Vor Ausbruch der Finanzkrise waren das Geld und die Finanzmärkte aus der Makroökonomik verschwunden. Seit der Krise wird das makroökonomische Denken durch Impulse aus der Finanztheorie beeinflusst. Wir zeigen sechs Trends.
Vor kurzer Zeit haben wir in einem FAZIT-Beitrag geschildert, wie in den Jahrzehnten vor dem Ausbruch der Finanzkrise das Geld und die Finanzmärkte aus dem makroökonomischen Mainstream verschwunden waren. Heute wollen wir die von manchen Lesern gestellte Frage aufnehmen, was seitdem geschehen ist. Seit der Krise hat sich in der Welt der Ökonomen durch Versuche, die makroökonomische Theorie und die Finanztheorie zu verzahnen, einiges getan. Wir haben im Laufe der vergangenen Jahre in FAZIT über zahlreiche Arbeiten aus dieser “Makrofinanz” getauften Richtung geschrieben. Kürzlich hat der Princeton-Ökonom Marcus Brunnermeier, einer der führenden Köpfe der “Makrofinanz”, wichtige Trends zusammengefasst.
- Volatilität und Risikoprämien
In den traditionellen makroökonomischen Modellen reagieren die Teilnehmer am Wirtschaftsleben auf externe – das heißt, von außerhalb der Wirtschaft kommende – Einflüsse, zum Beispiel auf eine Änderung der Geldpolitik. In diesen Modellen wird angenommen, dass die Wirtschaftsteilnehmer um die Ergebnisse wirtschaftlichen Handelns wissen. Ein geradezu klassisches, noch heute gerade von Bankökonomen gerne verwendetes Beispiel ist die Erwartungstheorie des Zinses, die implizit in den seit Jahrzehnten dominierenden makroökonomischen Modellen enthalten ist.1) 2) In ihr erklärt sich der langfristige Zins aus dem aktuellen kurzfristigen sowie den für die Zukunft erwarteten kurzfristigen Zinsen. Da die kurzfristigen Zinsen durch den Leitzins von Notenbanken gesetzt werden, bestimmen nach der Erwartungstheorie des Zinses die Notenbanken mit ihrem kurzfristigen Leitzins auch die langfristigen Renditen sicherer Staatsanleihen. Seit Jahrzehnten hängt diese Theorie empirisch in der Luft, weil die langfristigen Renditen auch von anderen Faktoren, darunter nicht vorhersehbar schwankenden Risikoprämien abhängen. Diese Schwankungen der Risikowahrnehmung der Wirtschaftsteilnehmer ist eine in traditionellen Makromodellen nicht vorhandene Facette, die sich in modernen Modellen findet. - Das Vorsichtsparadoxon
Wer früher mal keynesianische Makroökonomik gelernt hat, kennt das sogenannte Sparparadoxon, nach dem einzelwirtschaftlich sinnvolles Sparen bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung schädlich sein kann. (Das Sparparadoxon ist heute aber nicht unser Thema.) Brunnermeier/Sannikov haben den Begriff Vorsichtsparadoxon für die Beobachtung geprägt, dass auch in der Finanzwelt einzelwirtschaftlich sinnvolles Verhalten gesamtwirtschaftlich problematisch werden kann. So ist es für jede Bank in einer Krise aus einer einzelwirtschaftlichen Perspektive sinnvoll, ihre Verbindlichkeiten zu reduzieren, beispielsweise durch den Verkauf von Wertpapieren, um Risiken abzubauen. Aber wenn die Banken in großem Stile Wertpapiere auf den Markt werfen, können sie damit gesamtwirtschaftlich Risiken erzeugen, wenn als Folge des massenhaften Verkaufs von Wertpapieren die Preise auf den Vermögensmärkten sinken – vor allem dann, wenn diese Vermögensgüter als Sicherheit für Kredite dienen. Solche Abwärtsspiralen mit Gefahren für das gesamte Finanzsystem ließen sich in der Finanzkrise beobachten – und sie finden sich seitdem in Modellen von Ökonomen. - Prozyklisches Verhalten
In traditionellen Modellen werden, wie oben bereits geschrieben, die Folgen von außen kommender Störungen auf eine Wirtschaft analysiert. Heutzutage spielt eine Rolle, dass sich gerade in guten Zeiten in einer Wirtschaft still und leise Risiken aufbauen können, weil es der Wirtschaft gut geht – und deshalb zum Beispiel die Möglichkeiten hoher Verschuldung einfacher sind. Bricht dann eine Krise aus, kann sie durch die im Abschnitt über das Vorsichtsparadoxon beschriebenen Abwärtsspiralen erheblich und unversehens Kraft gewinnen. - Vermeintlich sichere Kapitalanlagen
