Die Gründer des Impfstoffentwicklers Biontech machen es vor: Ehepaare können auch beruflich Einmaliges schaffen.
Es funkte am Arbeitsplatz, genauer im Universitätsklinikum Homburg. Dort lernten sich Özlem Türeci und Ugur Sahin, zwei aufstrebende Mediziner, kennen. Aus ihrer gemeinsamen Leidenschaft für die Krebsforschung wurde bald auch eine private. Im Jahr 2002 gaben sie sich das Jawort – und schlossen eine Ehe, die die Welt verändern dürfte. Denn Türeci und Sahin (der am Tag der Hochzeit noch ins Labor zurückgekehrt sein soll) haben im Rennen um den ersten Impfstoff gegen das Coronavirus die Nase vorn. Der von ihnen gegründete und geführte Biontech-Konzern hat eine extrem hohe Wirksamkeit für eine neuartige Impfung vermeldet. Seitdem schaut die ganze Welt auf das börsennotierte Mainzer Familienunternehmen, in dem die private und die geschäftliche Verbindung eine heilvolle Allianz eingegangen sind.
Erst mal klingt das nach einem Himmelfahrtskommando. Aus dem privaten auch noch einen Geschäftspartner zu machen kann nur schiefgehen. Jeder, der halbwegs normal ist, wird froh sein, wenigstens am Arbeitsplatz mal seine Ruhe vom Partner und der Familie zu haben. Wer hat schon Lust, die beruflichen Diskussionen nach Feierabend am Küchentisch weiterführen zu müssen? Und überhaupt: Was sollen die Kollegen zu der Beziehung am Arbeitsplatz sagen? Wenn die Ehe dann folgerichtig irgendwann in die Brüche geht, steht zu allem Überfluss auch die berufliche Existenz auf dem Spiel. Als wäre eine Trennung nicht schon so schlimm genug.
Angesichts solcher Horrorszenarien ist es erstaunlich, dass das Traumpaar Türeci-Sahin in einer langen Reihe von Paaren steht, die auch beruflich gemeinsam Einmaliges geschaffen haben. Carl Benz wäre nicht Carl Benz, hätte er nicht Bertha als Geldgeberin, Testpilotin und Ehefrau an seiner Seite gehabt. Marie Curie entdeckte die chemischen Elemente Polonium und Radium gemeinsam mit ihrem Ehemann Pierre. Und Esther Duflo und ihr Ehemann Abhijit Banerjee dürfen seit dem vergangenen Jahr nicht nur stolz auf zwei Kinder sein, sondern auch auf zwei Wirtschaftsnobelpreise.
Neben solchen Ausnahmeerscheinungen ist das Verschmelzen von privatem und geschäftlichem Leben ein Massenphänomen. In den Vereinigten Statten gibt es Schätzungen, nach denen von den 22 Millionen kleineren Unternehmen 3 Millionen von Ehepaaren geführt werden. In Deutschland fehlen vergleichbare Zahlen. Wäre die Quote ähnlich wie jenseits des Atlantiks, würden hierzulande 500 000 Paare an der Spitze kleinerer und mittlerer Unternehmen stehen.
Angesichts solcher Zahlen ist es erstaunlich, wie dünn die ökonomische Forschung zu diesem Thema ist. Bevor wir zu den wenigen vorhandenen Studien kommen, deshalb erst mal ein paar grundsätzlichere Gedanken dazu, warum die vollkommene Verschmelzung für Familie und Unternehmen besonders fruchtbar sein könnte: Der Soziologe Niklas Luhmann etwa beschreibt Liebe nicht als Gefühl, sondern als einen „Kommunikationscode“: Wenn wir den berühmten Gesellschaftstheoretiker in seinem Buch „Liebe als Passion“ richtig verstehen, geht es ihm unter anderem darum, dass die Liebe eine ultimative Form des Austausches zwischen zwei Menschen ermöglicht, die jedem Außenstehenden unzugänglich ist. Dabei geht es nicht um Wissen oder Fakten, sondern um das Beurteilen und Deuten von Dingen. Und darauf kommt es an, wenn man Weltkonzerne führen oder Nobelpreise gewinnen will. Läge Luhmann richtig, hätten Paare einen uneinholbaren Wettbewerbsvorteil gegenüber Ko-Chefs, die sich nicht auch das Privatleben teilen. Zumindest solange die Kommunikation zwischen den Liebenden nicht wegen irgendwelcher Disharmonien getrübt ist.
Dass die privat-berufliche Doppelspitze ein Erfolgsrezept sein kann, leuchtet umso mehr ein, wenn man bedenkt, dass wir den Partner ohnehin nur auswählen, um es im Leben besonders weit zu bringen. So jedenfalls argumentierte Chicago-Ökonom Gary Becker (der mit seiner zweiten Frau auch zusammenarbeitete – und einen Nobelpreis gewann). Die Partnerwahl habe nichts mit Romantik zu tun, schrieb er. Stattdessen gehe es um Nutzenmaximierung, also um die Frage, mit wem man besonders glücklich, anerkannt und beruflich erfolgreich werden kann. Was liegt da näher, als dem kongenialen Geschäftspartner einen Heiratsantrag zu machen?
Zurück in die Niederungen des echten Lebens und zu den wenigen existierenden Studien. Sharon und Frank Barnett verfassten im Jahr 1988 so etwas wie das Standardwerk zu Ehepartnern als Unternehmer. „Copreneuers“, so tauften sie die Betroffenen, hätten starke familiäre Werte, gäben sich dem Unternehmen und der Partnerschaft vollkommen hin und setzten große Stücke auf Gleichberechtigung. Barnett und Barnett kommen zu dem optimistischen Schluss, dass die Grenzen zwischen Liebe und Arbeit leichter zu überwinden seien, als es die Küchenpsychologie vermuten lasse. Das Fazit der Autoren ist eindeutig: Das Liebesband zwischen den Partnern wachse durch die gemeinsame geschäftliche Passion.
Zu einem ähnlichen Schluss kommt ein chinesisches Forscherteam, deren Erkenntnisse auf Gesprächen mit 33 Copreneur-Paaren beruhen. Demnach müsse die Identität der Beteiligten als Ehepartner von der beruflichen Identität unterschieden werden. Beide befruchteten sich gegenseitig auf eine positive Art und Weise, heißt es in dem Beitrag, der in der außerhalb Chinas wenig bekannten „Nankai Business Review“ veröffentlicht wurde. Wer sich in der Geschäftsbeziehung wohl fühlt, ist demnach auch ein souveräner Ehemann und andersherum.
Ein zwei Jahre alter Literaturüberblick listet 15 ernstzunehmenden Studien zu dem Thema auf. Die meisten haben demnach einen positiven Tenor, weil sich die Partner besonders gut ergänzten und ein Vertrauensverhältnis mitbrachten, was die Arbeit beflügle. Die Forscher weisen zwar auch darauf hin, dass eine Balance zwischen Beruf und Privatleben für Copreneurs schwierig zu finden sei. Vielleicht ist das aber auch gar nicht kriegsentscheidend. Denn immer wieder ist davon die Rede, dass die Paare eine besondere Leidenschaft für ihr Unternehmen zeigen. Sie nennen es zum Teil „unser Baby“. Das mag für manchen befremdlich klingen. Wenn am Ende aber ein Corona-Impfstoff herauskommt, wer sollte da noch das Haar in der Suppe suchen?