Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Auf die Gene kommt es an

Erbanlagen sind für unsere Entwicklung wichtiger als gedacht. Dagegen hilft nicht mal die Frauenquote.

© dpaWerden lesende Kinder schlau? Oder sind es schlaue Kinder, die lesen?


Was der Mensch ist, das wird er nur durch seine Umgebung und seine Erziehung – diesen Eindruck vermittelt die Diskussion der vergangenen Jahre. Da heißt es: Idealerweise sind alle Arbeitsstellen halbe-halbe besetzt. Wenn Frauen sich für andere Berufe entscheiden als Männer, dann hat die Gesellschaft das zu korrigieren. Oder: Wenn einige Kinder weniger lernen als andere, dann hat die Gesellschaft versagt. Doch in Neurologie und Psychologie häufen sich seit einigen Jahren Studien, die zu dem Schluss führen: Die Voraussetzung für diese Thesen war falsch. Wie die Menschen sind, darauf haben Familie und Gesellschaft nur wenig Einfluss, verantwortlich sind dafür vor allem die Gene.

In diesem Herbst erscheinen gleich zwei Bücher, die diese Erkenntnisse verdeutlichen. „Die Genetik erklärt mehr von unseren psychologischen Unterschieden als alles andere zusammengenommen“, schreibt der angesehene amerikanischer Genetiker und Psychologe Robert Plomin. Sein irischer Kollege Kevin Mitchell kommt zum gleichen Schluss: Für viele Eigenschaften seien zu 40 bis 60 Prozent die Gene verantwortlich. Familie und Umgebung machten höchstens zehn Prozent aus. Der Rest sei größtenteils angeborener Zufall und entstehe daraus, wie sich das Gehirn in einem Menschen eben natürlich entwickle.

Familien haben wenig Einfluss auf die Entwicklung

Woher wissen die Genetiker das so genau? Erstens sind die Methoden zur Genanalyse in den vergangenen Jahren immer besser geworden. Zweitens haben sich inzwischen viele Studien angehäuft, die die Schicksale von Kindern verfolgen – zum Beispiel von Adoptivkindern, die nicht von ihren leiblichen Eltern erzogen werden. Oder von Geschwistern, die in unterschiedlichen Familien aufgewachsen sind, gelegentlich sogar von eineiigen Zwillingen. Robert Plomin hat sein Berufsleben damit verbracht, immer wieder solche Zusammenhänge zu erforschen. Sein Fazit: Geschwister, die in unterschiedlichen Familien aufgewachsen sind, unterscheiden sich als Erwachsene nicht stärker voneinander als Geschwister, die zusammen aufgewachsen sind.

Zudem hat Plomin festgestellt, dass manchmal die Gene schon daran schuld sind, welche Umgebung die Kinder erleben. Das kann man sich so vorstellen: Wenn jemand in seiner Jugend viel Zeit im Sportverein verbringt, wird er wahrscheinlich ein besserer Sportler. Gut möglich aber, dass er dem Sportverein von vornherein nur beitritt, weil er sportlicher veranlagt ist als andere Menschen. Noch deutlicher: Wenn Eltern ihren Kindern öfter vorlesen, lernen Kinder eher ein Interesse an Büchern. Wahr kann aber auch sein, dass Kinder mit einem Interesse an Büchern sich eher vorlesen lassen und Eltern dann ebenfalls mehr Spaß daran haben – vielleicht sogar, weil sie selbst gerne lesen und ihren Kindern dieses Hobby genetisch vererbt haben.

Ganz deutlich wird das, wenn es um die Intelligenz geht – den Faktor, der für so viele Dinge im Leben entscheidend ist: Schlaue Menschen sind glücklicher, sie leben länger und verdienen mehr. Nun ist es so, dass erwachsene eineiige Zwillinge in IQ-Tests bemerkenswert ähnlich abschneiden. Ihre Ergebnisse unterscheiden sich nicht stärker voneinander als die Ergebnisse einer einzelnen Person im Lauf der Zeit. Auch wenn die eineiigen Zwillinge in unterschiedlichen Familien aufgewachsen sind, werden die Unterschiede kaum größer.

