Geldpolitiker reden oft in Rätseln. Sie denken zu viel an die Finanzmärkte und zu wenig an die Öffentlichkeit. Es ist höchste Zeit für klare Worte.
Nicht selten haben die Worte von Geldpolitikern eine größere Wirkung auf Finanzmärkte und Wirtschaft als ihre Taten. Dabei ist die Kommunikation als geldpolitisches Instrument erst neueren Datums. Zwischen den beiden Weltkriegen galt das Diktum des damaligen Gouverneurs der Bank of England, Montagu Norman: “Niemals erklären, niemals entschuldigen.” Kurz nachdem Alan Greenspan im Jahr 1987 die Leitung der amerikanischen Notenbank Federal Reserve übernommen hatte, sagte er: “Wenn ich Ihnen ungewöhnlich deutlich erscheine, müssen Sie mich missverstanden haben.”
Hinter der Devise “Dunkel sei der Rede Sinn” verbarg sich eine Methode. Die Geldpolitiker früherer Epochen wollten sich durch Ankündigungen und Erklärungen in ihrem Handeln nicht selbst binden. Es ist kein Zufall, dass damals die Inflationsrate höher war als heute, wo Selbstbindungen durch Ankündigungen zum Tagesgeschäft der Geldpolitik zählen. “Sowohl die Theorie als auch die Erfahrung haben Geldpolitiker gelehrt, dass ihnen die Begrenzung kurzfristigen Handelns die Erfüllung ihrer gesetzlichen Vorgaben erleichtert”, schreiben die Ökonomen Stephen G. Cecchetti und Kermit L. Schoenholtz in einer Arbeit für eine Konferenz in Chicago, die sich dieser Tage mit den Perspektiven der amerikanischen Geldpolitik befasste.
Ökonomen und Geldpolitiker haben gelernt, wie stark das wirtschaftliche Handeln von Unternehmen wie Privatpersonen davon beeinflusst wird, was sie wirtschaftlich von der Zukunft erwarten. Kaum etwas nimmt mehr Einfluss auf die künftige Inflationsrate als die Erwartungen, die Menschen mit Blick auf die künftige Inflation haben. Zentralbanken haben gelernt, mit Aussagen über die Art und Weise, wie sie künftig ihr Ziel stabilen Geldes zu erreichen gedenken, die Erwartungen an den Finanzmärkten und in der Wirtschaft zu lenken.
Insofern unterscheidet sich die moderne Geldpolitik erheblich von der Geldpolitik, wie sie vor Jahrzehnten betrieben worden ist. In den vergangenen Jahren allerdings haben die Versuche der Geldpolitiker, durch ihre Beschreibung der wirtschaftliche Lage und der Perspektiven die Erwartungen zu lenken, groteske Züge angenommen. Die Pressekonferenzen der früheren Fed-Vorsitzenden Janet Yellen waren gewöhnlich selbst für geldpolitische Feinschmecker schwere Kost. Derweil entstand nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in Europa und in Asien unter geldpolitischen Beobachtern an den Finanzmärkten eine Neigung, die Sprache von Geldpolitikern akribisch auf verdeckte Hinweise auf eventuelle Änderungen der Geldpolitik zu analysieren. Auch hochintelligente und nicht selten hochbezahlte Menschen verschwenden heute in Banken und Fondsgesellschaften ihre Zeit mit der Frage, ob sich aus der Rede eines Geldpolitikers Indizien für drei oder vier Leitzinsänderungen in den kommenden Jahren herauslesen lassen.
In der Zwischenzeit haben mehrere Zentralbanken Überprüfungen ihrer geldpolitischen Ziele und Mittel angekündigt. Dazu zählt auch, dass sie ihre Kommunikation überprüfen wollen. In Zeiten genereller politischer Unrast, das haben die Geldpolitiker erkannt, muss das Handeln mächtiger Bürokratien transparenter sein. Und so besuchen Geldpolitiker heute medienwirksam Fabriken. Oder sie laden Schüler zu sich ein. So grundsätzlich diese neue Offenheit zu loben ist, so bemüht und gelegentlich hilflos wirkt sie.
