Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Keine Angst vor Inflation!

Wer die Deutschen mit Erfolg erschrecken will, muss ihnen einreden, dass eine große Inflation ins Haus steht. Aber die üblichen Argumente der Angstmacher taugen nichts. Zehn Thesen zur Inflation

Die offizielle Inflationsrate liegt bei rund 2 Prozent. Doch wenn jemand auf die im historischen Vergleich niedrige Inflationsrate hinweist, erzählen Angstmacher, die offiziellen Raten würden manipuliert und die tatsächliche Inflation sei viel höher. Diese Angstmacherei ist ein Geschäftsmodell mancher Ökonomen, Goldverkäufer und Vermögensverwalter. Umgekehrt müssen sich auch die für die Geldwertstabilität zuständigen Notenbanken fragen, ob sie mit dem Thema Inflation immer sachgemäß umgehen. Es folgen zehn Thesen zur Inflation.

1. Was immer historisch unter dem Begriff Inflation verstanden wurde: Heute werden Inflationsraten anhand der Veränderungen der Preise für Güter und Dienstleistungen bemessen, die für den Konsum verwendet werden. Dies ist konsequent und richtig, da mindestens seit dem Stammvater der Volkswirtschaftslehre, Adam Smith, bekannt ist, dass der Konsum der Endzweck des Wirtschaftens ist.

2. Die immer wieder einmal geforderte Einbeziehung von Vermögensgütern in die Bestimmung der Inflationsrate wäre wesensfremd. Wir zitieren den bekannten Ökonomen Martin Hellwig: “Immobilien sind wie Aktien Bestandsgrößen. Bei Mieten, Ausgaben für Lebensmittel, Individualverkehr usw. handelt es sich hingegen um Stromgrößen, wo man laufend etwas ausgibt. Alle theoretischen Erklärungsmodelle für den Zusammenhang von Geldpolitik und Inflation stellen auf Stromgrößen ab, weil die Rolle von Geld als Zahlungsmittel die Transaktionen betrifft, die damit verbunden sind. Im Fall der Vermögenspreise wird nicht klar, welchen Zusammenhang es zur Geldpolitik gibt… Ich habe oft den Eindruck, dass dieses Argument von Menschen kommt, die die EZB oder deren Geldpolitik nicht mögen und die gegenüber dem normalen Argument ‘wir sehen doch keine Inflation’ hilflos sind.” Und weiter: ” Wenn die niedrigen Zinsen – wie dies Christian von Weizäcker immer wieder sagt – die hohe Ersparnisbildung aufgrund demographischer Veränderungen widerspiegeln, dann würde ich als Konsequenz aus den niedrigen Zinsen hohe Preise für Vermögensgüter wie Immobilien und Aktien erwarten. Das wäre dann eine Veränderung von relativen Preisen: Weil es in Zukunft so wenige Leute gibt, die zur Versorgung der Alten beitragen, nimmt die Bedeutung von Vermögensgegenständen zu, die in dieser Zukunft Erträge erbringen. Das hat kaum etwas mit Inflation zu tun.” Zu bedenken ist auch noch ein weiteres Argument, das immer wieder zitiert wird: Wenn der Aktienkurs eines Unternehmens steigt, weil das Unternehmen seinen Gewinn steigert, also profitabler geworden ist und eine höhere Dividende ausschütten kann, ist die Ursache des höheren Aktienkurses kein schwindender Geldwert, sondern ein effizienteres Wirtschaften. Sarkastisch könnte man anmerken: Mit dem Fall der Aktienkurse und dem in vielen Metropolen der Welt erkennbaren Rückgang der Preise zumindest für Luxusimmobilien dürfte von den Propagandisten der Vermögenspreisinflation in nächster Zeit ohnehin weniger zu hören sein.

3. Wenn es jemals einen engen Zusammenhang zwischen der Schaffung von Zentralbankgeld und der Inflationsrate gegeben haben sollte, so ist dieser längst zusammengebrochen. Wenn etwa mit Bezug auf Anleihekäufe von Notenbanken von „Gelddruckerei“ oder “Geldschwemme” geredet wird, handelt es sich in der Realität ganz überwiegend um die Produktion von Einlagen der Geschäftsbanken bei der Notenbank. Diese Einlagen stehen passiv auf den Konten der Banken bei der Notenbank und könnten – entgegen einem weiteren verbreiteten Missverständnis – überhaupt nicht von den Geschäftsbanken an Unternehmen oder Privatleute verliehen werden. Die von den Angstmachern als Ergebnis der Anleihekäufe der Notenbanken prognostizierte Inflationswelle hat es aus gutem Grund nie gegeben – ebenso wie auch die Auswirkungen der Anleihekaufprogramme auf Finanzmarktpreise von vielen Anhängern und Kritikern völlig überschätzt worden sein dürften. Hierzu gibt es eine aktuelle Studie von Daniel Gros und Ansgar Belke.

4. Anstatt durch „Gelddruckerei“ oder “Geldschwemme” ist die Inflationsrate in den vergangenen Jahren außer von schwankungsanfälligen Öl- und Nahrungsmittelpreisen vor allem durch die globale Lohnkonkurrenz beeinflusst worden.  Die Globalisierung als bedeutender Einflussfaktor für die Inflation wird unter anderem von Ökonomen der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) betont – zum Beispiel in dieser Arbeit. (Eine andere aktuelle Arbeit mit einer ähnlichen Schlussfolgerung stammt von Kristin Forbes.) So belief sich in Deutschland trotz jahrelanger Hochkonjunktur die durchschnittliche Inflationsrate im Jahre 2018 auf 1,9 Prozent nach 1,8 Prozent im Jahr zuvor. Damit befindet sich die Inflationsrate ziemlich genau auf der Höhe des Inflationsziels der EZB. Es spricht nichts dafür, dass sich in absehbarer Zeit an der Höhe der Inflationsrate etwas grundsätzlich ändern wird.

5. Mit der Berechnung der Inflationsraten sind Unschärfen verbunden, aber sie sind begrenzt und befinden sich nicht dort, wo sie gerne verortet werden. Schätzungen aus Amerika legen nahe, dass die offizielle Inflationsrate die tatsächliche Inflation nicht unter-, sondern überzeichnet. Ein Beispiel: Wenn Güter im Zeitablauf durch technischen Fortschritt eine höhere Qualität erhalten, etwa, indem sie weniger Energie verbrauchen, höhere Sicherheitsstandards bieten oder weniger gesundheitsschädlich sind, drückt sich in einem höheren Preis für solche Güter keine Geldentwertung aus, sofern der Preisanstieg die höhere Qualität reflektiert. Anders als gelegentlich suggeriert, ist diese hedonische Preisberechnung kein Ausdruck einer Manipulation, sondern sachgerecht.

6. Die Unschärfen in der Berechnung der Inflationsrate verbergen sich heute woanders: Sie sind das Resultat der digitalen Revolution, und zwar in Gestalt kurzfristig schwankender Preise im Internethandel sowie der zunehmenden Praxis, Preise je nach Kunde zu individualisieren. Auch die Frage wachsender Marktmacht, die vor allem in den Vereinigten Staaten diskutiert wird, bleibt ein wichtiges Thema. Was dies für die Inflationsrate bedeutet, ist ein Bestandteil von Forschungsprogrammen, an denen sich Notenbanken und akademische Ökonomen beteiligen. Für dieses in der Fachwelt heiß diskutierte Agenda liegen keine endgültigen Ergebnisse vor. (Für den aktuellen Stand: Hier sind die Folien einer Arbeit zweier Ökonomen, die auf dem diesjährigen EZB-Forum in Sintra vorgetragen wurde.) Aber die bisherigen Erkenntnisse lassen vermuten, dass der Einfluss auf die Inflationsrate wohl gering bleibt.

7. Eine Leerstelle in der Berechnung der Inflationsrate in der Eurozone ist der bisherige Verzicht auf die Kosten selbst genutzten Wohneigentums, das in dem von der EZB benutzten Preisindex, dem sogenannten Harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) für die Europäische Union, bisher nicht enthalten ist. Derzeit läuft ein Projekt, die Kosten selbst genutzten Wohneigentums im HVPI künftig zu berücksichtigen. Modellrechnungen sowie Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass man von der Berücksichtigung selbst genutzten Wohneigentums langfristig keinen dramatischen Zuwachs der Inflationsrate erwarten sollte. Wer hier Panik verbreiten will, sollte zunächst Bundesbankpräsident Jens Weidmann lesen: „Langfristig unterscheiden sich Verbraucherpreisindizes mit und ohne Berücksichtigung von selbst genutztem Wohneigentum zwar kaum, doch zeitweise sind erhebliche Unterschiede zu beobachten. Im Euro-Währungsgebiet liegen die Inflationsmaße, die die Kosten von selbst genutztem Wohneigentum enthalten, seit einigen Jahren etwas über der offiziellen HVPI-Teuerungsrate.“ Weidmann warnte davor, daraus weitreichende Konsequenzen für die Geldpolitik ziehen zu wollen: „Lassen Sie mich eines klarstellen: Natürlich ist das kein Aufruf zum Rosinenpicken bei der Wahl der Inflationsmaße. Das wäre ein todsicherer Weg, die Glaubwürdigkeit der Zentralbank zu gefährden.“

8. Wünschenswert wäre ein eindeutiger Umgang der Notenbanken mit den von ihnen verwendeten Inflationsraten. Grundsätzlich unterscheidet man Inflationsraten, die Preise für Energie und Nahrungsmittel berücksichtigen, von sogenannten Kernraten, in denen Energie und Nahrungsmittel nicht berücksichtigt werden. Die Idee hinter der Unterscheidung ist, dass die Geldpolitik vermutlich wenig Einfluss auf Preise für Energieträger wie Öl und auf Nahrungsmittel hat und eine Kernrate jene Inflation beschreibt, die eher von der Geldpolitik beeinflusst werden kann. Andererseits spielen Energie und Nahrungsmittel für den Konsum vieler Menschen eine wichtige Rolle, was dagegen spricht, sie nicht in der Inflationsberechnung zu berücksichtigen. Es gibt für beide Konzepte Punkte, die dafür und die dagegen sprechen. Aber man sollte konsistent argumentieren: So orientiert sich die EZB offiziell am HVPI, der Preise für Energie und Nahrungsmittel enthält. De facto orientiert sie sich aber stark an der Kernrate.

9. Es gibt gute Gründe für Inflationsziele, die über Null liegen. Auch hier lohnt es sich, Weidmann zu lesen: „Sie fragen sich vielleicht: Wo liegt das Problem, wenn die Preise im Durchschnitt um deutlich weniger als 2 Prozent steigen? Aus der Sicht eines Verbrauchers habe ich hierfür auch Verständnis, zumal die 2 Prozent nicht unbedingt einer präzisen Ableitung entspringen. Allerdings gibt es aus ökonomischer Sicht gute Gründe, weshalb inzwischen alle großen Notenbanken der Welt, wie die Federal Reserve, die Bank von Japan oder eben die EZB auf Preissteigerungsraten in Höhe von etwa 2 Prozent abzielen… Umgekehrt bietet eine höhere Inflationsrate einen Sicherheitsabstand zur ‚Nullzinsgrenze‘, die, wie wir in einigen Ländern gesehen haben, tatsächlich etwas unterhalb der Null liegt. Je niedriger die angestrebte Inflationsrate ist, desto höher ist das Risiko, an die Nullzinsgrenze zu stoßen…. Und desto geringer ist der Spielraum der Notenbank, mit konventionellen Instrumenten stimulierend auf die Wirtschaft einzuwirken und auch deflationäre Entwicklungen zu verhindern. Aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge stellt eine Inflationsrate von ‚knapp unter 2 Prozent‘ einen guten Kompromiss dar, zwischen den dauerhaft anfallenden Inflationskosten, und den gelegentlichen Vorteilen aus einem größeren Sicherheitsabstand.“ In Deutschland finden sich  Ökonomen, die es für einen Skandal halten, dass die EZB ein Inflationsziel hat, das über null Prozent liegt. Wer sich für Fakten interessiert: In der Welt haben mehr als 60 Notenbanken Inflationsziele – und, wie die Tabelle in dem Link zeigt, die EZB hat eines der niedrigsten.

10. Die vergangenen Jahre haben zudem gezeigt, was eigentlich schon lange bekannt ist: Notenbanken sind nicht in der Lage, die Inflationsrate auf die Stelle hinter dem Komma zu steuern. Daher wäre es überlegenswert, anstelle der verbreiteten Punktziele für die Inflation auf einen Korridor überzugehen, in dem sich die Inflationsrate aufhalten soll. In Ländern wie Kanada, Israel, Neuseeland und Tschechien wird dies bereits praktiziert. So strebt die Nationalbank in Prag an, die Inflationsrate in einem Band zwischen 1 und 3 Prozent zu halten, in deren Mitte sich das offizielle Ziel von 2 Prozent befindet.

Aktueller Nachtrag (4. Januar): Die Inflationsrate für Dezember 2018 wurde für den Euroraum gerade mit 1,6 Prozent nach 1,9 Prozent im November bekannt gegeben.

Dieser Beitrag ist eine erweiterte Version eines Artikels, der am 30. Dezember 2018 in der Rubrik “Sonntagsökonom” der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen ist.