Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

War Friedrich von Hayek ein Nihilist?

Ökonomen werden von der Öffentlichkeit nicht für ihre politische Meinung bezahlt. Natürlich können und dürfen Ökonomen wie jeder andere Mensch eine politische Meinung haben und äußern, aber bezahlt werden sie für fachliche Expertise. Was soll man also von Ökonomen halten, deren politische Empfehlungen im Widerspruch zu ihren eigenen Theorien stehen? Ein berühmtes Beispiel bietet der junge Friedrich von Hayek – ein Beispiel, aus dem man auch über heutige Ökonomen lernen kann.

 

“I think the Austrian business-cycle theory has done the world a great deal of harm. If you go back to the 1930s, which is a key point, here you had the Austrians sitting in London, Hayek and Lionel Robbins, and saying you just have to let the bottom drop out of the world. You’ve just got to let it cure itself. You can’t do anything about it. You will only make it worse… I think by encouraging that kind of do-nothing policy both in Britain and in the United States, they did harm. ” (Milton Friedman 1999)

 

Den Höhepunkt der Konjunkturtheorie der sogenannten Österreichischen Schule der Nationalökonomie bildet wohl die auf vier Vorlesungen beruhende Schrift Friedrich von Hayeks “Prices and Production” aus dem Jahre 1931. Unter anderem auf der Kapitaltheorie Eugen von Böhm-Bawerks und Knut Wicksells Buch “Geldzins und Güterpreise” aufbauend, entwickelte der kaum mehr als 30 Jahre alte Hayek in seinen Arbeiten eine Konjunkturtheorie, die damals für großes Aufsehen sorgte. Obgleich, um den angesehenen Dogmengeschichtler Heinz Kurz zu zitieren, “die Ausführung seines kühnen Vorhabens als gescheitert angesehen werden muss, das Hayeksche Vorhaben als solches ist rühmenswert.” Daher verdiene Hayeks Arbeit, “als eines der bedeutenden Werke in der Geschichte unseres Faches betrachtet und gelesen zu werden”.1)

 

Skizze einer Theorie

Uns geht es hier nicht um eine ausführliche Behandlung der Theorie. Wie Wicksell unterscheidet Hayek zwei Zinssätze: Es gibt Wicksells natürlichen Zins – von Hayek “Gleichgewichtszins” genannt -, bei dem sich in einer Realwirtschaft ohne Geld ein Gleichgewicht von Ersparnis und Investition einstellen würde. In einer Geldwirtschaft haben wir auch einen Geldzins und im idealen Falle stimmen Gleichgewichtszins und Geldzins überein. Hayek wendet sich in mehrerlei Weise von Wicksell ab:

  • Bei Wicksell kommen Diskrepanzen zwischen Gleichgewichtszins und Geldzins zustande, weil sich der durch realwirtschaftliche Faktoren bedingte Gleichgewichtszins ändert, zum Beispiel als Ergebnis technischen Fortschritts. Das ist ein heute wieder sehr aktuelles Thema. Bei Hayek kommt es zu Diskrepanzen, weil die (Noten-)Banken den Geldzins durch zu großzügige Kreditvergabe nach unten manipulieren. Daraus folgt die noch heute von Anhängern der Österreichischen Schule vertretene Auffassung, Krisen seien das Ergebnis einer falschen Geldpolitik. In der Praxis kann das eine wie das andere vorkommen: Dogmatismus hilft nicht weiter.
  • Für Wicksell ist ein konstantes Preisniveau optimal. Für Hayek verbinden sich mit einer dynamischen Wirtschaft Produktivitätszuwächse, die sich in sinkenden Güterpreisen niederschlagen. Generell spielt für Hayek das allgemeine Güterpreisniveau keine große Rolle.
  • Bei Wicksell führt ein unter dem Gleichgewichtszins liegender Geldzins zu einem höheren Güterpreisniveau, aber nicht zu Änderungen in der Realwirtschaft. Bei Hayek führt ein unter dem Gleichgewichtszins liegender Geldzins zu einem Konjunkturzyklus von Boom und Bust, bei dem Veränderungen des Preisverhältnisses von Investitions- und Konsumgütern realwirtschaftliche Folgen haben.

Nehmen wir an, es herrsche Vollbeschäftigung und der Geldzins sinke durch expansive Geldpolitik unter den Gleichgewichtszins. Bei Wicksell führt dies nur zu einer Zunahme des Güterpreisniveaus, bei Hayek passiert etwas anderes: Der zu niedrige Geldzins verlockt die Unternehmen zu Investitionen mit dem Ziel einer kapitalintensiveren Produktion (im “österreichischen” Jargon ist von einer “Verlängerung der Produktionsumwege” die Rede.) Durch Verschiebung von Ressourcen aus der Konsumgüter- in die Investitionsgüterproduktion wird im Laufe der Zeit die Produktion von Konsumgütern zurückgehen, aber dies ist aus der Sicht der Konsumenten unerwünscht – denn der niedrigere Zins ist ja nicht das Ergebnis eines Wunsches der Konsumenten, mehr zu sparen, sondern das Ergebnis einer realwirtschaftlich nicht gerechtfertigten Änderung des Geldzinses! Die Konsumenten können weniger konsumieren als sie eigentlich wollen; Hayek spricht von “erzwungenem Sparen”.

Was passiert nun? Der Wettbewerb der Unternehmen um Arbeitskräfte für die Herstellung von Investitionsgütern lässt die Löhne steigen und in der Folge werden sich die höheren Einkommen auf dem Markt für Konsumgütern in steigenden Preisen niederschlagen. Damit verändert sich ein weiteres Mal das Preisverhältnis von Investitions- und Konsumgütern, aber dieses Mal zu Gunsten der Konsumgüter. Jetzt erkennen die Unternehmen, dass sie viel besser Konsumgüter als Investitionsgüter herstellen, und es kommt, eventuell begleitet von steigenden Geldzinsen als Folge des zunehmenden Güterpreisniveaus, zu einer Bevorzugung weniger kapitalintensiver Investitionen durch die Unternehmen. Das im Boom in sehr kapitalintensive Produktionsverfahren investierte Kapital geht verloren und die Krise ist da. Hayek schrieb: “Das Bestehen von unausgenützten Produktionsanlagen ist daher nichts weniger als ein Beweis, dass Kapital im Überfluss vorhanden und der Konsum unzureichend ist: Ganz im Gegenteil, es ist ein Zeichen dafür, dass wir diese Produktionsanlagen nicht verwenden können, weil die laufende Nachfrage nach Konsumgütern zu dringend ist, um uns zu erlauben, die verfügbaren Produktivkräfte in den langwierigen Produktionsprozessen zu investieren, für die wir (infolge von ‘Kapitalfehllenkungen’) die entsprechende Ausrüstung haben.”

Das ist, zugegeben sehr knapp, die Essenz der “Österreichischen Konjunkturtheorie” à la Hayek: Eine zu großzügige Geldversorgung führt über einen fallenden Geldzins zu Kapitalfehllenkungen beziehungsweise zu Überinvestitionen und irgendwann bricht das morsche Gebäude in einer Krise zusammen. Die Theorie ist zweifellos interessant, aber wegen nicht weniger Schwächen ging sie schon in den ökonomischen Debatten der dreißiger Jahre unter, und von den damaligen Schlägen hat sie sich nie mehr erholt. 2) John Hicks schrieb einmal:

“It is in its applications to deflationary slumps that the Hayek theory is at its worst; and it is a terrible fact that it was in just such conditions – in 1931/32 – that it was first propounded. In such conditions its diagnosis was wrong; and its prescription could not have been worse.” (John Hicks 1967)

Hansjörg Klausinger, der Herausgeber der beiden “Geld-Bände” innerhalb der Hayek-Gesamtausgabe, verweist auf “unhaltbare Vereinfachungen” im Theoriegebäude von “Prices and Production”; Hayeks anschließende kapitaltheoretische Arbeiten aus den späten dreißiger und frühen vierziger Jahren seien dann von “übergroßer Ambition” geprägt gewesen und “glorios gescheitert”. Nicht zufällig hatte Hayek Anfang der vierziger Jahre die Konjunktur- und Kapitaltheorie aufgegeben und sich der Sozialphilosophie zugewandt.3 Wir lassen die Theorie an dieser Stelle liegen, weil es uns in erster Linie um das geht, was Hayek daraus politisch gemacht hat.4)

 

Optimale Geldpolitik

Der böse Bube in der Theorie Hayeks ist die Geldpolitik, aber wie sähe eine Geldpolitik aus, die keinen Schaden anrichtet? Im Idealfall stimmt der Geldzins mit dem Gleichgewichtszins überein, aber der Gleichgewichtszins einer Wirtschaft lässt sich nicht beobachten. Wicksell war daher der Ansicht, jener Geldzins wäre optimal, bei dem das Güterpreisniveau stabil bleibt, aber Hayek hielt nichts vom Güterpreisniveau als Zielgröße.

