Wie schlimm ist die Steuerflucht? Neue Schätzungen fallen deutlich sanfter aus als die alten. Ähnlich geht es gerade mehreren Arbeiten von Gabriel Zucman.
Der Franzose Gabriel Zucman ist Ökonom, erst 33 Jahre alt, trotzdem im Politikbetrieb schon ziemlich bekannt – und das auch noch in Amerika. Das hat seine Gründe. Mit seinem Lehrer, dem bekannten Ungleichheitsforscher Thomas Piketty, hat er vermessen, dass Arm und Reich auseinanderdrifteten. Zudem rechnete er vor, wie sich internationale Unternehmen vor ihren Steuerzahlungen drücken, indem sie Gewinne in Steuerparadiese verschieben. Inzwischen lehrt Zucman gegenüber von San Francisco, in Berkeley, und berät von dort aus mit seinem Kollegen Emmanuel Saez die demokratische Präsidentschaftskandidatin Elizabeth Warren – unter anderem in ihrer aufsehenerregenden Forderung, die Reichen stärker zu besteuern, und zwar heftig. Von Vermögen über einer Milliarde Dollar sollen sechs Prozent im Jahr an den Staat fließen – das bedeutet, dass ohne weitere Rendite nach zehn Jahren nur noch die Hälfte dieser Vermögen übrig wäre.
Doch während Zucmans Forschungen sich zu politischen Forderungen entwickeln, rechnen andere Ökonomen noch mal nach – mit anderen Quellen und mit eigenen Methoden. Und da erntet Zucman inzwischen einiges an Widerspruch.
In jüngerer Zeit machte zum Beispiel eine neue Studie zweier Ökonomen unter Fachleuten Furore, die die Steuerflucht in Unternehmen noch mal nachgerechnet hatten. Und sie stellten fest, dass Zucman – so wie manch anderer Ökonom – das Ausmaß der Steuervermeidung weit überschätzt hatte. Amerikanische Konzerne sparten sich auf diese Weise nicht 30 bis 45 Prozent ihrer Steuereinnahmen, sondern nur 4 bis 15 Prozent, resümieren Jennifer Blouin und Leslie Robinson. Um das festzustellen, müsse man sich allerdings mit bestimmten Formen der Buchhaltung auseinandergesetzt haben und verstehen, wie die Statistiken zustande kommen. Auch für Europa hat diese Studie Konsequenzen: Die Niederlande sind nach den neuen Zahlen keine große Steueroase mehr, das ist nur noch Irland.
„Diese Studie wird große Auswirkungen haben“, prophezeit beispielsweise der Münsteraner Steuerexperte Johannes Becker. „Das ist sicher eine der wichtigsten Steuerstudien des Jahres.“ Zucman betont, dass er selbst seine Schätzungen in den vergangenen Monaten schon nach unten korrigiert habe – wenn auch nicht so weit.
Ungleichheit überschätzt?
Auch wenn es um die Ungleichheit in Amerika geht, schreitet die Erkenntnis voran – und Zucmans Erkenntnisse wirken plötzlich nicht mehr so eindeutig. In die Diskussion rückt eine Studie von zwei Ökonomen aus der Bürokratie des amerikanischen Finanzministeriums und des Kongresses, Gerald Auten und David Splinter, die Zucman ablehnt.
Die Ökonomen rechnen vor, dass es Amerikas Mittelschicht in den vergangenen Jahrzehnten gar nicht so schlecht ergangen ist, wie Zucman, Saez und Piketty und andere Ökonomen ausgerechnet hatten. Das seien statistische Täuschungen, die unter anderem durch das Heiratsverhalten und Annahmen zur Schwarzarbeit entstanden seien. Nach Steuern und Sozialleistungen entfalle auf das reichste Prozent heute rund neun Prozent des Nettoeinkommens, ungefähr so viel wie 1962.
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