Ein Gespräch mit Rüdiger Bachmann über die Eigentumsökonomik von Heinsohn/Steiger, die Selbstbezogenheit mancher deutscher Professoren, ihre verhängnisvolle Suche nach Letztbegründungen und ihr grandioses Scheitern im internationalen Wettbewerb der Ökonomen.
Herr Bachmann, wir wollen heute in die jüngere deutsche Theoriegeschichte einsteigen und uns mit der Eigentumsökonomik der Bremer Wissenschaftler Gunnar Heinsohn (geb. 1943) und Otto Steiger (1938 bis 2008) befassen sowie mit der Kritik der Eigentumsökonomik durch die Berliner Monetärkeynesianer um Hajo Riese (geb. 1933). Das klingt nach einem Spartenprogramm, aber vielleicht lassen sich daraus Erkenntnisse über allgemeine Probleme der jüngeren deutschen Volkswirtschaftslehre gewinnen. Bevor wir uns mit den Inhalten befassen: Was ist Ihr Eindruck vom Stil der damaligen Auseinandersetzungen?
Das kann man sehr gut an einem Beitrag festmachen, den Hajo Riese für den Steiger-Gedenkband verfasst hat. Er trägt den Titel „Die Volkswirtschaftslehre als historische Wissenschaftstheorie“. Diese Art zu schreiben zeigt eine maximale Selbstbezogenheit und ein maximales Von-sich-selbst-überzeugt-sein bei maximaler internationaler Isolation. Die Volkswirtschaftslehre ist doch keine historische Wissenschaftstheorie. Das war sie nie und das soll sie auch nicht sein. Was soll ein solcher Artikel?
Und was kam bei dem Artikel heraus?
Das war dann extrem dünn. Der Titel erweckt den Eindruck, als habe die Volkswirtschaftslehre irgendetwas zur Wissenschaftstheorie beizutragen. Es kommt dann ein simples Drei-Stufen-Schema mit einem Abriss von Klassik, Neoklassik und Keynesianismus vor. Alles Neuere rezipiert der Autor nicht mehr. Dann schreibt er mit Verweis auf Thomas Kuhn, dass mit jedem Paradigmenwechsel nicht nur Fortschritt, sondern auch Regression verbunden ist. Das war es dann, aber das könnte auch jeder Philosophiestudent in einem einigermaßen fortgeschrittenen Semester.
Wenden wir uns der Eigentumsökonomik von Heinsohn/Steiger zu. Ich versuche für Leser, die damit nicht vertraut sind, ihre Essenz in wenigen Sätzen zusammenzufassen: Eigentum, das im Zuge der Sklavenaufstände entstanden ist, wird eine konstitutive ökonomische Rolle beigemessen – seine Existenz begründet überhaupt erst die Möglichkeit des Wirtschaftens. Denn Eigentum, streng abgegrenzt von Besitz, erzeugt eine Dispositionsfreiheit, deren wichtigste Elemente das Belasten, Verpfänden und Verkaufen sind. Die mit dem Eigentum verbundenen Annehmlichkeiten werden als Eigentumsprämie bezeichnet. Wirtschaften entsteht nach Heinsohn/Steiger nun dadurch, dass durch Verpfänden von Eigentum Kontrakte zwischen Gläubigern und Schuldnern entstehen, die Geldcharakter tragen und verzinst werden. Auf der Basis des Eigentums entsteht eine Geldwirtschaft und überhaupt erst modernes Wirtschaften, während die auf dem Tauschparadigma beruhende Neoklassik den auf dem Eigentum beruhenden Kern des Wirtschaftens gar nicht verstanden hat. Damit wird aus der Sicht ihrer Schöpfer die Eigentumsökonomik zur ersten und einzigen seriösen Wirtschaftstheorie. Was halten Sie von einem solchen Ansatz und einem solchen Anspruch?
