Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Lehren eines Solitärs

Der Ökonom Axel Leijonhufvud sah die Makroökonomik seit Jahrzehnten auf dem Holzweg. Ihn umtrieb die Frage, warum Koordinationsmängel in dynamischen Volkswirtschaften schwere Krisen verursachen können. Ein Nachruf.

Die moderne Makroökonomik erinnere ihn an moderne Hollywood-Filme, sagte Axel Leijonhufvud einmal. Die Pyrotechnik funktioniere, aber es fehle an überzeugenden Inhalten. Den aus Südschweden stammenden, aber überwiegend in den Vereinigten Staaten lehrenden Ökonomen hat vor allem die Frage bewegt, warum Marktwirtschaften gelegentlich in so schwere Krisen geraten, dass ein Vertrauen alleine auf die Selbstheilungskräfte des Marktes mit unerträglich großen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Kosten einhergeht. Seine Antwort lautete: Marktwirtschaften gleichen komplizierten dynamischen Systemen, in denen die notwendige optimale Koordination über Märkte nicht automatisch funktioniert, weil die Teilnehmer am Wirtschaftsprozess nicht immer rational handeln, weil die für eine optimale Koordination notwendigen Informationen nicht vorhanden sind und weil in schweren Krisen private und staatliche Institutionen nicht zwingend optimal handeln.

In seiner damals aufsehenerregenden Doktorarbeit aus dem Jahres 1968 (“On Keynesian Economics and the Economics of Keynes”) wandte er sich gegen die seinerzeit wie heute vorherrschende Interpretation, der britische Ökonom John Maynard Keynes habe Krisen vor allem als Ergebnis unflexibler Löhne und Preise erklärt. Keynes’ Krisenerklärung sei weitaus anspruchsvoller gewesen. Eine alternative Sichtweise, die Marktwirtschaften stets auf einem optimalen Weg sieht, solange sich der Staat weitgehend aus dem Wirtschaftsleben heraushält, hielt er für ebenso abwegig. 

Leijonhufvud antwortete mit dem Konzept des “Korridors”. Er beschreibt kleinere Abweichungen von Volkswirtschaften von ihrem optimalen Wachstumspfad als unbedenkliche Phänomene, auf die der Staat nicht reagieren müsse. Damit ist ein Korridor beschrieben, in dem sich Volkswirtschaften ohne große Kosten aufhalten können. Jenseits dieses Korridors drohen allerdings schwere und möglicherweise lange dauernde Krisen. In vielen Arbeiten hat sich Leijonhufvud mit der Frage befasst, wo die Grenzen des Korridors verlaufen.

So spürte er in Studien über Inflation den nachteiligen Wirkungen hoher Geldentwertung unter anderem für die Aussagekraft von Unternehmensbilanzen und staatlichen Haushaltsplänen und damit für die Fähigkeit nach, den Erfolg von Politikern und Managern zu überprüfen. Im Falle von Deflationen beschrieb er die Gefahren, die aus einer Überschuldung privater Haushalte für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung resultieren. “Ich war immer fasziniert von den Extremem monetärer Instabilität”, sagte der Schwede in einem Interview mit seinem Kollegen Brian Snowdon. Der herrschenden Wirtschaftslehre hielt er vor, die Rolle von Geld und Finanzmärkten zu unterschätzen – eine Kritik, die erst nach der Finanzkrise von 2008 populär wurde.

Zu einem Fundamentalkritiker von Marktwirtschaften wurde er allerdings nie; über Joan Robinson äußerte er sich beispielsweise abfällig. Auch erhob er keine grundsätzlichen Einwände gegen die sich ausbreitende Anwendung mathematisch formulierter Modell und empirischer Arbeiten. Sehr wohl aber fürchtete er eine Verengung des Blickwinkels der herrschenden Lehre durch eine immer weiter reichende, ihren Sinn nicht länger hinterfragende Spezialisierung. 

Noch heute wird gelegentlich die Frage gestellt, ob die Makroökonomik nicht besser dran wäre, wenn sie sich nach 1970 Leijonhufvuds Forschungsprogramm und nicht den Ideen seines amerikanischen Rivalen Robert Lucas verschrieben hätte, der das Konzept rational handelnder Individuen in spannungsfrei funktionieren Marktwirtschaften popularisierte. Die Frage ist müßig. Leijonhufvud war ein Solitär, der nach eigenen Worten keine Schule bilden wollte und der eine pessimistische Grundhaltung zeitlebens nicht überwinden konnte: “Ich bin ein Schwede, also bin ich niemals optimistisch.” (Theorieimmanente Gründe für das Scheitern Leijonhufvuds nennt in theoriehistorisch einordnender Perspektive David Laidler.)

Die auch in den Wirtschaftswissenschaften nicht unbekannte Herdenbildung war dem Schweden ebenso suspekt wie die These, ein linearer Erkenntnisfortschritt mache das Studium der Wirtschaftsgeschichte und der Geschichte ökonomischer Theorien obsolet. Am 5. Mai ist Axel Leijonhufvud im Alter von 88 Jahren verstorben.