Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Vorsicht Gold!

 

Viele Notenbanken kaufen wieder Gold. Das lässt Schlimmes ahnen. 

 

Die Zentralbanken der Welt haben im vergangenen Jahr netto 1136 Tonnen Gold gekauft. Mehr war es nach den Angaben des World Gold Council zuletzt 1967, als europäische Notenbanken in großem Umfang Gold erwarben. Die Abwertung des britischen Pfunds und Defizite in der amerikanischen Zahlungsbilanz läuteten damals das Ende des internationalen Währungssystems ein, das nach einem kleinen Ort in den Bergen von New Hampshire “Bretton Woods” genannt wurde.
Ist der starke Zuwachs der offiziellen Goldkäufe nun wieder ein Menetekel, dass eine internationale Ordnung zerbricht?
 
Das Bretton-Woods-System gründete darin, dass die nationalen Währungen über den Dollar an den Wert des Goldes gebunden waren. Dieses Band löste sich, als der amerikanische Präsident Richard Nixon 1971 das anderen Ländern seit 1934 gegebene Versprechen aufgab, 35 Dollar in eine Feinunze Gold zu tauschen. Das war das Ende des Goldstandards, der in etwa seit 1880 die Weltwirtschaft bestimmt hatte. Vereinfacht gesagt, war der Wert des Geldes von nun an nicht mehr durch Goldreserven der Notenbanken gedeckt, sondern allein durch das Versprechen der Notenbanker, den Geldwert stabil zu halten.
Das Ende des internationalen Goldstandards bedeutete auch eine Abkehr von festen Wechselkursen. In Europa entwickelte sich ein Vorläufer der Währungsunion, um große Wechselkursschwankungen zu verhindern. Der Rest der Welt ging im Prinzip zu flexiblen Wechselkursen über, in die manche Länder mal mehr, mal weniger eingriffen.
 
Der Wandel des währungspolitischen Rahmens nach dem Zusammenbruch von Bretton Woods hatte entscheidende Bedeutung für die Notwendigkeit von Gold- und von Währungsreserve insgesamt. Die Hinwendung zu flexiblen Wechselkursen stellte die Höhe der gesamten Devisenreserven infrage, weil zumindest im Prinzip nun keine Wechselkurse mehr verteidigt werden mussten. Und weil die Zentralbanken die Golddeckung nicht mehr garantierten, wurden die Goldreserven eigentlich überflüssig.
Die Finger vom Gold aber wollten die Notenbanken nicht lassen. Man kann das in Erinnerung an den Ökonomen Fritz Machlup mit der Theorie begründen, die den umständlichen Namen “Frau Machlups Kleiderschrank-Theorie der Währungsreserven” trägt. Nach dieser Theorie geht es Frau Machlup nicht darum, dass sie genug Kleider zum Anziehen hat. Es geht ihr allein darum, dass immer neue Kleider dazukommen. Analog vermutete Machlup bei Notenbankern einen Hang zum Haben und zum Mehr. Er sah in Devisenreserven mehr Verlangen als Notwendigkeit.
 
Ob mit oder ohne Frau Machlup dauerte es nach dem Fall des Goldstandards rund zwei Jahrzehnte, bis die Notenbanken damit begannen, sich von ihren Goldbarren zu trennen. Dies ging einher mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Endes des Ost-West-Konflikts. Die Vermutung liegt nahe, dass dem Gold während des Kalten Kriegs eine besondere Bedeutung als Währungssicherung oder Notreserve zugemessen wurde.
 