Bei allem, was man daran kritisieren kann: Die Leute sind schon smart. Dass Eigentum eine wichtige Kategorie des Wirtschaftens ist, bleibt eine wertvolle Erkenntnis, auch wenn sie natürlich nicht neu ist. In der Entwicklungsökonomik und in der Wachstumstheorie haben Eigentumsrechte (property rights) auch schon vor Heinsohn/Steiger eine Rolle gespielt. Und die Rolle von Sicherheiten für Kredite ist im Mainstream auch schon lange bekannt, zum Beispiel durch Arbeiten von Bernanke, Gertler oder Kiyotaki/Moore, die übrigens ungefähr zeitgleich entwickelt wurden.
Das ist sicherlich so, aber Heinsohn/Steiger messen dem Eigentum eine weit größere Rolle zu, indem es zur Grundlage des Wirtschaftens überhaupt erklärt wird.
Diese Versuche essentialistischer Definitionen, was Wirtschaften überhaupt ist, sind letztlich alle gescheitert. Das ist etwas für Kamindebatten. Solche Debatten mögen ästhetisch angenehm sein, aber sie führen zu rein nichts. Sie leisten auch keinen Beitrag zu wirtschaftspolitischen Debatten.
Haben sich Heinsohn/Steiger mit ihrem Anspruch überhoben?
Was folgt denn daraus, wenn man Eigentum zur fundamentalen Kategorie des Wirtschaftens erhebt und den Tausch für nachrangig erklärt? Gar nichts. Aber dieser Absolutheitsanspruch macht blind. Wie passen unbesicherte Kredite, etwa durch Kreditkarten, in diese Theorie? Was ist mit Staatsschulden, die nicht besichert sind? Es gibt Länder wie Argentinien, die schon mehrfach bankrott gegangen sind und trotzdem immer wieder aufs neue Kredite erhalten. Im Durchschnitt sind solche Kapitalanlagen häufig rentabel, auch wenn sie sehr riskant sind. Und dann gibt es den Punkt, der Heinsohn/Steiger von den Berliner Monetärkeynesianern wie Hajo Riese und Heinz-Peter Spahn zurecht um die Ohren gehauen wurde: Wie kommt es, dass eine Zentralbank auch ohne Eigenkapital funktionieren kann?
Das kann eine Zentralbank in der Tat, wie wir in FAZIT am Beispiel der Tschechischen Nationalbank gezeigt haben. Und damit sind wir bei den Berliner Monetärkeynesianern, die wie Heinsohn/Steiger der Ansicht waren, dass Wirtschaft nur als Geldwirtschaft erklärt werden kann und die Neoklassik mit ihrem Tauschparadigma dies nicht versteht. Allerdings entsteht für die Berliner Geld aus dem Nichts und der Wert des Geldes erklärt sich nicht aus einer Besicherung, sondern er entsteht durch Knapphalten. Ich habe hier ein längeres Zitat von Hajo Riese über Heinsohn/Steiger: „Wenn jemand Geld und Einkommen durcheinanderwirft und zudem Geld und Kredit verwechselt, so entstehen jene Apokryphen, die offensichtlich wie die Theologie auch die Wirtschaftswissenschaften befallen. Und wenn die Autoren dieser Apokryphen auch noch den Anspruch erheben, als erste der Menschheitsgeschichte so etwas wie eine ökonomische Theorie zu begründen, so muss ihnen sogar jener gute Wille verweigert werden, der einem ansonsten auch bei fehlenden Kräften zugebilligt wird… Das Ergebnis ist trivial: Was ökonomische Theorie begründen soll, erweist sich als eine unzulässige Verwendung von Kategorien und was als wissenschaftliche Revolution gedacht war, katapultiert die Autoren aus der scientific community… Die Konsequenzen sind unausbleiblich: Heinsohn und Steiger werden zu typischen cranks…“ Das ist ganz schön heftig.
Allerdings. Ich habe einen veröffentlichten Briefwechsel zwischen Heinz-Peter Spahn und Otto Steiger gelesen, in dem man sich auch viele Unfreundlichkeiten an den Kopf geworfen hat. Nicht zuletzt geht es dort um Begriffe. Steiger wirft Spahn dauernd vor, dass er den Unterschied zwischen Eigentum und Besitz nicht kenne. Das ist natürlich Unsinn. Umgekehrt wirft Spahn Steiger dauernd vor, dass dieser den Unterschied zwischen Geld und Kredit nicht kenne.
Was halten Sie von solchen Debatten?
