Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Was uns Steuerflucht kostet

Dem Staat entgehen Einnahmen, weil große Konzerne in Steueroasen flüchten. Doch das Ausmaß wird überschätzt – auch von einer aktuellen Studie.

ID 53428820© ReutersWo zahlt Apple seine Steuern?

Google zahlt zu wenig Steuern, Apple ebenfalls und Amazon erst recht – so heißt es oft. Seit Jahren ärgert sich die Öffentlichkeit über die Steuermoral von Internetkonzernen. Dabei gab es lange kaum verlässliche Zahlen darüber, wie groß das Phänomen ist. Nur so viel war stets klar: Internationale Konzerne denken sich komplizierte Konstruktionen aus, um ihre Gewinne in Länder zu verschieben, wo sie kaum besteuert werden. Aber ob das den deutschen Staat viel Geld kostet, wusste niemand so genau.

Immer wieder kursieren Behauptungen, europäische Staaten verlören ein Drittel ihrer Unternehmensteuereinnahmen durch die Verschiebungen. Das wären für Deutschland rund 30 MilliardenEuro im Jahr – ein enormer Betrag. Doch es gibt auch andere Signale: Immer mal wieder kommt ein echter Fall ans Licht, dann ist von ein paar Millionen Euro die Rede. Für so einen Betrag lohnt sich zwar aus Sicht der Firmen ein gewisser Aufwand, verglichen mit ihren Milliardengewinnen und Steuerbescheiden ist das aber nicht allzu viel. Vor Kurzem ist dazu eine neue Studie erschienen, über die breit berichtet wurde. Doch auch diese Studie überschätzt das Ausmaß deutlich, zumindest für Europa.

Wie viel macht die Steuervermeidung also tatsächlich aus? Einen ersten Hinweis gibt die Bilanz der Unternehmen. Sie zeigt: Apple beispielsweise hat im vergangenen Jahr insgesamt rund 25 Prozent an Steuern auf seine Gewinne gezahlt, also direkt überwiesen oder als Schuld anerkannt. Das ist ungefähr so viel wie ein durchschnittlicher deutscher Mittelständler. Allerdings hat der amerikanische Staat mehr Steuern verlangt, nämlich bis zu 35 Prozent. Das ist mehr als in anderen Staaten. Gleichzeitig war in diesem System von Anfang an vorgesehen, dass Gewinne aus dem Ausland niedriger besteuert werden. Niemand hat je erwartet, dass amerikanische Unternehmen am Ende tatsächlich insgesamt 35 Prozent Steuern zahlen. Die geprüfte Unternehmensbilanz zeigt: Selbst Apple kann höchstens ein Drittel seiner Steuerlast sparen, wahrscheinlich sehr viel weniger. Die Obergrenze ist gefunden.

Eine Studie von Gabriel Zucman geht vom falschen Steuersystem aus

Wie groß ist das Ausmaß der Steuervermeidung aber tatsächlich? In den vergangenen Jahren hat es viele Versuche gegeben, das herauszufinden. Sie alle litten darunter, dass Unternehmen nicht sehr transparent sind, vor allem was ihre Geschäfte in Steueroasen betrifft. Jetzt aber gibt es eine neue Studie von einem Forscherteam mit dem Franzosen Gabriel Zucman, der oft mit dem Ungleichheitsforscher Thomas Piketty arbeitet.

Dieses Team hat sich zunutze gemacht, dass es immer bessere Daten über die Zahlungsströme zwischen den Staaten gibt. Die Zahlen zeigen beispielsweise, dass die Bermuda-Inseln Dienstleistungen nach Europa exportieren und dafür sehr viel Geld bekommen, viel mehr, als es für ein Land ihrer Größe normal wäre. Deshalb liegt es nahe, dass viele Unternehmen ihre Patente dort abgelegt haben. Die Europäischen Tochtergesellschaften müssen dann hohe Patentabgaben zahlen – und so landen die Gewinne aus Europa auf den Bermuda-Inseln.

Auf diese Weise rechnen Zucman und seine Kollegen aus, dass weltweit rund zehn Prozent der Steuereinnahmen von internationalen Konzernen verloren gingen. Die Staaten der EU verlören rund 20 Prozent. Das ist schon mal deutlich weniger als die Horrorschätzungen der vergangenen Jahre. Doch auch diese Schätzung ist noch deutlich zu hoch. Denn Zucman geht von einem Steuersystem aus, das es in dieser Form nicht gibt.