Diese schöne Theorie wird indes dadurch gestört, dass die Notenbanken von Kanada, Australien und Belgien, die mit als Erste Gold verkauften, im Kalten Krieg wahrlich nicht an vorderster Front standen.
Als barbarisches Relikt der Vergangenheit stuften kurz vor der Jahrtausendwende die Ökonomen Michael Bordo und Barry Eichengreen die Goldreserven der Zentralbanken ein und schrieben ihnen keine glänzende Zukunft zu. Sie fanden in ihrer historischen Untersuchung manche Indizien dafür, die eher auf weniger als mehr Gold in den Reserven hindeuteten. Weniger Inflation, flexible Wechselkurse und weniger Kapitalverkehrskontrollen gingen in der Studie mit weniger Goldreserven einher. Die Tradition und die Trägheit, die zugunsten des Goldes wirkten, würden an Gewicht verlieren, mutmaßten Bordo und Eichengreen.
 
Damit behielten sie recht – bis zur Finanzkrise 2008/9. Seither begannen die Zentralbanken in der Gesamtheit wieder, Goldbarren aufzustapeln. Die Goldreserven der Notenbanker sind heute wieder höher als zur Jahrtausendwende. Eichengreen stellt mit Ko-Autoren in einer gerade veröffentlichten neuen Studie schon die Frage, ob Gold doch kein barbarisches Relikt mehr sei. Eine klare Antwort bleiben sie schuldig.
 
Der Anstieg der Goldreserven seit der Finanzkrise speist sich aus zwei Entwicklungen. Notenbanken in den Ländern Nordamerikas und Westeuropas, die der Internationale Währungsfonds als “fortschrittlich” einstuft, hörten nach der Finanzkrise weitgehend auf, Gold zu verkaufen. Entwicklungs- und Schwellenländer aber kauften deutlich zu.
 
Eichengreen und seine Mitautoren finden Hinweise, dass vor allem die Entwicklungs- und Schwellenländer auf größere wirtschaftspolitische Unsicherheit mit mehr Goldreserven reagieren. “Fortschrittliche” Länder reagieren eher auf geopolitische Risiken, doch ist dieser Effekt weniger stark ausgeprägt.
 
Zu den größten Goldkäufern gehören Russland, China, die Türkei und Indien. Dem Goldproduzenten Russland kommt eine besondere Bedeutung zu. China etwa kaufte viel Gold, hielt den Anteil des Goldes an seinen Währungsreserven aber unter 5 Prozent. Russland dagegen hat den Goldanteil an den Reserven seit der globalen Finanzkrise drastisch auf mehr als 20 Prozent ausgebaut.
 
Das dürfte seine Erklärung auch darin finden, dass Russland seit der Besetzung der Krim 2014 Wirtschafts- und Finanzsanktionen des Westens unterliegt. Eichengreen und seine Mitstreiter zeigen in ihrer Studie jedenfalls einen recht engen Zusammenhang zwischen Sanktionen und Goldreserven auf. Entwicklungs- und Schwellenländer, die von Amerika, der Europäischen Union, dem Vereinigten Königreich und Japan mit Sanktionen belegt werden, reagieren mit einer Aufstockung ihrer Goldreserven. So versuchen sie der finanziellen Blockade von Devisenreserven auszuweichen. Schon 2021 hat Russland verkündet, dass es seine Goldreserven nun zur Gänze heimgeholt habe und keine Barren mehr im Ausland lagerten.
Vor diesem Hintergrund wirken die großen Goldkäufe der Notenbanken im vergangenen Jahr wie ein düsteres Vorzeichen. Schon bei Bordo und Eichengreen war zu lesen, dass vor dem Ersten Weltkrieg Deutschland und eine ganze Reihe anderer Länder begannen, ihre Devisenreserven in Gold zu tauschen.
 
 
Literatur:
Serena Arslanalp, Barry Eichengreen und Chima Simpson-Bell (2023): Gold as International Reserves: A Barbarous Relic No More? IMF Working Paper WP/23/14.
Michael D. Bordo, Barry Eichengreen (1998): The Rise and Fall of a Barbarous Relic: The Role of Gold in the International Monetary System. NBER Working Paper Nr. 6436.
Fritz Machlup (1966): The Need for Monetary Reserves. Reprints in International Finance Nr. 5, Princeton University.