Ich halte sie für völlig sinnlos. Wozu leisten sie einen Beitrag? Zeitlich parallel hat man sich in der angelsächsischen Welt gefragt: Was passiert in einem marktwirtschaftlichen Modell – es muss nicht einmal ein neoklassisches Modell sein -, wenn man dort Kreditsicherheiten einführt? Und dann kommt man zu vergleichbaren Ergebnissen, nämlich, dass in einer Finanzkrise ein Fall von Vermögenspreisen die Krise verschärft. Das haben die Bremer Eigentumsökonomen im Grundsatz schon gesehen. Aber sie sind dann halt stehen geblieben. Und so erklären sich auch wirtschaftspolitische Fehlschlüsse der Bremer, indem sie beispielsweise sagen, die Geldpolitik könne kein Eigentum schaffen. Natürlich baut die Zentralbank keine Häuser, aber sie hat erheblichen Einfluss auf die Bewertung von Eigentum, und darauf kommt es doch an. Deshalb hat die Geldpolitik in der Finanzkrise doch versucht, Vermögenspreise zu stützen. Und die Geldpolitik nimmt Einfluss, indem eine Zentralbank festlegt, was sie als Vermögensgüter ankauft und was sie als Pfand (collateral) bei Krediten akzeptiert.
Fehlt es an der Kenntnis der relevanten Literatur?
Ein Blick in das Literaturverzeichnis der Bremer ist vielsagend: Sie haben die internationale Literatur nur unvollständig zur Kenntnis genommen und nicht zuletzt sich selbst zitiert.
Vielleicht bleibt man zwangsläufig in einem kleinen Kreis, wenn man sich selbst für maximal erleuchtet und alle anderen für blöd hält. Wenn man sich internationalen Debatten stellte, bliebe von einer solchen Selbstwahrnehmung vermutlich nicht viel übrig.
Ich kenne jedenfalls keinen noch so großspurig auftretenden, von sich selbst überzeugten angelsächsischen Ökonomen, der den Anspruch erhebt, er habe als Erster eine ernsthafte Wirtschaftstheorie entwickelt.
Ist diese Neigung, in kleinen Clustern fernab des Mainstreams zu theoretisieren und die eigenen Geistesfrüchte als einzigartig darzustellen, eine deutsche Spezialität?
In den Vereinigten Staaten würden Heterodoxe sicherlich stärker versuchen, sich zu vernetzen. Durch das Internet sind die Kosten, aus der Isolation herauszukommen, auch kleiner geworden. Festzustellen bleibt, dass die Anliegen der Eigentumsökonomik wie des Monetärkeynesianismus grandios gescheitert sind. In der akademischen Welt finden sie überhaupt keine direkt auf sie zurückgehende Resonanz. Es hat ja auch kaum Schüler an den Universitäten gegeben.
In deutschsprachigen Blogs findet sich hier und da Resonanz. Da trifft man Betreiber, Autoren und Diskutanten, die zumindest Elemente aus der Eigentumsökonomik und des Monetärkeynesianismus verwenden – übrigens nicht selten mit dem gleichen Anspruch auf Letztbegründung. Sprüche wie “Die Mainstream-Ökonomen verstehen nichts von Geld” oder “Die Neoklassik hat keine Ahnung, was Geld ist”, sind häufig kaum mehr als aufgewärmter Heinsohn beziehungsweise Riese. Auch die Irrtümer sind die gleichen geblieben…ebenso wie die fatale Neigung, endlos und rechthaberisch über Begriffe zu streiten.
Man könnte die Debatten zwischen Dirk Ehnts und Georg Quaas zur creatio pecuniae ex nihilo-These in der “Ökonomenstimme” anführen. Ehnts argumentiert wie ein Monetärkeynesianer, während Quaas, wenn auch differenzierter und kritischer, Argumente der Eigentumsökonomik anführt.
Ja, Georg Quaas hat gerade ein Buch über das Geld geschrieben, in dem er die Monetärkeynesianer hart attackiert und Grundgedanken der Eigentumsökonomik übernimmt, sich aber von überzogenen Ansprüchen von Heinsohn/Steiger distanziert und auch konkret Irrtümer benennt. Ein anderer Aspekt: Eine internationale Ausrichtung haben die Bremer und die Berliner offenbar nie angestrebt.
