Eine Wiener Studentin hat eine reiche Oma. Eines Tages erfährt die Studentin, dass ihre Oma ihr einen zweistelligen Millionenbetrag vererben wird. Es ist Zufall, dass die Studentin die Enkelin dieser reichen Oma ist. Sie hat nichts dafür getan, das Geld bekommt sie trotzdem. Das findet sie ungerecht. Darum engagiert sie sich in der Initiative “Tax me now”, zu der sich vermögende Bürger auf der ganzen Welt zusammengeschlossen haben. Sie fordern höhere Vermögen- und Erbschaftsteuern. Die Studentin und ihre Mitstreiter sehnen ein Ende der “dynastischen Weitergabe” immer weiter anwachsender Vermögen herbei.
Die Studentin heißt Marlene Engelhorn, ist Nachfahrin des BASF-Gründers und hat in einem Punkt zweifelsfrei recht: Jahr für Jahr werden riesige Summen verschenkt und vererbt, umverteilt von “oben” nach “unten” wird davon nur wenig. Das gilt besonders für Österreich, wo es keine Erbschaftsteuer gibt. Es gilt aber auch für Deutschland, wo Schätzungen zufolge zuletzt bis zu 400 Milliarden Euro im Jahr vererbt oder verschenkt wurden, der Staat aber nur 8,5 Milliarden Euro an Erbschaft- und Schenkungsteuer erhielt. Die Tabaksteuer brachte im selben Jahr 14,7 Milliarden Euro. Deutschlands Erben tragen weniger zur Staatsfinanzierung bei als Deutschlands Raucher.
Dass das viel zu wenig ist, finden nicht nur Engelhorn und ihre Mitstreiter. Gerade aus dem linken politischen Lager ertönt das Argument, Erbschaften zementierten die soziale Ungleichheit. Die Mehrheit der Deutschen sieht die Sache aber ganz anders: Noch ungerechter als das Erben sei, dass man die Erben für ihre Erbschaft zur Kasse bitte. Ökonomen bemühen sich derweil um eine Antwort auf die große Frage: Wie viel kann man mit einer Erbschaftsteuer im Kampf gegen die soziale Ungleichheit erreichen?
Zwei neue Studien, aus Australien und Norwegen, geben nun grundsätzlich zu denken, ob die Erbschaftsteuer überhaupt etwas gegen die Ungleichheit in einer Gesellschaft ausrichten kann. Beide Studien verfolgen einen ähnlichen Ansatz. Sie schauen, welches Gewicht im Verhältnis zu den sonstigen Vermögen die Erbschaften überhaupt ausmachen. Dazu muss man sagen: In beiden Ländern gibt es aktuell keine Erbschaftsteuer. Australien erhebt diese seit 1979 nicht mehr. Norwegen schaffte sie 2014 ab.
Beginnen wir mit Australien. Dort wollte die Regierung die Auswirkungen von Erbschaften und Schenkungen auf die Vermögensverteilung besser verstehen und hat eine Forschungskommission auf das Thema angesetzt, deren Bericht gerade erschienen ist. Er zeigt, dass sich Erbschaften und Schenkungen in Australien seit 2002 mehr als verdoppelt haben. Und dass diese Erbschaften und Schenkungen die relative Vermögensungleichheit in Australien unterm Strich verringern.
Wie die Autoren herausfanden, übertrugen die Australier während und am Ende ihres Lebens in den vergangenen zwei Jahrzehnten Vermögen im Gesamtwert von etwa 1,5 Billionen Dollar. Etwa 90 Prozent davon waren Erbschaften. Gemessen an der Höhe des bereits vorhandenen Vermögens, erhielten die weniger wohlhabenden Menschen im Durchschnitt einen viel größeren Zuwachs durch Erbschaften. Bei den ärmsten 20 Prozent war er etwa 50-mal so hoch wie bei den reichsten 20 Prozent. “Vermögenstransfers verringern also tendenziell den Anteil des Vermögens der reichsten Australier”, hieß es. Und diese Entwicklung werde sich wahrscheinlich fortsetzen.
