Steuererhöhungen sind wieder in Mode. Doch der Staat hat gar nicht so viel davon.
Jahrelang hat sich niemand mehr für Steuern interessiert. Doch dann hat Finanzminister Olaf Scholz sich mit dem Vorhaben durchgesetzt, den Solidaritätszuschlag nur zur Hälfte abzuschaffen – also für ungefähr die 90 Prozent der Steuerzahler, die bisher zusammen die Hälfte des Solis bezahlt haben. Seitdem überschlagen sich die Ideen, wie man wohlhabenden Menschen ans Geld gehen kann.
Dabei steht denen sowieso eine neue Belastung ins Haus: Wenn in den nächsten Wochen ein Preis für Kohlendioxid-Ausstoß beschlossen wird, dann trifft das vor allem Leute mit hohem Ausstoß – und das sind die Reichen. Zudem plant die SPD schon eine Vermögensteuer, und wenn der Rest-Solidaritätszuschlag als verfassungswidrig gilt, wird er vielleicht durch eine Einkommensteuererhöhung ersetzt. Über all diese Pläne läuft die Diskussion viel lauter ab als über Steuersenkungen. Dabei würden in der anstehenden Konjunkturflaute Steuersenkungen vielleicht eher helfen.
Wann bringen Steuererhöhungen Geld?
Ob das alles gerecht ist, darüber kann man lange streiten. Jetzt aber fällt auch noch auf: Es ist gar nicht so leicht, dem Fiskus mit Steuererhöhungen mehr Geld zu verschaffen. Das hängt zusammen mit der sogenannten „Laffer-Kurve“. Berühmt wurde ihr Grundgedanke, nachdem der amerikanische Ökonom Arthur Laffer sie 1974 bei einem Abendessen mit ranghohen Mitarbeitern des amerikanischen Präsidenten auf eine Serviette gemalt hatte – so zumindest geht die Legende.
Der Gedanke geht so: Wenn der Staat keine Steuern erhebt, nimmt er gar nichts ein. Wenn der Staat aber das ganze Einkommen seiner Bürger besteuert, werden die sich bei der Arbeit auch nicht übermäßig anstrengen, also nimmt der Staat auch nicht so viel ein, und der gesellschaftliche Wohlstand schrumpft dann sowieso. Der Höhepunkt der Steuereinnahmen muss also bei einem Steuersatz irgendwo dazwischen liegen. Steigt der Steuersatz über diesen Punkt, kosten weitere Steuererhöhungen den Staat sogar Geld. Und der Höhepunkt des gesamtgesellschaftlichen Wohlstands ist wahrscheinlich schon bei etwas niedrigeren Steuersätzen erreicht.
Warum Menschen weniger arbeiten, wenn die Steuern steigen
Was geschieht genau, wenn die Steuern steigen? Ungefähr das, was jeder aus seiner eigenen Umgebung kennt: Frauen verzichten auf Arbeitsstunden, wenn sie in Steuerklasse V hoch besteuert werden, weil sich die Arbeit für sie dann nicht mehr lohnt. Mancher Lehrer beschließt, dass er nicht Schulleiter werden möchte – die Gehaltserhöhung macht netto nicht so viel aus, dass er sich den zusätzlichen Stress antun möchte. Und bei der Bahn erzählen die Mitarbeiter einander, dass sie lieber zusätzliche Urlaubstage haben wollen als eine Gehaltserhöhung, denn die Urlaubstage bekommt man schließlich netto. Ähnliche Überlegungen stellen auch reichere Menschen an. Zudem entscheiden sie sich manchmal dafür, ihr Geld ins Ausland zu verlagern oder gleich ganz dorthin zu ziehen.
Die entscheidende Frage ist also, wo genau der Höhepunkt der Staatseinnahmen liegt. Laffer zeichnete in seiner Skizze das Maximum der Steuereinnahmen einfach in die Mitte der Kurve, bei 50 Prozent. Amerikas Präsident Ronald Reagan nutzte eine ähnliche Argumentation in den achtziger Jahren, um die Steuern zu senken. Damit allerdings ruinierte er den Haushalt der Vereinigten Staaten. Seitdem ist auch der Ruf der Laffer-Kurve ruiniert. Tatsächlich aber hat an der grundsätzlichen Überlegung, dass der Staat bei Vollbesteuerung nicht so viel einnimmt, wie er könnte, niemand ernsthaft etwas auszusetzen. Nur wo der Höhepunkt ist, das ist eben die Frage.
