Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Die Gentrifizierung des Fußballs

Reiche Mannschaften gewinnen immer häufiger, der Sport wird langweilig. Womöglich kann ein bisschen Sozialismus helfen. Von Winand von Petersdorff

 

Wer heute Fußballspiele in professionellen Ligen vergleicht mit Spitzenspielen etwa in den Siebzigerjahren, der hegt keinen Zweifel mehr: Der Fußball ist deutlich schneller, athletischer und dynamischer geworden. Kurz: Er ist besser. Die Räume, die früher vor allem Mittelfeldspielern zugestanden wurden, um den Ball anzunehmen, ein wenig mit ihm zu traben, um ihn dann weiterzuspielen, sind längst verschwunden.

Die Anhebung des spielerischen Niveaus hat viel mit der Kommerzialisierung des Sports zu tun. Seit die Aussichten für professionelle Spieler und Trainer gewachsen sind, durch Fußball reich zu werden, arbeiten sie härter und leben sie professioneller. Gleichzeitig hat sich in den Ligen ein anderer, in gewisser Weise gegenläufiger Trend entwickelt. Gute Mannschaften erzielen überproportional höhere Einkommen als schwächere Teams. Sie können es sich leisten, bessere Spieler (und bessere Trainer) zu kaufen, die wiederum die Erfolgsaussichten ohnehin guter Mannschaften noch verbessern. In der Folge droht der Unterhaltungswert des Fußballs zu schwinden, weil Erfolge vorhersehbar werden.

Was aus dem professionellen Fußball wird, wenn das Element der Überraschung verschwindet, fragen sich nicht nur aufmerksame Beobachter der Bundesliga, wo Bayern München neun Meisterschaften hintereinander gewann. Wie wichtig sind für Fans herzerwärmende Ereignisse wie der 5:0-Sieg von Borussia Mönchengladbach gegen den Dauersieger aus München im aktuellen Pokalwettbewerb? Sind sie das Salz in der Suppe, oder reicht es Zuschauern, sich an der Schönheit des Spiels zu ergötzen mit der gleichen Haltung, wie sich Liebhaber des Dressurreitens an schwierigen Volten delektieren?

Letzteres eher nicht, darf man mit anekdotischem Blick auf klassische Fan-Blocks unterstellen. Sie lieben eher die Aschenputtel-Geschichten vom 1. FC Kaiserslautern, der 1998 als Aufsteiger deutscher Meister wurde, oder das Wunder des Leicester City FC, der die englische Meisterschaft 2016 errang gegen alle Vorhersagen in den Wettbüros.

Die theoretischen Überlegungen und anekdotischen Erkenntnisse, dass die Geldverteilung, die siegreiche Teams besonders stark belohnt, zu einer sich verstärkenden Ungleichheit wird mit dem Effekt, dass die Resultate im Sport vorhersehbar werden, finden nun ihre Bestätigung in einer ambitionierten Datenanalyse. Forscher untersuchten 88 000 Spiele in elf europäischen Ligen (inklusive Bundesliga und Premier League) aus 26 Jahren. Das Ergebnis ist eindeutig. Auf dem Papier starke Teams schlagen schwächere Mannschaften heute deutlich häufiger als früher.

Geld spielt offenkundig eine wichtige Rolle. Die Forscher stellen fest, dass die Vorhersehbarkeit der Ergebnisse höher ist, je reicher die Liga ist. Wichtiger noch ist die Erkenntnis der Forscher, dass Ligen mit großer Ungleichheit beim Reichtum der Mannschaften besonders vorhersehbar sind. Die Autoren der Untersuchung sprechen von der Gentrifizierung des Fußballs, die gekennzeichnet ist durch kontinuierliche Besserstellung erfolgreicher Teams auf ein Niveau, das für schwächere Mannschaften immer schlechter zu erreichen ist.

Noch eine Entwicklung haben die Forscher identifiziert: Der Heimvorteil ist in den letzten Jahren geschrumpft. Er existiert zwar weiterhin, spielte aber mit den Jahren eine immer geringere Rolle in allen untersuchten elf Ligen. Die Ursache ist nicht ganz klar. Aber schon vor der Pandemie ging in den meisten Stadien in den meisten professionellen Sportarten und Ligen die Zahl der Zuschauer zurück und damit in der Regel der vokalisierte Rückhalt für die Heimmannschaft. Dazu kommt offenbar, dass Lokalpatriotismus eine geringere Rolle spielt oder weniger Entfaltungsmöglichkeiten findet bei Teams mit Spielern, die in der Regel gemeinsam haben, dass sie nicht aus der Region der Fans kommen. Gute Teams sind zudem erfahrener mit Auswärtsspielen, weil sie in internationalen Wettbewerben vertreten sind, anders als ihre schwächere Konkurrenz.

Was aber kann man tun, wenn Fußball vorhersehbar und langweilig zu werden droht? Die Strippenzieher des europäischen Fußballs sollten sich von amerikanischen Profisportarten inspirieren lassen, empfehlen die Forscher. Im American Football der NFL herrscht beispielsweise ein sogenannter Gehaltsdeckel. Er limitiert die Ausgaben eines Teams für seine Spieler. Weil die Mannschaften zudem noch 60 Prozent der Erlöse teilen, ist eine Wettbewerbsfähigkeit erreicht, die es auch dem Team aus der gerade 100 000 Einwohner großen Stadt Green Bay im Bundesstaat Wisconsin erlaubt, realistisch nach Trophäen zu schielen. Weil die schwächsten Mannschaften zudem bei der Rekrutierung von Nachwuchsspielern bevorzugt werden, haben sie gute Chancen, ihren Rückstand aufzuholen. Ramy Elitzur, Finanzprofessor an der Universität von Toronto, spricht deshalb in einem jüngeren Blogbeitrag von der NFL als einer der sozialistischsten Ligen der Welt.

Wie sehr sich ein solches eher nationales Modell auf die globale Welt des Fußballs übertragen lässt, ist aber nicht ganz klar. Das amerikanische System kennt keine Abstiege und hält damit automatisch potentielle Newcomer fern. Die Footballer machen zudem nolens volens mit, weil sie anders als Bundesliga- oder Premier-League-Profis keine Alternative haben. Sie können nicht nach Italien wechseln. Dazu kommt das Problem, dass ein zu “sozialistischer Lastenausgleich” innerhalb einer nationalen Liga die Wettbewerbsfähigkeit des besten Teams auf internationaler Ebene zu unterminieren drohte. Die durchaus schmerzhafte Botschaft plastisch formuliert lautet: Wenn Bayern seinen Ligakonkurrenten zu viel Geld abgeben muss, kann es die englischen Klubs nicht mehr bezwingen.

Die Lage ist so verzwickt, dass sich inzwischen selbst die alten Advokaten des Reinheitsgebots im deutschen Fußball mit dem Gedanken anfreunden, Investoren ins Boot zu holen, wie jüngste Äußerungen des Fußballmanagers von Borussia Mönchengladbach, Max Eberl, zeigen. Eine Liga nach britischem Modell, in der Oligarchen und amerikanische Sportinvestoren das Sagen haben, wird realistischer. Und wenn jedes Team seinen Oligarchen hat, nützt das vielleicht auch der Wettbewerbsfähigkeit.

 

Literatur:

Victor Martins Maimone/Taha Yasseri: Football is becoming more predictable; network analysis of 88 thousand matches in 11 major leagues. 2021.