Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Kluge sind knauserig

| 14 Lesermeinungen

Mit steigendem Bildungsgrad sinkt die Spendenbereitschaft. Auch wenn die Leute viel verdienen.

© dpaErziehung zum Egoisien?

Vor einem Jahr haben wir ein Experiment gemacht, und zwar mit Ihnen, den Lesern von F.A.S. und FAZ.NET. Es ging um Ihre Spendenbereitschaft. In einem wissenschaftlichen Experiment mit zwei Universitäten mussten Sie sich entscheiden: Will ich Geld lieber für mich haben? Oder sollen die Forscher lieber 200 Euro für die Aktion „F.A.Z.-Leser helfen“ spenden, die es an ein Mädcheninternat in Ghana gibt?

Interessant wurde es dadurch, dass die Forscher zwar immer eine 200-Euro-Spende vorsahen, aber den Lesern unterschiedliche Geldbeträge für sich angeboten wurden, die sie behalten könnten. Die Frage: Ab welchem Betrag werden die Leser schwach? Das Ganze war keine theoretische Übung: Antworten von 20 zufällig ausgewählten Lesern wurden verwirklicht. 4000 Leser machten mit, und am Ende stand eine überraschende Erkenntnis: Je mehr Bildung die Leser in ihrer Jugend genossen hatten, desto weniger waren sie bereit, zu spenden.

Insgesamt waren die Leser nicht geizig. Im Durchschnitt mussten die Forscher den Lesern 240 Euro anbieten, damit die das Geld einer 200-Euro-Spende vorzogen. So war es in dem Experiment, das wir zusammen mit Matthias Sutter, der heute am Max-Planck-Institut für Gemeinschaftsgüter in Bonn arbeitet, und Michael Kirchler von der Universität Innsbruck durchführten.

In einem anderen, ähnlichen Experiment nahmen Studenten der Universität Innsbruck das Geld schon dann für sich, wenn der Spendenbetrag noch lange nicht erreicht war. Das ist kein Wunder. Wer ein hohes Einkommen hat, spendet sein Geld eher – das ist schon lange bekannt. Unsere Leser haben oft hohe Einkommen, also spenden sie auch tendenziell mehr Geld. „Andere benötigen das Geld, nicht ich“, schreibt ein einkommensstarker Teilnehmer in der Begründung seiner Entscheidung. Ärmere Leser argumentieren oft anders, zum Beispiel mit: „80 Euro sind für mich ein recht hoher Geldbetrag.“

Bildung senkt die Spendenbereitschaft

Doch es ergab sich eben die zweite Feststellung: Auf jeder Einkommensstufe sorgt zusätzliche Bildung dafür, dass die Spendenbereitschaft sinkt. Ein Beispiel: die Leser mit einem Nettoeinkommen über 4000 Euro monatlich. Akademiker in dieser Einkommensklasse nahmen durchschnittlich dann das Geld für sich, wenn ihnen mindestens 260 Euro angeboten wurden, also 60 Euro mehr als die veranschlagte Spende. Die Leute mit mittlerer Reife taten dies erst ab 340 Euro.

Nahmen die Leute das Geld nur, um es anderweitig zu spenden? Auch das erfragten wir. Die Teilnehmer mit mittlerer Reife sagten eher, sie würden das an sie ausgezahlte Geld privat spenden.

Ticken so nur unsere Leser? Oder gibt es so ein Phänomen auch anderswo? Die Antwort ist nicht ganz leicht. Eigentlich dachten Spendenforscher immer: Wer sehr gebildet ist, der spendet viel. So haben es Umfragen seit vielen Jahren ergeben. Doch neuere Experimente stellen diese These in Frage.

Das liegt daran, dass die alten Umfragen nicht unbedingt ein genaues Bild ergeben haben. In den Niederlanden haben die Spendenforscher René Bekkers und Pamala Wiepking immer wieder verglichen, was die Leute in Umfragen sagten und was sie tatsächlich taten.

Gebildete Leute sind großmäulig

Dabei stellte sich heraus: Gebildete Leute sind ein bisschen großmäulig. Wer einen Universitätsabschluss hat, der überschätzt seine Spenden aus dem vergangenen Jahr in Umfragen gegenüber dem tatsächlichen Betrag oft deutlich. Leute mit geringerer formaler Bildung dagegen verstehen gelegentlich schon die Umfrage nicht richtig. Und wenn sie die Frage richtig verstehen, erinnern sie sich nicht immer an all ihre Spenden. Das Ergebnis: Gebildete Leute überschätzen ihre Spenden in Umfragen, weniger gebildete Leute geben zu wenig an.