Vielmehr ist jene Geldversorgung einer Wirtschaft optimal, die das Preisverhältnis zwischen Investitions- und Konsumgütern nicht verzerrt – in der Diktion der damaligen Zeit sprach man von einem “neutralen Geld” im Unterschied zu einem “stabilen Geld”, das sich bei einem stabilen Güterpreisniveau einstellt. Nach Hayek ist das Geld dann neutral, wenn das Produkt aus Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit konstant ist.

Das bedeutet im Falle einer mit einer schweren Depression einhergehenden Krise, wie sie zu Beginn der dreißiger Jahre zu beobachten war: Hier ist eine expansive Geldpolitik notwendig, denn hier ist das Produkt aus Geldmenge und Umlaufgeschwindigkeit nicht konstant, vielmehr war es deutlich rückläufig. Aber in einer Situation, in der auch nach Hayeks eigener theoretischer Überzeugung die Geldpolitik Gas hätte geben müssen, verlangte er ein passives Verhalten von ihr:

“[T]he only practical maxim for monetary policy to be derived from our considerations is probably . . . that the simple fact of an increase of production and trade forms no justification for an expansion of credit, and that—save in an acute crisis—bankers need not be afraid to harm production by overcaution. . . . It is probably an illusion to suppose that we shall ever be able entirely to eliminate industrial fluctuations by means of monetary policy. The most we may hope for is that the growing information of the public may make it easier for central banks both to follow a cautious policy during the upward swing of the cycle, and so to mitigate the following depression, and to resist the well-meaning but dangerous proposals to fight depression by ‘a little inflation’.”

Hier liegt der Widerspruch: Hayek trat für eine politische Abstinenz ein, obgleich seine eigenen theoretischen Überzeugungen eine aktive Politik verlangt hätten. Ganz im Gegenteil sah Hayek politische Passivität, auch unter Inkaufnahme einer schweren Deflation, als notwendiges Mittel zur optimalen Überwindung der Krise an. Kaum etwas hat mehr dazu beigetragen, dass in den dreißiger Jahren an Hayeks steilen Aufstieg als Ökonom ein ebenso steiler Fall anschloss, in dessen Folge viele seiner Schüler zu John Maynard Keynes überliefen, der etwa gleichzeitig für eine aktive Politik zur Bekämpfung der Krise eintrat.

 

Hayeks Lernprozess: Deflation taugt nichts

Ehre, wem Ehre gebührt: Im Unterschied zu vielen anderen Ökonomen besaß Hayek die Souveränität, Fehleinschätzungen einzugestehen. In mehreren Äußerungen aus der Nachkriegszeit räumte er ein, dass seine Empfehlung aus den frühen dreißiger Jahren, eine Deflation als Remedur zu betrachten, falsch war. In einer Veranstaltung im Jahre 1975 sagte er: “Today I believe that deflation has no recognizable function whatever, and that there is no justification for supporting or permitting a process of deflation.” Schaut man sich die Debatte unserer Zeit an, ist diese Erkenntnis offenbar gerade manchen Ökonomen, die Sympathie für Hayek an den Tag legen, unbekannt.

Und um eine Deflation zu vermeiden, war der späte Hayek natürlich auch bereit, in einer Krise expansive Geldpolitik gutzuheißen: “I am the last to deny – or rather, I am today the last to deny – that, in these circumstances, monetary counteractions, deliberate attempts to maintain the money stream, are appropriate.”

 

Woher kommt der Widerspruch?

Der späte Hayek hat sich auch zu der Frage geäußert, warum er in den frühen dreißiger Jahren in der Krise eine passive Geldpolitik und damit eine schwere Deflation befürwortete, obgleich er als Theoretiker eigentlich eine andere Geldpolitik in der Krise hätte vertreten müssen. Der entscheidende Satz lautet: “Even at that time I regarded this view as a political consideration; I did not think that deflation improved the adjustment mechanism of the market.” Es waren politische Überlegungen, die ihn zu seiner politischen Einschätzung verleiteten, nicht ökonomische Erkenntnisse.

Aber welche politischen Überlegungen leiteten Hayek? Seinen Worten zufolge ging es darum, eine Verschärfung der Krise hinzunehmen, wenn dadurch Deregulierungen möglich würden:5) “I probably ought to add a word of explanation: I have to admit that I took a different attitude forty years ago, at the beginning of the Great Depression. At that time I believed that a process of deflation of some short duration might break the rigidity of wages which I thought was incompatible with a functioning economy. Perhaps I should have even then understood that this possibility no longer existed. . . . I would no longer maintain, as I did in the early ‘30s, that for this reason, and for this reason only, a short period of deflation might be desirable.”