Das ist schon ein wenig eine typisch deutsche professorale Haltung und damit kommen wir zum Anfang zurück: Da gibt es die Neigung, auch mit einem kleinen Gedanken die Theorie auf eine neue Höhe zu heben und allen anderen Unwissenschaftlichkeit vorzuwerfen. Diesem Professorentypus reicht es nicht, die vorhandene Wissenschaft ein Stück weit voranzubringen. Das ist dieses kantische Ideal: Immanuel Kant hat sein Leben lang nur in Königsberg gesessen und in seiner Studierstube die Welt erklärt. Aber Kant war ein Genie und da hat es geklappt. Bei den meisten anderen klappt es nicht.
Gehören auch die Ordoliberalen zu diesem Wissenschaftstypus?
Nein. Die Ordoliberalen haben nicht den Anspruch erhoben, eine neue Fundierung der Wirtschaftstheorie zu leisten. Die Theorie der Ordoliberalen besteht aus neoklassischer Mikroökonomie gepaart mit Public-Choice-Theorie. Den Ordoliberalen ging es immer eher um praktische Wirtschaftspolitik.
Zurück zur Eigentumsökonomik: Man findet bei Heinsohn/Steiger nicht nur endlose Diskussionen über Begriffe, sondern auch eine große Neigung, juristische Konstruktionen zu erörtern.
Es ist schon kurios, wenn sie behaupten, außer ihnen verstehe kein Ökonom den Unterschied zwischen Eigentum und Besitz. Im Grunde genommen ist das beleidigend: Die sitzen da in Bremen und werfen zigtausend Ökonomen in aller Welt vor, sie wüssten nicht, was Eigentum ist. Das ist doch die Ausgeburt von Hybris. Aus psychologischer Sicht finde ich ein solchen Verhalten äußerst bemerkenswert.
Findet man die Neigung zur Rechthaberei, zum endlosen Streiten über Begriffe und die Chuzpe, sich als Ökonom aufzuführen wie ein Rechtsgelehrter, wenn es der eigenen Position zu nützen scheint, aktuell nicht auch in der Target-2-Debatte?
Was meinen Sie konkret?
Ich denke unter anderem an die schon lange währende Debatte um die Frage, ob Target-2-Salden eher Kredite oder eher Buchungsposten sind.
Bei aller Rechthaberei und bei aller Begeisterung für Semantik geht es bei diesen Debatten nicht um einen Letztbegründungsanspruch für die Wirtschaftstheorie. Das gilt für Hans-Werner Sinn wie für die anderen Teilnehmern an der Debatte.
Zum Schluss: Was nehmen Sie als moderner Ökonom aus der Eigentumsökonomik von Heinsohn/Steiger und den sich anschließenden Debatten mit?
Auch wenn Letztbegründungsdebatten geführt wurden, ging es doch eigentlich nur um wenig. Ich kann hier nur eine Pseudo-Gelehrsamkeit, aber keine Debatte unter reifen Wissenschaftlern erkennen – auch wenn das die Beteiligten sicherlich anders sehen. Andererseits sehe ich auch eine gewisse Tragik, denn die Leute waren smart und haben auch einzelne wichtige Aspekte innerhalb moderner Kreditökonomien thematisiert. Aber sie haben ihre Erkenntnisse nie weiterentwickelt, sondern sich in Wesensdebatten und Rechthaberei verloren. Andere, die diese Themen weiterentwickelt haben, werden dafür eines Tages Nobelpreise erhalten, während Heinsohn/Steiger in Vergessenheit geraten und eine dogmenhistorische Episode bleiben werden. Ihre Hybris stand ihnen im Weg. Das trägt schon Züge einer griechischen Tragödie.
Und was können Ökonomen daraus lernen?
Man darf in Deutschland nicht mehr aus der internationalen Vernetzung heraus. Die Gefahr sehe ich zwar nicht, aber man weiß nie, was noch kommt.
Rüdiger Bachmann ist Stepan Family Associate Professor am Department of Economics an der University of Notre Dame. Das Gespräch führte Gerald Braunberger.