La ministre de la Santé,Agnès Buzyn ,s’exprime sur l’universalité des allocations familiales (Le « JDD »,22/10): »Quand on gagne plus de 8000
    euros par mois est-ce que cela a du sens de recevoir 32 euros ? »
    L’exemple est bien choisi. »
    [Le Canard Enchainé,25 .10. 2017 ,p.2 « minimares « ].

  3. ztgleser123 sagt:

    Wie beim Klimawandel
    Wenn man berücksichtigt, wie mächtig und einflussreich die Interessen gegen Pikettys Ergebnisse und wie dünn diese Einwände gegen seine Daten (nach 4 Jahren!) sind, dann adeln die armseligen Widersprüche seine Arbeit geradezu.

  4. laissezfair sagt:

    Pikettys Bewunderer haben nie sein Buch gelesen, geschweige denn eine Kritik!
    Pikettys empirische Forschung wurde bereits 2014 von Magness und Murphy in ihrem Paper “Challenging the Empirical Contribution of Thomas Piketty’s Capital in the 21st Century” gründlichst diskreditiert. Das waren keine kleinen Ausrutscher, er hat die Daten systematisch verzerrt um das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Neben falsifizierten Daten bedient sich Piketty auch längst diskreditierter Theorien, wie z.B. der “naiven Produktivitätstheorie” (Eugen von Böhm-Bawerk).

    Der Knaller, neben den vielen Ungereimtheiten, ist die Tatsache, dass er für die Daten Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts die UDSSR und China ran gezogen hat (für die Untersuchung von Kapitalstrukturen in kapitalistischen Staaten!). Für die gab es freilich keine Daten, also nahm er die kommunistische Propaganda beim Wort (also r=g). Das war dann auch genau das was er brauchte um seine These zu stützen.

    Wie Marx wurde Piketty nicht hochgehalten, weil seine Erkenntnisse uns einen tiefen Einblick in die Ökonomie verschaffen, sondern weil deren Schlüsse in den Politisch-idiologischen Zeitgeist passt.

  5. Urs.Fischer sagt:

    Dank an H. Bernau und die FAZ für diesen Artikel
    allerdings hab ich schon vor Jahren nicht an das Märchen von Piketty geglaubt. Dazu hat er schon viel zu viel Unsinn geschrieben und vor allem falsche Voraussagen geschlossen.

  6. Gerald Braunberger sagt:

    Piketty hat (vielleicht doch) Recht
    PIketty Kernthese fand kürzlich Bestätigung in einer Arbeit von Moritz Schularick & Co., die eine bis heute einzigartige Datenbasis zur Grundlage hatte:

    https://www.faz.net/aktuell/finanzen/meine-finanzen/sparen-und-geld-anlegen/geldanlage-sicher-ist-nicht-gleich-sicher-15157348-p3.html

    Gruß
    gb

  7. meerwind7 sagt:

    Ehen, Kinder, unterschiedliches Investitionsgeschick, Kreigs- und Revolutionsverluste
    Picketty ignoriert unter anderem

    * dass sich Vermögen auch durch Eheschließungen und infolge von Scheidungen mischen – und gerade die Reichsten haben schon mangels Anzahl am wenigsten Gelegenheit, gleich wohlhabend zu heiraten (und auch in der Mittelschicht ist es nicht starr 1:1);

    * dass sich ein vererbtes Vermögen in der nächsten Generation bei zwei Kindern halbiert, und bei genug Geld kann man sich auch mehr Kinder leisten bzw. die Männer “leisten” sich mehrere Frauen nacheinander in gebärfähigem Alter (z.B. Donald Trump: Drei Frauen, vier Kinder),

    * die Stiftungen zu einem gewissen Geldabfluss von Individuen weg führen, insbesondere bei kinderlosen, früher auch bei homosexuellen Erblassern;

    * dass ein mittlerer Vermögensertrag sich auch Anteilen mit dürftigen Erträgen oder sogar negativen und überdurchschnittlichen zusammensetzt; die “alten” Vermögen dürften wohl eher unterdurchschnittlich abschneiden;

    * dass einige dramatische Vermögensverluste in den Zahlen vermutlich “verschwinden”, weil sie in kruzer Zeit abrupt stattfanden, die aber einen wesentlichen Einfluss auf die Möglichkeit der Vermögenserhalts haben (z.B. mehrfache Enteignungen deutschen Auslandsvermögens nach den Kriegen, unmittelbare Kriegsschäden, Revolutionen/Enteignungen, Vermögensneuverteilungen infolge Gebietsübernahme durch eine andere Macht (und Vertreibung der bisherigen Besitzer von Grund und Immobilien), Entkolonialisierung; übrigens auch: Verlust des Vermögens der Farmer in US-Südstaaten in Form von Sklaven als Folge des Bürgerkriegs);

    all dies steht einer zunehmenden Vermögensakkumulation entgegen. Deutschland ist beim letzten Aspekt wohl besonders betroffen gewesen, infolge verlorener Angriffskriege.