Leider ist es viel schwieriger, das echte Verhalten von Menschen zu beobachten, als sie nur danach zu fragen. Deshalb gibt es sehr viel weniger Experimente als Umfragen. Eines aber wurde an der Universität in Orlando, Florida durchgeführt: Dort sollte der Ökonom John List eine Spendensammlung organisieren, damit ein neues „Zentrum für Umweltpolitik-Analyse“ entstehen konnte. Wie viele andere Spendensammler auch schrieb er 2000 Leute über einem gewissen Jahreseinkommen an, die im vergangenen Jahr schon einmal für einen wohltätigen Zweck gespendet hatten. Dann allerdings wertete er systematisch aus, wer wie viel gespendet hatte. Junge Männer spendeten mehr als alte Frauen, und über die Bildung wurde immerhin so viel bekannt: Wer mehr Bildung genossen hatte, gab zumindest nicht mehr Geld.

Wer viel denkt, behält viel für sich

Ähnliche Ergebnisse gibt es auch in abstrakteren Experimenten, zum Beispiel im sogenannten „Diktator-Spiel“: Dabei werden zwei Experimentteilnehmer anonym und zufällig zu Experimentpaaren zusammengestellt. Einer bekommt einen Geldbetrag, das ist der Diktator. Er darf dem anderen so viel abgeben, wie er mag. Dieses Experiment haben verschiedene Ökonomen mit einem Test kombiniert, der zeigt, ob jemand impulsiv oder eher rational-überlegend handelt. „Wenn fünf Maschinen fünf Minuten brauchen, um fünf Teile zu machen, wie lange brauchen dann 100 Maschinen für 100 Teile?“ Wer impulsiv antwortet, sagt meist „100 Minuten“. Dabei sind fünf Minuten richtig. Im Diktator-Spiel aber sind es die Impulsiven, die mehr Geld abgeben. Wer hingegen die rational richtige Antwort gegeben hat, behält mehr Geld für sich.

Warum also sind überlegte oder gebildete Leute so knauserig? Eine These lautet: Es könnte an der Einstellung zum eigenen Einkommen liegen. Wer wenig formale Bildung hat, aber viel verdient – der denkt vielleicht eher, er habe im Leben Glück gehabt. Und ist dann eher bereit, dieses Glück mit anderen zu teilen. Eine andere These lautet: Wer rationaler handelt, der macht sich weniger Gedanken um die Verteilung von Wohlstand – vielleicht sind das die gebildeten Leute. Aber sicher ist das alles noch nicht. Dazu braucht es noch mehr Experimente.

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Patrick Bernau


14 Lesermeinungen

  1. a10325 sagt:

    In mehreren Beiträgen wird der Sinn von Hilfe
    grundsätzlich in Frage gestellt. Die ernsthaften Hilfswerke sind sich sehr wohl dessen bewußt, daß ihr Wirken oft nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Umso mehr ist der Einsatz der Helfer vor Ort zu würdigen, die sich dieser Aufgabe verpflichten. Daß Entwicklung möglich ist, zeigt der Umstand, daß die schlimmsten Katastrophen mit den Folgen von staatlicher Verfolgung und Kriegen verknüpft sind.

  2. BGrabe02 sagt:

    Es bleibt die Frage, ob spenden überhaupt klug ist...
    Sicher die unmittelbare Not wird immer wieder gelindert. Nur scheitn dies eienvergebliches tun zu sein, weil es die Ursachen der Not weder bekämpft noch bessert.
    Der Eindruck entsteht eher, dass die eigentliche Probleme sich potenzieren, weil finanzielle Unterstützung die untauglichen Strukturen stabilisiert, was bei steigenden Bevölkerungszahlen ein sich selbst nährender Prozess ist.
    es stellt sich also die Frage, ob die bereitwilligen Spender am Ende nicht gerade diejenigen sind, die echte Verbesserung am Ende verhindern. NGO´s sind heute so ähnlich wie früher die Klöster, irgendwann werden sie fragwürdig.

