Wer an Geld denkt, wird egoistisch? Stimmt nicht.
Es war eine schöne Geschichte, sofort einleuchtend, und sie eignete sich jedes Mal, wenn wieder jemand über böse Kapitalisten schimpfen wollte: Geld macht egoistisch, so hieß es. Menschen würden sogar schon egoistischer, wenn sie nur Wörter sortieren sollen, die sich ums Geld drehen, oder wenn ein Stapel Monopoly-Spielgeld auf dem Tisch liegt. Sie seien weniger zur Zusammenarbeit mit anderen bereit und unterstützen mehr Ungleichheit. So hatten es Psychologen in einem Experiment beobachtet, so schrieb es auch Nobelpreisträger Daniel Kahneman 2011 in seinem Buch „Schnelles Denken, Langsames Denken“ auf, das bis heute in vielen Bücherregalen steht.
Doch während Kahneman das noch schrieb, wurden schon erste Zweifel an derartigen Experimenten laut. Mehr und mehr Forscher stellten fest, dass sie spektakuläre Experimente ihrer Kollegen nicht wiederholen konnten – zumindest nicht mit den gleichen Ergebnissen. Kahneman selbst meldete damals Zweifel an den Verfahren der Verhaltensforscher an und forderte, möglichst viele Experimente zu wiederholen und so die Folgerungen zu überprüfen.
Die Psychologen machten sich an die Arbeit. Das Ergebnis war dramatisch. In einer großangelegten Untersuchung von 100 bekannten Experimenten aus der Psychologie zeigte nur rund ein Drittel bei der Wiederholung das gleiche Ergebnis. Die Psychologie war weiter Teile ihrer Fundamente beraubt, vor allem derjenige Teil der Psychologie, der sich mit sozialen Fragen beschäftigte. „Replikationskrise“ nannten Forscher das bald – und sie blieb nicht in der Psychologie stehen.
Ein Zwischenfazit zur Replikationskrise: Viele Experimente der Psychologie fallen durch
Inzwischen haben viele weitere Wissenschaften ihre Experimente überprüft. Zeit für ein Zwischenfazit: Die Annahme, dass der Anblick von Geld Menschen egoistischer machen würde, darf mittlerweile als höchst fraglich gelten. Zwar kennt die Psychologie Dutzende Experimente, die zu ähnlichen Ergebnissen kommen. Doch das gilt vielen Wissenschaftlern inzwischen als Zufall. Zwei Forscherteams haben in Zusammenarbeit mit Dutzenden Universitäten die Ergebnisse systematisch überprüft – dann war der Effekt nicht mehr zu wiederholen.
Ähnlich ging es mit einem anderen Experiment aus der Psychologie, über das vielfach berichtet wurde: Wenn in der Nähe einer Kaffeekasse ein Bild von Augen hänge, dann seien die Menschen ehrlicher, hieß es – einfach nur, weil sie sich beobachtet fühlten oder an ihre Mitmenschen erinnert würden. Auch diese Behauptung ließ sich nicht bestätigen.
So geht es weiter. Einst hieß es, Selbstdisziplin sei wie ein Muskel. Man könne sie trainieren, aber wenn man sie eine Weile gebraucht habe, werde sie auch müde, und die Disziplin lasse dann nach. Ins praktische Leben übertragen: Wer sich den ganzen Tag über Süßigkeiten verbietet, greift abends eher mal zum Bier. 23 Institute überprüften diese Idee mit mehr als 2000 Versuchsteilnehmern – sie ließ sich nicht bestätigen. Nächstes Beispiel: Wer eine Körperhaltung einnimmt, die Macht ausstrahlt, fühlt sich mächtiger? Stimmt nicht. Wer die Mundwinkel nach oben zieht, ist bald tatsächlich besser gelaunt? Auch das ist leider Unsinn. Wer das sogenannte „Kuschelhormon“ Oxytocin in die Nase bekommt, vertraut seinen Mitmenschen eher? Umstritten.
Woher kommt die Replikationskrise?
Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass die Psychologie so oft in die falsche Richtung lief? Das hatte mehrere Gründe, klarer Betrug gehörte wohl nicht dazu. Lange galten Experimente als signifikant, wenn die statistischen Modelle eine 95-prozentige Wahrscheinlichkeit dafür auswiesen, dass ihr Ergebnis kein reiner Zufall war. Das heißt aber auch: Jedes zwanzigste vermeintlich signifikante Ergebnis beruht gar nicht auf einem tatsächlichen Effekt, sondern eben doch auf Zufall. Wenn nun viele Jahre lang Experimente gemacht werden, von denen vorzugsweise die unerwarteten und spektakulären veröffentlicht werden – dann ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass sich die Fehler häufen.
Dazu kommt: Wer ein Experiment auswertet, trifft viele Entscheidungen über statistische Verfahren. Wenn ein Forscher ein Experiment macht und dabei kein signifikantes, also nach den Regeln der Kunst nicht auf Zufall beruhendes Ergebnis ermittelt, dann liegt es nahe, ein etwas anderes statistisches Verfahren zu testen und mal zu schauen, ob das einen signifikanten Wert liefert. Auch das erhöht die Gefahr, dass fehlerhafte Ergebnisse veröffentlicht werden.
Ökonomische Experimente schneiden besser ab
All diese Probleme betreffen auch andere Wissenschaftsdisziplinen als die Psychologie. Deshalb haben auch andere Fächer ihre Experimente überprüft. Die Biomedizin schnitt dabei noch schlechter ab als die Psychologie. Aus den Wirtschaftswissenschaften wurden in einem ersten Schwung 18 verhaltensökonomische Experimente überprüft, die in zwei der wichtigsten Fachzeitschriften veröffentlicht worden waren. Es ließen sich immerhin rund zwei Drittel der Experimente mit einem vergleichbaren Ergebnis wiederholen – auch wenn die Effekte oft nicht so stark waren wie in den ersten Studien zum Thema. Diejenigen Studien, die sich nicht wiederholen ließen, hatten meist sowieso keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Und in Kahnemans Buch betreffen die Probleme vor allem das Kapitel, das sich auf die psychologischen Studien zum Geld bezieht.
Warum waren die verhaltensökonomischen Experimente besser als die psychologischen? Darüber lässt sich nur spekulieren. Sicher ist, dass Ökonomen sich von vornherein ein strengeres Korsett für Experimente gaben: Die Teilnehmer müssen Geld für ihre Entscheidungen erhalten, damit ihre Anreize ganz klar sind. Zudem dürfen die Versuchsteilnehmer nicht belogen werden. Solche Regeln können dazu beitragen, dass die Ergebnisse zuverlässiger werden – und dass die Überprüfungsexperimente auf die gleiche Weise ablaufen wie die Ursprungsexperimente und deshalb auch eher zum gleichen Ergebnis kommen. Weniger zuverlässig als die verhaltensökonomischen Experimente waren übrigens volkswirtschaftliche Studien, die mit herkömmlichen Wirtschaftsdaten arbeiteten.
Wie aber soll man in Zukunft wissen, welche Ergebnisse richtig sind? Die Psychologie hat in den vergangenen Jahren einige ihrer wissenschaftlichen Verfahren umgestellt, damit ihre Experimente zuverlässiger werden. Ansonsten bleibt nur, Wissen als vorläufig zu betrachten. Je unterschiedlicher die Studien sind, in denen ein Effekt auftaucht, desto zuverlässiger ist er. Eines kann man sich aber schon mal merken: Geld ist gar nicht so übel.
Das Blog:
Der Autor: