Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die CO2-Steuer ist gefährlich

Das CO2 sieht man nicht, den Dampf aus dem Kühlturm schon. Foto: dpa


Ökonomisches Denken ist Denken in Alternativen. Das Geld, das ich für ein Auto ausgebe, kann ich nicht mehr für ein Haus ausgeben. Es gilt auszuwählen. Das ist das Grundprinzip jedes Wirtschaftens. In der aufgeheizten Debatte um die Erderwärmung geht dieses nüchterne Abwägen oft verloren. Wir brauchen einen Preis auf Kohlendioxid, heißt es dann. Die Methode, ob Steuer oder ein Zertifikatshandel, sei zweitrangig.

Solche Wertung hat mehr mit Überzeugung als mit Denken in Alternativen, mehr mit ökologischer Heilslehre als mit ökonomischer Analyse zu tun. Doch sind solche Sätze in Deutschland auch von Ökonomen zu hören. So äußerte sich gerade Isabel Schnabel, Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, auf dem Nachrichtendienst Twitter.

Warum ist es wichtig, besonders über die umweltpolitischen Methoden nachzudenken, mit denen der Ausstoß von Kohlendioxid verringert werden soll? Weil regelsetzende Politiker nicht alles wissen.

Eine Steuer auf Kohlendioxid setzt einen Preis und verteuert den Ausstoß von CO2. Unternehmen und Verbraucher passen sich daran an, indem sie zum Beispiel weniger oder energiesparende Autos fahren. Das kostet, entweder im Preis des neuen Öko-Autos oder im Verzicht auf schöne Reisen. Eine andere Methode zur Verringerung des CO2-Ausstoßes geht über die Menge. Die Regierung legt eine Höchstmenge fest und verteilt Emissionszertifikate an Unternehmen. Will ein Unternehmen die Produktion ausweiten und dazu mehr Kohlendioxid ausstoßen, muss es Zertifikate zukaufen. Am Markt bildet sich ein Preis, und die Unternehmen haben einen Anreiz, CO2 sparsam einzusetzen.

Wie viel schadet eine weitere Tonne CO2?

Preis und Menge sind natürlich zwei Seiten einer Medaille. Im Idealfall lässt sich eine Situation vorstellen, in der die CO2-Steuer so gesetzt ist, dass Steuer- und Mengenlösung zum gleichen gewünschten Ergebnis führen. Das aber ist pure Theorie, denn Regierungen handeln unter Unsicherheit. Sie wissen nicht, wie viel Schaden für das Weltklima eine weitere in die Atmosphäre entlassene Tonne Kohlendioxid mit sich bringt. Sie wissen auch nicht, wie viel es die Unternehmen in Zukunft kosten wird, CO2 zu vermeiden. Man muss so annehmen, dass Regierungen den Steuerpreis oder die zulässige Emissionsmenge falsch setzen werden.

Falsch setzen bedeutet, dass es zu viel Emissionen gibt oder dass viel zu viel für eine Verringerung von CO2 ausgegeben wird. Beides ist mit Kosten verbunden, die hoch sein können. „Die ersten 30 Jahre der Klimapolitik hatten einen minimalen Einfluss auf die Emissionen, aber reale Kosten für Teile der Wirtschaft“, schreibt der Ökonom Richard Tol von der Vrije Universiteit Amsterdam als Antwort auf Schnabel. „Und das, während Bedenken über das Politik-Design hinweggewischt wurden mit Verweis auf die Größe des Problems und die Dringlichkeit des Handelns.“

Wie hoch diese Kosten einer Klimaschutzpolitik unter Unsicherheit sind, hängt maßgeblich von der Methode ab, mit der eine Regierung den Ausstoß von CO2 verringern will, also von der Wahl zwischen Steuer oder handelbaren Zertifikaten. Darüber aufzuklären ist der originäre Beitrag, den Ökonomen zur Klimaschutzdebatte leisten können, nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Steuer oder Zertifikat?

Ein wichtiger Versuch der Entscheidungshilfe stammt von dem Harvard-Ökonomen Martin Weitzman aus dem Jahr 1974. Eine CO2-Steuer bietet danach die Sicherheit des Preises, handelbare Zertifikate im Gegenzug die Sicherheit der Emissionsmenge. Welche Sicherheit mehr wert ist, entscheidet sich in einem theoretischen Vergleich von Kosten- und Nutzenkurven. Viele Umweltökonomen ziehen aus dieser Arbeit den Schluss, dass Umweltsteuern den handelbaren Zertifikaten vorzuziehen sind. Dahinter steht die Überlegung, dass für den Einfluss auf das Weltklima alles bisher in die Atmosphäre entlassene Kohlendioxid relevant ist. Der Nutzen einer zusätzlich vermiedenen Tonne CO2 auf das Weltklima sei gering und die Sicherheit des Steuerpreises höher als die Sicherheit der Menge zu gewichten.

