Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Mehr Mindestlohn – mehr Arbeitslose

Der Mindestlohn kostet keine Stellen, hieß es oft. Das war vielleicht ein Irrtum.

Gebäudereinigung in Dresden.

Soll man es mit den ganzen Mindestlohn-Debatten nicht mal gut sein lassen? Immerhin scheint die Einführung im Jahr 2015 ganz gut funktioniert zu haben: Viele Menschen verdienen jetzt mehr, nur wenige haben ihre Stelle verloren. Da ist doch alles in Ordnung, könnte man meinen.

Doch der Mindestlohn wird nicht in Ruhe gelassen. Unter dem Druck der Gewerkschaften hat die zuständige Kommission beschlossen, dass der Mindestlohn bis 2022 auf 10,45 Euro in der Stunde steigt. Das ist schneller als die Tariflöhne– und damit schneller als im Gesetz eigentlich vorgesehen. Damit ist die Debatte aber noch nicht am Ende. SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat schon die Anhebung auf 12 Euro in der Stunde gefordert, auch in den Vereinigten Staaten will der neue Präsident Joe Biden den Mindestlohn erhöhen. Ob das so eine gute Idee ist? Das war bisher schon unsicher. Und eine neue Studie zieht das noch weiter in Zweifel.

Dabei waren es erst mal ökonomische Studien, die dazu beitrugen, dass der Mindestlohn in Deutschland überhaupt kam. Unter dem Schlagwort „Neue Mindestlohn-Forschung“ wird eine ganze Serie von Untersuchungen zusammengefasst, die seit den frühen 90er Jahren angestellt wurde. Es begann mit zwei Studien des Ökonomen David Card, der heute im kalifornischen Berkeley forscht. Er fand weder unter Teenagern noch unter kalifornischen Angestellten Hinweise darauf, dass Stellen verlorengegangen wären. Das stand in krassem Gegensatz zum damaligen ökonomischen Glauben, der hieß: Mindestlöhne sind entweder wirkungslos, oder sie kosten Stellen.

Mindestlöhne kosten doch Arbeitsplätze

So überrascht war die Zunft, dass sie in den folgenden Jahrzehnten Dutzende Studien unternahm, um festzustellen, ob sich Cards Bild bestätigte. Das Bild wurde immer unübersichtlicher. Gleichzeitig fand sich so mancher Ökonom, der einen hilfreichen Überblick anbot: „Es gibt einfach keinen Beweis dafür, dass eine Anhebung des Mindestlohns Stellen kostet“ – so schreibt es Nobelpreisträger Paul Krugman, der auch Bücher darüber geschrieben hat, dass er politisch links der Mitte steht. Ähnlich klang es in ganz wissenschaftlichen Zusammenfassungen: „Beschäftigungseffekte des Mindestlohns bleiben schwer zu erkennen“, heißt es von dem britischen Ökonom Alan Manning in der jüngsten Ausgabe des „Journal of Economic Perspectives“, das sich ausdrücklich vorgenommen hat, den Stand der Forschung zusammenzufassen und auch für Leser zugänglich zu machen, die nicht tief ins Thema eingearbeitet sind.

Doch wenige Tage vor dem Erscheinen dieses Beitrags tauchte die erste Version einer Metastudie auf, die heftig widerspricht. Ausgangspunkt war die reine Neugier. Die Ökonomen David Neumark, der im kalifornischen Irvine forscht, und Peter Shirley, der für ein überparteiliches Komitee des Parlamentes in West Virginia arbeitet, wollten sich einmal einen systematischen Überblick über den Forschungsstand verschaffen. Sie fanden allein 66 Studien, die sich seit 1992 mit dem Mindestlohn in den Vereinigten Staaten befasst hatten. Für all diese Studien schrieben sie die Verfasser an und baten um eine standardisierte Version der Ergebnisse: Welchen Effekt hat die Studie gefunden, und wie sicher scheint dieser Effekt?

Die Autoren von 57 Studien antworteten, einige mit mehreren Teilergebnissen, und ihre Antworten fielen unerwartet deutlich aus: 80 Prozent der Studien hatten einen negativen Effekt auf die Beschäftigung gefunden, davon waren 50 Prozentpunkte signifikant. Die Autoren der Übersicht jedenfalls folgern: „Es überwiegen eindeutig die negativen Schätzungen.“

Warum so viele prominente Ökonomen in den vergangenen Jahren anderes behauptet haben, bleibt offen. Möglicherweise sind auch Wissenschaftler nur Menschen – und die nehmen Wissen oft eher so wahr, dass es die eigenen Vorlieben bestätigt.

Was ist mit den Mindestlöhnen in Deutschland?

Aber was ist mit Deutschland? Hatte hier nicht noch der damalige Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn vorhergesagt, dass der Mindestlohn 900.000 Stellen gefährde, und es geschah das Gegenteil: Es wurden eher Minijobs in reguläre Stellen verwandelt? Gemeint hatte er allerdings nicht, dass nach Einführung des Mindestlohns sofort 900.000 Menschen arbeitslos werden. Eher meinte er, dass es ohne den Mindestlohn noch 900.000 Arbeitsplätze mehr geben könnte.

Lieber gar keine Arbeit als eine schlecht bezahlte, heißt es heute oft. Tatsächlich aber macht nur weniges die Menschen dauerhaft unglücklicher als Arbeitslosigkeit. Es ist kein Zufall, dass die wissenschaftlichen Grundlagen für die Mindestlohn-Einführung bereits in den 90er Jahren gelegt wurden, die Praxis aber erst im Jahr 2015 kam, als der Arbeitsmarkt jahrelang gut gelaufen war und die Deutschen ihre frühere Angst vor der Arbeitslosigkeit schon vergessen hatten.

So geht es auch in anderen Ländern. Mindestlöhne werden oft dann eingeführt, wenn die Konjunktur gut läuft. Die schädlichen Effekte fallen deshalb anfangs gar nicht auf. Das war das Fazit einer weiteren Metastudie: Jonathan Meer und Jeremy West stellten Mitte der 10er Jahre schon fest, dass viel Studien diesen Gedanken vernachlässigt hatten. Sie selbst kamen dann zu dem Ergebnis, dass Mindestlohn-Erhöhungen über mehrere Jahre die Arbeitsplatz-Entwicklung hemmten.

Aus dem Bericht der Mindestlohnkommission

Und da lohnt sich durchaus – wie in “Fazit” schon bemerkt – ein Blick in den jüngsten Bericht der Mindestlohnkommission. Der zeigt deutlich: Nicht nur die Arbeitszeiten gingen zurück. Sondern schon von Beginn des Jahres 2016 an, ein Jahr nach Einführung des Mindestlohns, ging das Stellenwachstum in den stark betroffenen Branchen deutlich zurück. Seit 2018 lag das Stellenwachstum sichtbar unter dem in schwach betroffenen Branchen. Noch ist die Beobachtung wahrscheinlich nicht signifikant, aber der nächste Bericht der Mindestlohnkommission wird spannend. Er steht im Sommer 2022 an. Gut möglich, dass sich dann herausstellt: Wenn in der Corona-Pandemie schlecht bezahlte Menschen eher ihre Stellen verlieren, hätte ein Teil davon den Arbeitsplatz ohne Mindestlohn behalten.

 

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