Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Italiens Staatsbankrott ist nicht zwingend

Italiens Staatsschulden entsprechen rund 130 Prozent der Wirtschaftsleistung (BIP). Das führt Schwarzmaler zur Schlussfolgerung, ein Schuldenschnitt wäre unumgänglich. Wie das Beispiel Belgiens zeigt, ist diese These unhaltbar. Die italienische Krise ist selbstverschuldet, aber nicht ausweglos. Die Regierung in Rom läuft allerdings gerade in die falsche Richtung.

Das in Brüssel ansässige Bruegel-Institut hat einen sehr interessanten Artikel André Sapirs veröffentlicht, der die Entwicklung der Staatsverschuldung in Belgien und in Italien in den vergangenen Jahren vergleicht. Der Beitrag enthält zudem lehrreiche Grafiken und ist gut geeignet, ein paar verbreitete Mythen zu entzaubern.

 

 

 

Ein Vergleich des Verhältnisses von Staatsschulden zum BIP über die vergangenen Jahre zeigt zunächst, dass eine Quote von 130 Prozent, wie sie Italien derzeit aufweist, kein Hinweis auf einen zwangsläufigen Untergang darstellt. Belgien hatte zu Beginn der neunziger Jahre eine noch höhere Schuldenquote, die das Land über einen Zeitraum von 15 Jahren von 138 auf 87 Prozent gesenkt hat. Das war keine kleine Leistung! Sie ist – in Anbetracht heutiger Debatten um Italien und den Euro – umso bemerkenswerter gewesen, als Belgien in dieser Zeit seine Währung gegenüber der D-Mark nicht abgewertet hatte; der Wechselkurs war im Vorfeld der europäischen Währungsunion stabil. Zum zweiten hat Belgien seine Staatsschulden nicht weginflationiert: Im Jahre 1992 betrug die Inflationsrate 2,4 Prozent, und 1998 ging Belgien mit einer Inflationsrate von 0,6 Prozent in den Euro.

Italien hat sein Verhältnis von Staatsschulden zu BIP zwischen 1994 und 2007 zwar auch zu senken verstanden, aber nicht so stark wie Belgien. Und seit dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2007 vergrößern sich die Unterschiede. Das Verhältnis von Staatsschulden zu BIP ist seitdem zwar auch in Belgien gewachsen, aber nicht so stark wie in Italien.

 

 

Was sind die Gründe für die unterschiedliche Entwicklung? Lehrreich ist ein Blick auf den Primärsaldo der Staatshaushalte. Der Primärsaldo bemisst den Haushaltssaldo ohne Berücksichtigung der Zinsausgaben für die Staatsschulden. Hier zeigt sich, dass im Zeitraum bis 2007 Belgien fast stets einen höheren Primärüberschuss aufwies als Italien, das in diesem Zeitraum aber auch fast durchgängig einen Primärüberschuss hatte. “Italien hätte damals größere finanzpolitische Anstrengungen unternehmen müssen”, schreibt Sapir. Seit 2009 ist der Primärüberschuss in Italien dann sogar größer als in Belgien und trotzdem steigt das Verhältnis von Staatsverschuldung zu BIP in Italien schneller! Es muss einen Unterschied im Wirtschaftswachstum geben.

 

 

 

 

 

 

 

Ein Vergleich des realen Wirtschaftswachstums der beiden Länder offenbart für die große Mehrheit der Jahre zwischen 1990 und 2017 einen Vorteil für Belgien, der sich über die Zeit aufsummiert und einen wesentlichen Unterschied in der Schuldendynamik beider Länder darstellt. Italien hatte nach dem Zweiten Weltkrieg lange Zeit ansehnliche Wachstumsraten erzielt, aber seit den neunziger Jahren wächst die italienische Wirtschaft nicht mehr dynamisch. Dieses Phänomen ist wohl bekannt und vielfach analysiert worden – in FAZIT haben wir uns unter anderem hier und hier damit befasst. Italien sei nicht in der Lage gewesen, sich angesichts wirtschaftlicher und sozialer Herausforderungen und des technologischen Wandels zu modernisieren, urteilt Sapir. In erster Linie scheint der Ressourcentransfer von wenig effizienten zu effizienten Unternehmen nicht funktioniert zu haben mit dem Ergebnis einer völlig unzulänglichen Entwicklung der Produktivität. Italien hätte in den neunziger Jahren entschlossene Strukturreformen unternehmen müssen, schreibt Sapir. Aber selbst wenn diese das Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozent im Jahr gesteigert hätten, wäre die Schuldendynamik unbefriedigend gewesen. Italien hätte auch, wie oben erwähnt, frühzeitig einen höheren Primärübschuss in seinem Haushalt realisieren müssen.