Dieser Schluss wird bezweifelt. Die Ökonomen Larry Karp und Christian Traeger notieren, dass die Berücksichtigung technischen Fortschritts das Pendel zugunsten handelbarer Emissionszertifikate ausschlagen lassen könne. Anmerken ließe sich auch, dass die Sicherheit des Steuerpreises fragil ist, wenn die Politik die Steuerhoheit für umweltpolitische Experimente ausnutzt. Investitionsentscheidungen wie der Kauf einer Heizanlage für das Privathaus lassen sich nicht rational treffen, wenn Politiker an Ökosteuersätzen herumspielen.

Freiheit durch Flexibilität

Nicht weniger wichtig sind andere Erwägungen. Verglichen mit Verboten, erlaubt eine CO2-Steuer Unternehmen und Verbrauchern, sich flexibel anzupassen. Sie können zum Beispiel weniger Autofahren, müssen es aber nicht, wenn ihnen das Vergnügen die Mehrkosten wert ist. Solche individuellen Anpassungen zuzulassen bedeutet, dass die Politik sich weniger in das Leben der Menschen einmischt und anerkennt, dass sie nicht allwissend ist.

Handelbare Emissionszertifikate weiten diese Flexibilität noch, weil der Preis sich am Markt bildet, und verstärken zugleich die Lenkungswirkung, weil die Menge der Zertifikate begrenzt ist. Ein Trugschluss wäre es aber zu glauben, dass ein Zertifikatshandel zwischen Unternehmen die Bürger weniger belastet als eine Ökosteuer. Weniger CO2 kostet. Dem lässt sich nicht ausweichen. Tragen die Unternehmen die Kosten, werden sie diese an ihre Kunden, ihre Aktionäre oder an ihre Beschäftigten weitergeben.

Vielleicht das wichtigste Entscheidungskriterium liegt woanders. Der Drang der Politik, eine Ökosteuer für neue Einnahmen zu nutzen, ist gewaltig. Schon jetzt werden viele guten Dinge an die Wand gemalt, die man mit dem Geld machen könnte. Bei einer Abgabenquote von etwa 40 Prozent könnte man aber auf die Idee kommen, dass der deutsche Staat seinen Bürgern schon genug Geld abnimmt und durch seine Umverteilungsmaschine schleust. So gesehen hat die CO2-Steuer den riesigen Nachteil, dass das Geld dem Staat zufließt und man nur hoffen kann, dass er es an anderer Stelle zurückgibt.

Die “Mutter Erde” zu Geld machen

Der größte Vorteil des Zertifikatshandels ist in dieser Perspektive, dass das Geld für ge- oder verkaufte CO2-Zertifikate direkt in privater Hand bleiben kann – im Idealfall. Wenn wie in den Anfängen des Emissionshandels in der EU die Politik eine Grundausstattung an CO2-Zertifikaten ausgibt und die Unternehmen dann damit handeln, ist dieses Ideal gegeben. Die Realität sieht anders aus. Die Europäische Union auf der Suche nach Einnahmequellen und die geld-hungrigen Mitgliedstaaten gehen zunehmend dazu über, die CO2-Zertifikate nicht mehr auszugeben, sondern zu versteigern. Wenn die Bürger nicht aufpassen, geht so der größte theoretische Vorteil des Zertifikatshandels ganz verloren.

Genau genommen nimmt die Politik sich mit der Auktion von Emissionszertifikaten das Eigentumsrecht an der “Mutter Erde”, um es zu Geld zu machen. Wortschön steht dahinter das Motto, dass wir die Erde nur von unseren Kindern geerbt haben und die Regierungen und Parlamente deshalb aufpassen müssten. Aber darf man der Politik vertrauen, dass sie genug weiß und im Wahlkampf auch willens ist, als fürsorglicher Vormund zu handeln?

Martin Weitzman (1974): „Prices versus quantities“, Review of Economic Studies, Bd. 41, S. 477 – 491.

Larry Karp, Christian Traeger (2018): „Prices versus Quantities Reassessed“, CESifo Working Paper Nr. 7331.

Dies ist eine erweiterte Fassung des „Sonntagsökonoms”, der am 19. Mai in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschien.

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