  3. a10325 sagt:

    Unterstellt einmal, daß die Ergebnisse der Studie
    tatsächlich verläßlich sind, ist dies ein gutes Beispiel für die nicht ganz neue Erkenntnis, daß man nicht intelligent sein muß, um mitfühlend zu sein.

  4. dolmium sagt:

    Spendenabzug
    Vielleicht sind sich clevere Leute aber auch des einkommensteuerlichen spendenabzuges bewusst. Diesen müssten man für eine Studie am besten ausschließen würde ich sagen.
    Ab einem gewissen Grenzsteuersatz kann beispielsweise ein Betrag in Höhe von 180€ von dem Organisator angenommen werden, zuzüglich 20€ eigenem Geld in Summe 200€ weitergesendet werden und durch spendenabzug wird die Einkommensteuerbelastung um 80€ gemindert. Die Organisation hat also 200€ erhalten und der Teilnehmer nur 60€ plus gemacht, durch staatliche Beteiligung.

    • Patrick Bernau sagt:

      Wie gesagt: Wir haben die Teilnehmer gefragt, was sie mit ihrem ausgezahlten Geld machen. Es waeen die weniger gebildeten, die das selbst spenden wollten. Nicht die Hochgebildeten.

  5. uwebus sagt:

    Ich spende überhaupt nicht mehr,
    seitdem ich erfahren habe, daß die Spendengelder für die Erdbenopfer 2016 in Italien niemals bei den Opfern angekommen sind. Spenden würde ich nur noch, wenn ich einen persönlichen Kontakt zu den Opfern hätte, aber nie mehr an anonyme Organisatoren, mögen die noch so wohlklingende Namen haben.

  6. a.pernath sagt:

    Das Studiendesign enthält einen Denkfehler
    Wenn sich die Probanden zwischen einer Spende von 200 € oder einem Betrag für sich selber von >200€ entscheiden konnten, dann hatten sie doch die Möglichkeit, selbst den höheren Geldbetrag zu kassieren, davon dann 200€ als Spende weiterzugeben und die Differenz zu behalten. Den Spendenempfängern wäre kein Schaden entstanden, eine Win-Win-Situation also.

    Vielleicht haben sich die gebildeteren Probanden einfach nur deshalb häufiger dafür entschieden, das Geld selber zu erhalten, weil ein größere Anteil von Ihnen diese Möglichkeit gesehen hat.

    • Patrick Bernau sagt:

      Diese Möglichkeit war in der Studie antizipiert. Die Teilnehmer wurden gefragt, was sie mit dem Geld machen wollen. Eine Antwortoption war, es selbst an die Schule zu spenden. Eine andere Option war, das Geld an einen anderen Zweck zu spenden.
      Wie beschrieben: Es waren die weniger gebildeten, die so eine Intention äußerten.

  7. BGrabe02 sagt:

    Das große Missverständnis...
    besteht darin, das wir Bildung und Qualifikation mit Klugheit, Weissheit und Intelligenz gleichsetzen.
    Bildung und Cleverness sichern zwar den Erfolg des Einzelnen, können aber manchmal sogar Klugheit, und Weisheit ausschließen, nicht mal Intelligenz ist dafür zwingende Voraussetzung.
    Der Erfolg der Gesellschaft hängt aber von Weissheit und Klugheit und einer ausreichende Intelligenz ab, etwas das mit steigendem Selbstbewusstsein, das mit dem Erfolg einher geht, eher abnimmt.
    Da vermeintliche juristische Gleichheit bei der Qualifikationsbewertung weder Klugheit noch Weissheit berücksichtigen, obwohl sie für die Gesellschaft eigentlich wichtiger sind als Bildung und Cleverness.
    Nimmt Klugheit und Weissheit in der Gesellschaft eher ab, wenn auf vermeintlich objektive Kriterien strenger abgestellt wird.
    Wissen ist nicht entscheidend, sondern die Klugheit und Weissheit damit umzugehen.
    Die politische Krise die wir zur zeit in der westlichen Welt allgemein erleben, ist meiner Meinung nach einem eklatanten Mangel an Weisheit und Klugheit und auch immer wieder Intelligenz geschuldet.
    Aber auch wer das anders sieht, entkommt der Schlussfolgerung nicht.
    Das tragische daran ist nämlich, dass dies, wenn es so ist, ein irreparabler Schaden ist (weil natürlich jede Elite sich für klug hält), der nur durch kriegerische (darwinistische) Selektion korrigierbar ist.
    Das ist nicht steuerbar, es führt von ganz alleine irgendwann zur Katastrophe. Und wer wie die Nazis meint so etwas steuern zu müssen, vergrößert nur die Katastrophe, die daraus folgt. Denn das zu steuern versuchen die relativ dümmsten Eliten.
    Und genau das ist die Ursache eines jeden Krieges und damit über kurz oder lang unvermeidlich.