Viele Ökonomen, die sich mit dieser Episode befasst haben, halten Hayeks Antwort zumindest nicht für vollständig. “Hayeks answer to this question is difficult to follow”, schrieb Gottfried Haberler, immerhin ein Freund und Kollege Hayeks und wie dieser ein Vertreter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie. “It is worth noting that Hayek’s assertion that the intensification of the depression would help to overcome the rigidities is an unfounded and unsupported supposition. Moreover, the notion that increased price flexibility in a depression would actually promote recovery has a flimsy theoretical basis…”, schreibt David Glasner, der in seinem sehr schönen Blog jüngst mehrere interessante Beiträge zu Hayek veröffentlicht und das Thema wieder auf die Agenda geschoben hat.

David Laidler, ein makroökonomischer Dogmengeschichtler par excellence, vertritt die Ansicht, nach dem Ausbruch einer wirtschaftlichen Depression gehe die Anwendung der Theorie Hayeks mit einem “politischen Pessimismus” einher, der “sich dem Nihilismus annähert”. Allerdings, so gibt Laidler zu bedenken, hätten in der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre nicht nur Ökonomen aus der Österreichischen Schule zu politischem Pessimismus tendiert. Glasner wiederum sieht Hayeks politische Empfehlungen in seinem Weltbild begründet, dass stark durch die Auffassungen des britischen Philosophen David Hume und durch Hayeks Lehrer Ludwig von Mises geprägt war. Glasner betrachtet Hayek, den er abseits von dessen Irrtümern für einen bedeutenden Ökonomen hält, aber nicht als Nihilisten.

Wie auch immer: Das Phänomen, dass Ökonomen ihre politische Empfehlungen ihrem Weltbild auch dann entnehmen, wenn die theoretischen Erkentnisse der Wirtschaftswissenschaften dazu im Gegensatz stehen, dürfte auch in unserer Zeit nicht ausgestorben sein.

 

 


  • 1. Eine sehr lehrreiche und moderne Behandlung der Österreichischen Schule und damit auch der Konjunkturtheorie Hayeks haben Friedrun und Georg Quaas vorgelegt.
  • 2. Hier soll nur ein Problem unter vielen angesprochen werden: Ursprünglich ging die Theorie von flexiblen Märkten und Preisen aus. Der Investitionsboom kommt zustande, weil Arbeitskräfte offenbar problemlos aus der Konsumgüterproduktion in die Investitionsgüterproduktion wechseln können. Aber später, wenn der Boom zuende ist, käme es zu keiner schweren Krise, wenn die Arbeitskräfte wieder von der Investitionsgüterbranche in die Konsumgüterbranche wechseln könnten. Das wird aber von Hayek nur für schwer möglich erklärt – mit in den dreißiger Jahren wechselnden Erklärungen, die schon aus damaliger Sicht nicht recht überzeugten. Peter Spahn schreibt über Hayeks Theorie aus heutiger Sicht: “Zudem wird heute eine Konstellation halbfertiger Produktionsprozesse auf der einen und Kapazitätsengpässe auf der anderen Seite als sektorales Anpassungsproblem verstanden, das sich im Wettbewerb von selbst löst. Eine makroökonomische Krise kann Hayek daraus nur mit der Annahme technischer Friktionen konstruieren, die einen flexiblen Transfer von Produktionsfaktoren zwischen den Sektoren verhindern.”
  • 3.  Versuche der vergangenen Jahrzehnte, die Konjunkturtheorie der Österreichischen Schule zu reaktivieren und zu verbessern, verbinden sich vor allem mit Roger Garrison.
  • 4. Hayek hatte nie beansprucht, eine umfassende Theorie der Wirtschaftskrisen vorzulegen: “Obwohl ich glaube, dass die periodischen Krisen nur durch monetäre Faktoren zu erklären sind, so glaube ich doch nicht, dass sich auf diese Weise alle wirtschaftlichen Depressionen erklären lassen.”
  • 5. In unserer Zeit findet sich ein ähnliches Argumentationsmuster bei Ökonomen, die sich gegen die Geldpolitik der EZB mit dem Argument wenden, sie mache Südeuropa das wirtschaftliche Leben zu leicht und nehme damit den Druck von diesen Ländern, Strukturreformen durchzuführen. Allerdings spricht die Empirie eine andere Sprache: (“If at all, low interest rates tend to promote rather than to discourage structural reforms…”)