In vielen traditionellen Modellen existiert eine risikofreie Kapitalanlage, die auch immer risikofrei bleibt. Aber nur die wenigsten sicheren Kapitalanlagen sind garantiert sicher. Bargeld unterliegt einem Inflationsrisiko, Gold einem Preisrisiko und die Bonität vermeintlich sicherer Anleihen kann sich in Luft auflösen. Es ist nicht erstaunlich, dass in den Jahren seit der Finanzkrise das Thema “sichere Kapitalanlagen” eine erhebliche Bedeutung gewonnen hat und zum Beispiel von vielen Ökonomen als ein Grund für die niedrigen Renditen von Staatsanleihen betrachtet wird. Und das Thema besitzt viele Facetten. Ein Beispiel: Gary Corton hat gezeigt, wie in den Vereinigten Staaten immer dann, wenn das Angebot an staatlichen sicheren Anlagen zu gering wurde, über den Markt (vermeintlich) sichere Kapitalanlagen in Gestalt zum Beispiel der mit AAA-Ratings versehenen privaten Hypothekenpapieren geschaffen wurden. Als deren fragwürdige Bonität deutlich wurde, brach eine schwere Krise aus. Unter diesem Gesichtspunkt kann man sich übrigens einmal die hypothetische Frage stellen, wie sicher eine Welt ohne sichere Staatsanleihen wäre. - Das Ende der Separation
Vor der Finanzkrise wurde vor allem von der Fed und von amerikanischen Ökonomen die Ansicht vertreten, dass sich die Geldpolitik alleine um Inflation und Beschäftigung, aber nicht um die Stabilität des Finanzsystems zu kümmern habe. Das entsprach dem herrschenden makroökonomischen Modell. Finanzstabilität wurde als Aufgabe für Regulierungspolitik, modern mit dem schrecklichen Begriff “makroprudentielle Politik” bezeichnet, angesehen. Seitdem beschäftigen sich zahlreiche Ökonomen mit der Frage, wie sich Geldpolitik und Regulierungspolitik gegenseitig beeinflussen. Ein Beispiel: Wenn als Folge einer expansiven Geldpolitik die Preise von Anleihen steigen sollten, führte dies in den Bilanzen der Banken, die Anleihen halten (und wohl alle Banken halten Anleihen) zu einer “heimlichen Kapitalerhöhung”, wie Brunnermeier dies nennt. Hier bestehen Wechselwirkungen mit der Regulierungspolitik. Wie eine optimale Kombination aus Geldpolitik und Regulierungspolitik aussieht, ist Gegenstand zahlreicher Forschungen. - Effizienz versus Widerstandsfähigkeit
In den traditionellen makroökonomischen Modellen schwankt eine Wirtschaft um ihren langfristigen Wachstumspfad. Kommt es zu einer vorübergehenden Krise, kehrt die Wirtschaft anschließend wieder auf den alten Wachstumspfad zurück. Aber nach der Erfahrung findet eine Wirtschaft, die sich in einer durch eine Finanzkrise bewirkte schwere Rezession befand, nicht mehr einfach wieder auf den alten Wachstumspfad zurück. Vielmehr leidet das Wirtschaftswachstum dauerhaft. Da Regulierungen einerseits schwere Krisen verhindern können, indem sie die Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems erhöhen, andererseits aber auch gewöhnlich die kurzfristige Effizienz einer Marktwirtschaft unterhöhlen, stellt sich die Frage nach dem optimalen Maß an Regulierung.
Kurz gesagt: Es tut sich Vieles in der Disziplin. Erkennen lässt sich der Wandel in der Makroökonomik auch in einem Vergleich des neuen Ausgabe des Handbook of Macroeconomics – geschrieben übrigens unter Beteiligung auffallend vieler deutscher Ökonomen – mit seinem Vorläufer aus dem Jahre 1999. In der Neuausgabe finden sich zahlreiche Artikel über die Bedeutung von Banken, Finanzkrisen und Schulden für die Gesamtwirtschaft. Das zeigt, wie sehr die Forschungen der vergangenen Jahre im Mainstream der Makroökonomik angekommen sind.
- Dabei gibt es Ökonomen, die einerseits die traditionelle Makroökonomik für untauglich halten, aber andererseits die Erwartungstheorie des Zinses mit Zähnen und Klauen verteidigen.
- Ein anderes theoretisches Monument, das ebenso wie die Erwartungstheorie des Zinses unter die Räder gekommen ist, stellt die Zinsparität dar. Auch dazu finden sich Beiträge in FAZIT, zum Beispiel hier.