  8. TEngelkamp sagt:

    Datenlage nicht klar?
    “Wichtige Ungleichheitstrends gehen unter”? Ob die Ergebnisse von Piketty einem ideologisch “in den Kram passen” oder nicht, zeigt er grundsätzlich doch ganz klar die Richtung in der Verteilung von Arbeits- und Kapitaleinkommen auf. Und die Entwicklung der Vermögen in den USA in den 80er Jahren wird sich mit Unterstützung der breiten Masse der Amerikaner (Wahl Trumps) wahrscheinlich in den nächsten Jahren wiederholen. Ist ja immerhin schön, dass Herr Sutch die Integrität Thomas Pikettys als Forscher nicht angreifen möchte. ;)

  9. gramham sagt:

    Datenkritik?
    Mir scheint die Aussage “Piketty peile zu viele Zahlen über den Daumen” sehr allgemein. jedoch eine wirksame Kritik. Könnte es nicht auch sein, dass Herr Sutch einen anderen Analysebezugspunkt wählte als Herr Piketty? Das scheint mir fast zu sein, wenn Herr Sutch schreibt, dass “this article offers an alternative picture of the trend in inequality based on newly available data”. Im allgemeinen deuten mir die Wirtschafts- und Vermögensdaten, die in der FAZ berichtet werden oder die destatis.de veröffentlicht, eher daraufhin, dass die These von Herrn Piketty nicht falsch ist.

  10. dr.georgebbt sagt:

    Wahrheit und Manipulation
    “Insgesamt ensteht ein irreführendes Bild der Entwicklung von Vermögensungleichheit.” Dem Leser soll also vermittelt werden, dass Pikettys Folgerungen insgesamt nicht zutreffend sind. Welcher Leser wird sich die Mühe machen, Pikettys Daten nachzuprüfen? Die hier gedruckte Postille ist nicht nur ausgemachter Quatsch, sondern ein Schlag ins Gesicht vieler Mittellosen und ein leuchtendes Beispiel, was solider Journalismus nicht tun sollte, nämlich dem Leser leichtfertig substanzlose Informationen als vorgefertigte Gedanken ins müde Gehirn zu pressen. Was sonst bezweckt die miese Schreibe?

    • Patrick Bernau sagt:

      Information über die wissenschaftliche Debatte.

    • Lilili42 sagt:

      @Bernau: Information
      Sie werden uns sicher nicht vorenthalten wollen, warum Sie uns – die Leserschaft – über diesen Artikel von Herrn Sutch informieren wollen und über manche andere Artikel in Bezug auf Piketty nicht? Sonst könnte die Leserin denken, das hier “Information” Interessen- und nicht Faktengeleitet ausgewählt wurde. Und das wäre doch ein Jammer, oder? Also nur Mut: Ich bin mir sicher, das Sie objektiven Kriterien namhaft machen können.

    • Patrick Bernau sagt:

      Die Sache ist einfach: Wir probieren, danach auszuwählen, was für unsere Leser wichtig ist: weil die Beiträge die Debatte prägen, weil sie besonders neu oder besonders wichtig sind. Objektivität ist da natürlich ein großes Wort, es gibt – zum Glück – kein zentrales Punktesystem, das die Relevanz neuer Forschungsarbeiten einsortiert. Also müssen wir unserer eigenen Einschätzung folgen, die sich aus jahrelanger Beschäftigung mit dem Fachgebiet und ständigen Gesprächen mit Experten ergibt.

      In Sachen Piketty habe ich zum Beispiel das große Buch der Piketty-Fans hier in Fazit vorgestellt, das große Buch der Piketty-Gegner ebenfalls. Als Piketty sich selbst relativiert hat, fand ich das auch so wichtig, dass ich einen Beitrag gemacht habe. Die Studie von Magness/Murphy, die sehr gegen Piketty schießt, schien mir am Anfang zu obskur, deshalb habe ich darüber nicht berichtet. Nach dem, was ich jetzt von Richard Sutch weiß, denke ich darüber nach, ob ich es damals nicht hätte tun sollen.

      Aber ich weiß gar nicht, was ich in der ganzen Frage für Interessen haben sollte. Mein Ziel ist simpel: Informationen zu sammeln und nach bestem Wissen die wichtigen und interessanten davon weiterzugeben.

    • Emil-Heinrich sagt:

      Getroffene Hunde...
      Jeder Nicht-BWLer ist darauf angewiesen, anderen zu glauben, genauso wie ich als Nicht-Astrophysiker keine Chance habe, die Artikel über Schwarze Löcher und Weiße Zwerge nachzuprüfen. Sollen wir Piketty glauben aufgrund seiner hübschen Augen? Oder weil ihm seine Analyse so gut in den politischen Kram passt?
      Sofern Sie selbst kein BWLer sind, Herr Aengenheister, haben Sie nicht den geringsten Grund, Herrn Bernau weniger zu glauben als Herrn Piketty (bzw. habe ich nicht den geringsten Grund, Ihnen mehr zu glauben als Herrn Bernau). Sofern Sie BWLer sind, sollten Sie sich einer höflicheren und sachlicheren “Schreibe” befleißigen.

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