    • MF87 sagt:

      Kritische Masse
      Sollte sich nie eine keine kritische Masse geben an Gedenken,Gedenkstätte und Denkmäler ?
      Und „einer soll gedenken…“ [Das Brandopfer].

      Ja wenn nur die Rüstungsindustrie‘s Erlöse…

  8. tatsaechlich sagt:

    sie-suchen-spenden-für-die-sozialen-probleme
    Dann stellen sie sich vor das Bundesfinanz- und Wirtschafts Ministerium und das Kanzleramt und fordern eine neue Politik. Wir leben nicht im Feudalismus, das ist zumindest offizielle Regierungmeinung…

  9. fefe96 sagt:

    Meine Lebenserfahrung: Als ich jung war und wenig verdiente, gleichzeitigt studierte und...
    …Frau und Kind mit mehreren Nebenjobs zu versorgen hatte, “teilte” niemand der Wohlhabenden und Besserverdienenden sein “Glück” mit mir. Aber das habe ich auch nie erwartet. Im Leben hilft Glück manchmal, Fleiß fast immer. Nach diesem Motto und “Jeder ist seines Glückes eigener Schmied” habe ich bis heute eine hohe Verdienststufe erreicht (selbständig). Während der ersten Hälfte meines Arbeitslebens meinte ich dennoch, MEIN Glück via zahlreicher Spenden “teilen” zu müssen. Nachdem ich zunehmend gewahr wurde, WOHIN die Spenden flossen und WOFÜR sie verwendet wurden, ging meine Spendenbereitschaft für humanitäre Zwecke auf null. Dabei habe ich nicht mal ein schlechtes Gewissen. Einzig Parteispenden sind geblieben.

    • wokaef sagt:

      "Niemand ist verpflichtet etwas zu geben,
      aber nichts geben ist ein Zeichen von Armut”. Ein kluger Satz gegen Knausrigkeit.

    • fefe96 sagt:

      @ Käflein
      Dann bin ich eben gern knausrig. Die von oben oktroyierte Veränderung der Bevölkerungsstruktur hat mich in Bezug auf den Wert der einen oder anderen Immobilie (= meine Arbeitskraft = meine Lebenszeit) mehr gekostet, als ich je hätte spenden können. “Meinen Anteil” an der gesellschaftlichen Umverteilung zugunsten der weniger “Fleißigen” habe ich somit hinlänglich erbracht. Meine humanitären Spenden nach Afrika haben u.a. lediglich folgendes bewirkt. Bevölkerung Afrikas:
      – 1900 => 0,10 Mrd.
      – 1960 => 0,25 Mrd.
      – 2015 => 1.25 Mrd.
      – 2050 => 2,50 Mrd. (nach oben korrigierte UN-Prognose)
      – 2100 => 4,40 Mrd. (nach oben korrigierte UN-Prognose)
      Zudem erhielten die afrikanischen Länder ab 1960 Hilfen in Höhe von US$ 18 Mrd. JÄHRLICH 40 Jahre lang (Steuergelder, auch aus meinem “Fond”?). Zum Vergleich: der Marschallplan nach dem WKII. umfasste gerade mal EINMALIG rund US$ 13 Mrd. für ganz Europa. Am Spenden-Geld kann die aktuelle Misere auf diesem Kontinent wohl kaum liegen. BTW “spende” ich für die Unterbringung meines alten Herrn in einem normalen Pflegeheim jährlich € 8.000. Dafür hat unser Staat nämlich kein Geld übrig. Wertschöpfung und Steuerleistung meines alten Herrn für dieses Land? Wen interessiert das noch? Kurz: Mir ist mein eigenes Hemd – und das meiner Familie – immer noch am nächsten. Hohe Bildung hin oder her.

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