Warum die Ergebnisse keinen Rassismus rechtfertigen

All diese Erkenntnisse der Wissenschaftler gelten wohlgemerkt nur innerhalb einzelner Länder. Keiner der genannten Autoren liefert eine Rechtfertigung für Rassismus. Zwar gibt es Intelligenzunterschiede zwischen den Ländern, doch die haben mit den Lebensbedingungen zu tun, nicht mit dem Erbgut. Beispiel Irland: Als das Land in den 1980ern arm war, erreichten seine Bewohner in Intelligenztests durchschnittlich nur 85 Prozent der Punkte, die Engländer erreichten. Doch das lag daran, dass sich die Lebensumstände zwischen den Ländern viel stärker unterschieden als innerhalb eines Landes. Heute ist Irland reich, die Lebensumstände sind besser, inzwischen sind beide Staaten gleichauf – so berichtet es Kevin Mitchell.

Erblichkeit bedeutet auch nicht, dass jedes Kind intelligenter Eltern automatisch schlau ist. Der Zufall spielt eine große Rolle. Deshalb sind die Kinder hochintelligenter Eltern meist näher dran am Durchschnitt als Vater und Mutter. Ein gewisser Einfluss bleibt aber. Die Kinder intelligenter Eltern haben meistens einen höheren IQ als der Durchschnitt. Umgekehrt haben Eltern mit niedrigem Intelligenzquotienten oft Kinder, deren IQ unterdurchschnittlich ausfällt.

Schlechte Nachrichten für die Frauenquote

Was aber bedeutet die Erkenntnis, dass die Gene so wichtig sind, für die Geschlechterfrage? Sicher ist: Die Gehirne von Frauen und Männern unterscheiden sich stark. Anhand der Größe unterschiedlicher Hirnregionen kann man relativ sicher feststellen, ob ein Gehirn von einem Mann oder einer Frau stammt. „So, wie es männliche und weibliche Gesichter gibt, so gibt es männliche und weibliche Gehirne“, schreibt Kevin Mitchell. Schon kurz nach der Geburt unterscheiden sich demnach die Gehirne von Jungen und Mädchen, das gilt auch für ihr Verhalten. Gerade in besonders gleichberechtigten Ländern unterscheidet sich das Verhalten von Männern und Frauen oft sehr, wie wir in “Fazit” schon beschrieben haben. Zum Beispiel wählen Frauen in Skandinavien sehr viel seltener IT-Berufe als in der arabischen Welt.

Was heißt all das für die Praxis? Natürlich sollten Schulen jeden Schüler so gut wie möglich fördern. Aber Eltern können sich entspannen, sagen die Experten: Details der Erziehung sind nicht so wichtig dafür, was später aus ihren Kindern wird. Denn die kleine Wirkung, die Erziehung darauf hat, verliert sich im Lauf der Zeit. Auch die Lebenserfahrung zeigt ja: Viele Menschen werden ihren Eltern mit zunehmendem Alter immer ähnlicher.

Sicher ist: Wer die aktuelle Neuropsychologie ernst nimmt, der kann Gerechtigkeit nicht daran messen, ob am Schluss alle Menschen gleich sind. Es wäre geradezu verwunderlich, wenn in jedem Beruf Männer und Frauen halbe-halbe vertreten sein wollten. Das gilt nicht nur für Männer und Frauen, sondern auch für anderweitig unterschiedliche Menschen. „Chancengleichheit ist nicht Ergebnisgleichheit“, schreibt Robert Plomin. Und Kevin Mitchell resümiert: „Wer Unterschiede bestreitet und den Leuten ständig sagt, sie sollten sich ändern, der hilft niemandem.“

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Der Autor:

Patrick Bernau