Cecchetti und Schoenholtz unterbreiten in ihrem Konferenzbeitrag drei Vorschläge. Ihr erster Vorschlag sollte selbstverständlich sein, aber noch ist er es nicht: Stellungnahmen von Zentralbanken sollten in einer verständlichen Sprache verfasst sein. Dazu gehört auch, einen Dissens unter den Entscheidungsträgern deutlich zu machen, ohne sich in endlosen Beiträgen zu verlieren. Auch wenn es schwierig sein dürfte, die Redseligkeit der Mitglieder des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank in den achtziger und frühen neunziger Jahren zu übertreffen, ist heute eine Zunahme öffentlicher Äußerungen von Geldpolitikern in einem Maße zu verzeichnen, das der Verbreitung einer klaren Botschaft nicht förderlich ist. Die Unabhängigkeit von Zentralbanken ist eine wichtige Errungenschaft, aber in unruhigen Zeiten ist sie nicht sakrosankt. Für die Führung einer Zentralbank ist es daher nicht schlecht, wenn sie als ein handlungsfähiges Team und nicht als ein chronisch zerstrittener Haufen wahrgenommen wird.
Zweitens empfehlen Cecchetti und Schoenholtz klare Aussagen der Geldpolitik dazu, wie sie ihren Kurs zu ändern gedenkt, wenn sich die wirtschaftlichen Perspektiven ändern. Das ist eine sehr anspruchsvolle Forderung, die akademischen Ökonomen vermutlich eher in den Sinn kommt als praktischen Geldpolitikern. Nicht nur ist es für die Geldpolitik schwierig, klar zu kommunizieren, wie sie beispielsweise auf eine Verschärfung internationaler Handelskonflikte reagieren würde. Eine allzu detaillierte Szenario-Analyse könnte der Geldpolitik auch einen Vorwand verschaffen, allzu aktiv auf Änderungen des Umfelds zu reagieren.
Der dritte Vorschlag der beiden Wissenschaftler ist sehr wichtig: Zentralbanken sollten deutlich vermitteln, dass jede Prognose über die weitere wirtschaftliche oder politische Entwicklung in der Zukunft notwendigerweise mit Unsicherheit und Risiken verbunden ist und daher mit Vorsicht genossen werden sollte. Dies wird leider sehr häufig vergessen. Projektionen über die Entwicklung von Leitzinsen über mehrere Jahre sind intellektuelle Glasperlenspiele, aber keine belastbaren Aussagen über die Zukunft; sie werden von vielen Teilnehmern an den Finanzmärkten viel zu ernst genommen.
Einem Dilemma wird die Geldpolitik indes nicht entrinnen können: Sie muss sich an sehr unterschiedliche Adressaten wenden. Keine Zentralbank hat direkten Einfluss auf die Preise von Gütern und Dienstleistungen. Vielmehr beeinflusst sie mit ihren Instrumenten die Preise an den Finanzmärkten, die wiederum die Konditionen beeinflussen, zu denen die Teilnehmer am Wirtschaftsleben Geld anlegen oder sich verschulden können. Die Teilnehmer an den Finanzmärkten sind eine Fachöffentlichkeit, und deswegen ist die Neigung von Geldpolitikern groß, hier in einer Art “Fachchinesisch” zu kommunizieren.
Mit der breiten Öffentlichkeit muss eine Zentralbank notwendigerweise anders kommunizieren, um Vertrauen in ihre Bereitschaft zu erzeugen, für stabiles Geld zu sorgen. Nur wenige Geldpolitiker besitzen diese Fähigkeit. Aber sie muss erlernt werden: Eine Rückkehr zu den Praktiken eines Montagu Norman oder eines Alan Greenspan hielte heute keine Zentralbank mehr aus.