 

 

 

Die Zinskosten haben Italien lange Zeit im Vergleich nicht besonders belastet. Obgleich die italienische Schuldendynamik ungünstiger war als die belgische, lag die reale Rendite auf die Staatsanleihen bis zum Ausbruch der Eurokrise unter der belgischen. Der Spread lag für zehnjährige Papiere lange Zeit bei rund 0,50 Prozentpunkten zugunsten der italienischen Anleihen. Sapir erklärt dies nachvollziehbar mit dem größeren und damit liquideren Markt in Italien. Mit der Eurokrise drehten sich die Verhältnisse um. Seitdem rentieren italienische Anleihen deutlich höher als belgische  – nicht zufällig hat sich in dieser Zeit auch die Differenz bei den Ratings durch die großen Agenturen zuungunsten Italiens sehr verschechtert. Heute werden italienische Staatsanleihen noch zwei Stufen über Ramschniveau bewertet und die Überprüfung der Ratings Ende Oktober durch Moody’s und Standard & Poor’s könnte zu Herabstufungen führen. Italien beginnt, für die Sünden der Vergangenheit zu bezahlen und die neue Regierung trägt dazu bei, die Rechnung zu vergrößern. Zumal höhere Renditen für Staatsanleihen sich auch in höheren Kreditkosten für italienische Unternehmen niederschlagen dürften.

 

Welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus für die Zukunft ziehen? Es kommt mit Blick auf die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung vor allem auf die Politik an, die in Italien betrieben wird. Nichts ist vorab in Stein gemeißelt. Wir zitieren Sapir: “Die unterschiedliche Einstellung der Politik gegenüber der Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung und letztlich gegenüber dem Euro ist vor allem seit der Krise deutlich geworden. In Belgien existierte ein politischer Konsens, dass das hohe Staatsschuldenniveau eine Quelle der Fragilität bildete und die Mitgliedschaft im Euro wirtschaftlich und politisch für das Wohlergehen des Landes wesentlich war. Die absolute Verpflichtung gegenüber dem Euro erlaubte es Belgien weitgehend, auf dem Höhepunkt der Eurokrise unter dem Druck der Märkte eine Austeritätspolitik betreiben zu müssen. In Italien war die Lage ganz anders. Die schwächere Verpflichtung heimischer Politiker mit Bezug auf die Nachhaltigkeit der Staatsverschuldung und sogar dem Euro versetzte die Märkte in eine Panik und zwang die Politik zum ungünstigsten Zeitpunkt zu einer Austeritätspolitik. Die Lektion lautet, dass hohe Schuldenstände in der Währungsunion eine absolute Verpflichtung der Politik mit Bezug auf nachhaltige Staatsschulden und die Mitgliedschaft im Euro erfordern. Jede Abweichung von dieser Verpflichtung wird sofort und hart von den Finanzmärkten bestraft, zumal die EZB nur eine begrenzte Möglichkeit besäße, die Situation zu beeinflussen.”

 

Diese Lektion scheinen di Maio, Salvini & Co. noch lernen zu müssen. Wie sehr öffentlich geäußerte Zweifel an der Mitgliedschaft in der Währungsunion die Renditen und damit die Zinskosten für Staat und Wirtschaft belasten, hat kürzlich Daniel Gros in einem interessanten Beitrag gezeigt. Vielleicht liest man das in Rom noch rechtzeitig. Denn aktuell ist die italienische Staatsverschuldung sehr wahrscheinlich noch nachhaltig und ein langfristiger Konsolidierungsprozess à la Belgien noch möglich. Wenn Rom aber die Renditen in die Höhe treibt und gleichzeitig das wirtschaftliche Klima im Land verschlechtert, wird es immer schwieriger, die Wende zu schaffen.