Die Studie zeigt, dass bisher jede Generation im Durchschnitt wohlhabender war als die vorherige im entsprechenden Alter. Babyboomer schnitten dabei besonders gut ab. Kinder hatten in der Regel eine ähnliche relative Vermögensposition wie ihre Eltern. Erbschaften trugen dazu aber nur “in bescheidenem Maße” bei, zu etwa einem Drittel. Der Rest kam demnach von all den anderen Dingen, die Eltern ihren Kindern mitgeben: Bildung, Netzwerke, Werte und anderes.
Ein Grund dafür sei das hohe Alter der Erben. Wenn Menschen eine Erbschaft erhalten, sind sie der Untersuchung zufolge im Durchschnitt etwa 50 Jahre alt. “Dies schränkt die Auswirkungen von Erbschaften auf die Eröffnung lebenslanger Entscheidungen und Möglichkeiten in Bezug auf Karriere und Familie ein”, heißt es aus der australischen Kommission. Schenkungen flossen eher an jüngere Menschen, seien aber in der Regel viel kleiner und daher weniger relevant.
Ähnlich sieht die Sache in Norwegen aus, wie ein gerade veröffentlichtes Arbeitspapier andeutet. In ihrer Studie machten sich die Columbia-Ökonomin Sandra Black und ihre Kollegen Paul Devereux, Fanny Landaud und Kjell Salvanes die für Ökonomen sensationelle Datenlage in Norwegen zunutze. Individuelle Steuererklärungen sind dort seit Anfang des 19. Jahrhunderts öffentlich zugänglich. Auf dieser Basis konnten die Forscher untersuchen, in welchem Verhältnis Erbschaften zu dem stehen, was die Norweger aus ihrer Arbeit verdienen oder von der Regierung als Transferzahlungen jedweder Form erhalten.
Für ihre Analyse konzentrierten sie sich auf den Zeitraum zwischen 1995 und 2013 und werteten die Daten für die gesamte Bevölkerung aus. Das durchschnittliche Nettovermögen der Norweger lag 2013 bei umgerechnet 176 000 Euro. Der Wert ihres bis zu dem Zeitpunkt verdienten Arbeitseinkommens nach Steuern betrug im Schnitt etwa 1,04 Millionen Euro, die Transfers nach Steuern lagen bei 266 000 Euro, der Wert der erhaltenen Geschenke und Erbschaften bei 45 000 Euro. Schenkungen und Erbschaften machen im Durchschnitt also nur zwei bis fünf Prozent des Gesamteinkommens aus. Als die Forscher simulierten, wie die norwegische Einkommens- und Vermögensverteilung aussehen würde, wenn es keine Schenkungen und Erbschaften gäbe, stellten sie fest, dass sie im Wesentlichen unverändert wäre. Ihr Fazit: Für die Vermögensverhältnisse im Land spielen Erbschaften keine große Rolle.
Auch hier betonten die Forscher, dass die meisten Menschen in der Regel erst später im Leben ihr Erbe erhalten, wenn die Entscheidungen über ihre Karriere und ihre Lebensplanung bereits gefallen sind. Eine höhere Besteuerung der Erbschaften, meinen die Forscher, würde kaum zur Verringerung der ungleichen Vermögensverteilung beitragen. Dafür wirkten sich die Erbschaften einfach zu wenig auf die finanziellen Möglichkeiten der Menschen im Laufe ihres Lebens aus.
Marlene Engelhorn und ihre Mitstreitern bei “Tax me now” sehen das vermutlich anders. Wobei es ihnen nicht um Erbschaftsteuern im Allgemeinen geht, sondern um die zu niedrige Besteuerung derer, die es richtig dicke haben. Es geht ihnen auch nicht nur um die Vermögensungleichheit allein. Ihn ihren Augen liegt in der dynastischen Weitergabe von Reichtum auch die dynastische Weitergabe von Macht. Und diese bedrohe die Demokratie. Der Einfluss von Superreichen auf Politik und Gesellschaft sei viel zu hoch.