70 Prozent Spitzensteuersatz?
In den vergangenen Jahren wurde oft ein Wert von rund 70 Prozent genannt, zum Beispiel in einer gemeinsamen Arbeit des Nobelpreisträgers Peter Diamond und des Ungleichheitsforschers Emmanuel Saez. Dabei geht es um den Grenzsteuersatz, das heißt: Der Steuersatz wird nicht aufs ganze Einkommen gerechnet, sondern die ersten verdienten Euro werden niedriger besteuert, auf jeden zusätzlichen Euro fallen dann zunehmend höhere Steuern an, und erst von der Grenze zum Spitzensteuersatz an wird jeder zusätzlich verdiente Euro mit den vollen Steuern belastet – so, wie es in den meisten Steuersystemen der Fall ist.
Saez nutzte etwas später eine Steuererhöhung von Präsident Barack Obama, um seine Schätzung zu überprüfen. Damals stieg der effektive Spitzensteuersatz von 37 auf 44 Prozent. Saez rechnete aus, dass rund ein Fünftel der theoretisch möglichen Steuereinnahmen nicht beim Fiskus ankam – und schloss daraus, die Vereinigten Staaten hätten noch viel Spielraum für Steuererhöhungen. Heute spricht sich zum Beispiel die amerikanische Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez für eine Steuer von 70 Prozent auf den Teil der amerikanischen Einkommen aus, die zehn Millionen Dollar pro Person im Jahr überschreiten.
Frankreich aber hat so einen hohen Steuersatz gerade erst ausprobiert. Von 2012 an verlangte der Fiskus 75 Prozent für Einkommen über eine Million Euro. Das ging nicht gut aus. Am deutlichsten zeigte das der Schauspieler Gérard Depardieu, der sich in Russland einbürgern ließ. Insgesamt brachte die Steuer in zwei Jahren gerade mal 420 Millionen Euro. Danach wurde sie wieder abgeschafft.
Oder 60 Prozent Spitzensteuersatz?
Jetzt haben zwei Forscher aus Zürich und Ann Arbor in Michigan, Florian Scheuer und Joel Slemrod, eine Arbeit vorgelegt, die zeigt, warum ein Spitzensteuersatz von 70 Prozent nicht gut ist. Dafür nennen sie mehrere Gründe. Zum einen gibt es zu viele Steuerschlupflöcher – und je höher die Steuern sind, desto attraktiver werden die Schlupflöcher. Dagegen könnten Regierungen zwar etwas tun. Zum anderen aber wirken Digitalisierung und Globalisierung: Sie sorgen, grob zusammengefasst, dafür, dass fähige Unternehmer und Spitzenmanager immer wichtiger werden; man sollte sie nicht noch mit hohen Steuern vom Arbeiten abhalten. Scheuer und Slemrod schätzen den Steuersatz mit den höchsten möglichen Staatseinnahmen für Amerika je nach den genauen Bedingungen auf 57 Prozent. Wenn man Einkommensteuer inklusive Reichensteuer und den Solidaritätszuschlag zusammenzählt, steht Deutschland derzeit bei 47 Prozent. Viel Spielraum ist da nicht mehr.
Auch eine Vermögensteuer ist für Scheuer und Slemrod nicht unbedingt die richtige Lösung. Sie wirkt so ähnlich wie eine Extrasteuer auf Kapitaleinkünfte, aber unabhängig von deren tatsächlicher Höhe. Deshalb kann sie den Anreiz stärken, das Geld profitabel zu investieren.
Andererseits hat sie in Ländern wie Spanien oder Schweden dazu geführt, dass Vermögende große Verrenkungen unternommen haben, um sie zu umgehen – mit der Folge, dass die tatsächlichen Vermögen nicht sanken.