So funktioniert das internationale Steuersystem

In Wirklichkeit funktioniert das internationale Steuersystem so: Die Steuern soll der Staat bekommen, in dem das Unternehmen seine Werte schafft. Das Problem: Es ist schwierig festzustellen, wo das ist. Apples Wertschöpfung besteht darin, dass der Konzern ein Handy mit einem Teilepreis von rund 200 Dollar für 650 Dollar verkaufen kann – die 450 Dollar dazwischen sind Apples Leistung. Schafft Apple diese Leistung dort, wo die iPhones verkauft werden? Dann wäre das zum Teil in Deutschland. Oder schafft Apple das dort, wo am meisten Mitarbeiter arbeiten? Dann hätte Deutschland immer noch einen ordentlichen Anteil. Oder schafft Apple seine Leistung dort, wo die Handys entwickelt werden? Dann ist das an verschiedenen Stellen der Welt, großteils in den Vereinigten Staaten.

Das alles lässt sich kaum am Schreibtisch entscheiden. Deshalb arbeiten die Finanzämter mit sogenannten Transferpreisen: Die Apple-Mitarbeiter im einen Land stellen den Apple-Mitarbeitern im anderen Land eine Rechnung für ihre Arbeit. Das Finanzamt kann dann prüfen, ob die Preise ungefähr dem entsprechen, was auch andere zahlen müssten.

Deutschland bekommt da nicht allzu viel Wertbeitrag ab. Das iPhone ist hier nicht erfunden worden. Es wird auch nur zu einem kleinen Teil hier weiterentwickelt. Aus Sicht des deutschen Fiskus ist Apple wenig mehr als ein mittelständischer Elektronikhändler mit beschränktem Sortiment und einer kleinen Marketing-Einheit. Solange Apple die iPhones den Media-Märkten zu einem vergleichbaren Preis verkauft wie den eigenen Apple-Läden, ist dem Gesetz Genüge getan.

Zucman und seine Kollegen behaupten, dass Deutschland 20 Prozent seiner Steuern an Steueroasen verliert, zum Beispiel weil die Unternehmen dort Lizenzen gebunkert haben. Dabei ignorieren die Forscher, dass Deutschland für diese Lizenzen sonst ebenfalls bezahlen müsste – nur eben an andere Staaten.

Das Steuersystem könnte sich verändern

Es gibt Bestrebungen, das internationale Steuersystem zu ändern. Verschiedene Vorschläge laufen darauf hinaus, dass der Gesamtgewinn eines Unternehmens ermittelt wird und dann auf unterschiedliche Staaten verteilt wird – und zwar nach Kriterien, zu denen auch der Umsatz im Land gehören kann. Solche Ideen sind für den deutschen Fiskus nicht unbedingt gut.

Deutschland würde zwar Steuern von Apple und Google gewinnen, müsste aber auf andere Steuern verzichten: Autokonzerne und andere Exportbetriebe müssten dann mehr Steuern an die chinesische Regierung zahlen statt an den deutschen Fiskus. Weil Deutschland mehr exportiert als es importiert, hätte die Bundesregierung viel Geld zu verlieren.

Bisher ist Deutschland gemeinsam mit der Industrieländer-Organisation OECD einen anderen Weg gegangen: Es prüft die Transferpreise immer genauer. Sind die Patente wirklich so viel wert, wie Apple behauptet? Solche Fragen bringen zwar keine zusätzlichen Steuermilliarden, doch sie haben dem deutschen Fiskus schon die eine oder andere Million Euro zusätzlich beschert, auch von Apple.

Eine Arbeit dreier deutscher Ökonomen hat schon vor drei Jahren gezeigt, dass solche Maßnahmen tatsächlich wirken. Die Studie hat aber auch gezeigt: Ein Land ist besonders zögerlich mit solchen Initiativen. Es handelt sich um Irland – das Land, das sowieso schon ständig von der EU-Kommission verklagt wird. Aber dabei verzichtet die irische Regierung nur auf ihr eigenes Geld.

Eine missverständliche Formulierung im Text erlaubte die Deutung, Apple habe seine kompletten Steuern direkt überwiesen. Darum haben wir einen erklärenden Halbsatz angefügt.

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Patrick Bernau