Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Wie Sanktionen wirken

Politiker verstehen immer besser, wie man Wirtschaftskriege führt.

Leerer Laden in Moskau: Eine Folge der Sanktionen?
Leerer Laden in Moskau: Eine Folge der Sanktionen? (Foto: Natalia Kolesnikova / AFP)
Das war neu. Noch nie waren Wirtschaftssanktionen so hart wie die, die große Teile der Welt in den vergangenen Monaten gegen Russland beschlossen haben, nachdem Wladimir Putin die Ukraine angegriffen hatte. Kein Wunder, dass Ökonomen und Politikwissenschaftler sich wieder für Sanktionen zu interessieren begannen: Wirken die? Und unter welchen Bedingungen? In den vergangenen Monaten kamen unterschiedliche Leute zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Vergangene Woche ist nun eine Übersicht erschienen, die all die verschiedenen Ergebnisse systematisiert. Sie bringt eine schlechte Nachricht und eine gute.
 
Alles beginnt mit der Feststellung, dass Sanktionen über die Jahre als Mittel internationaler Auseinandersetzung in Mode gekommen sind. Nicht dass sie neu wären: Wirtschaftssanktionen gibt es mindestens seit dem Jahr 423 vor Christus. Damals sperrte Athen den Handel mit der anderen griechischen Stadt Megara – mit der Begründung, Megara habe Athener Land bebaut und einen Athener Boten getötet. Damals trug der Konflikt zum Beginn des Peloponnesischen Krieges bei. Doch die Welt hat seitdem einiges dazugelernt.
 

Seit 1950 gibt es immer mehr Sanktionen

 
In der Übersichtsarbeit konzentrieren sich die amerikanischen Ökonomen Clifton Morgan, Constantinos Syropoulos und Yoto Yotov auf die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie sichten nicht nur Literatur, sondern werten auch eine weltweite Datenbank aller Sanktionen aus. Seit 1950 ist die Zahl der Sanktionen demzufolge immer weiter gestiegen: einerseits weil sich zuvor verhängte Sanktionen aufsummieren, andererseits aber auch, weil immer häufiger neue verhängt werden.
 
Wie Sanktionen immer weiter um sich greifen, zeigt auch die jüngere Geschichte: Die Vereinigten Staaten beschließen inzwischen auch recht oft sogenannte “Sekundär-Sanktionen”: Sie sanktionieren auch Unternehmen aus anderen Ländern, die ihrerseits die Beziehungen zum sanktionierten Staat nicht abbrechen.
 
Nicht alles, was in Mode kommt, ist tatsächlich eine gute Idee. Deshalb fragen die Autoren, ob Wirtschaftssanktionen ihre Ziele auch wirklich erreichen. Und da beginnen die Differenzen. Die Autoren stellen fest, dass Wissenschaftler den Erfolg von Sanktionen an zwei unterschiedlichen Fragen messen. Erstens: Haben die Sanktionen wirtschaftliche Auswirkungen? Die Antwort darauf ist ziemlich klar: Ja, Sanktionen treffen die Wirtschaft in den Zielstaaten. Sie beeinträchtigen Handel, Investitionen und Wachstum, sie steigern die Armut und kosten die von Sanktionen betroffenen Staaten auch spürbar politische Stabilität – und das alles zu einem sehr kleinen Preis für die Ausgangsstaaten der Sanktionen. Bei ihnen sind negative Effekte kaum messbar.
 

Erreichen Sanktionen ihre politischen Ziele?

 
Doch dann kommt man erst zur zweiten Frage: Erreichen Sanktionen auch ihre politischen Ziele? Da fällt die Antwort erst mal anders aus. Obwohl Sanktionen wirtschaftlich fast immer wirken, lauteten die ersten Ergebnisse der Sanktionsforschung: Ihre politischen Ziele erreichen sie nur in jedem dritten oder in jedem vierten Fall. Das ist die schlechte Nachricht. Doch die gute kommt noch.
 
Von da an stellte die politische Sanktionsforschung nämlich eine andere Frage: Wenn Sanktionen so wenig Erfolg haben, warum verhängen Politiker sie so oft? Mehrere Thesen wurden diskutiert.
Es könnte zum Beispiel sein, dass Politiker zwar anerkennen, dass sie die Handlungen des anderen nicht verhindern können, aber mit Sanktionen noch andere Ziele verfolgen, sei es Symbolpolitik oder innenpolitische Absichten.
 
Wahr könnte auch sein, dass Sanktionen als Instrument anerkannt werden, das zwar nicht immer Erfolg hat, aber trotzdem besser ist als die Alternativen, vor allem militärische Interventionen. Vielleicht sind es gar nicht die Sanktionen selbst, die im Instrumentenkasten der internationalen Politik wichtig sind – sondern mehr die Drohung mit Sanktionen. Vom Schach-Großmeister Savielly Tartakower stammt der Satz: “Die Drohung ist oft stärker als die Ausführung”. Was bei ihm auf den Kampf von Holzfiguren bezogen war, könnte auch in der internationalen Politik wichtig sein. Dass Sanktionen überhaupt verhängt werden, wäre dann sowieso schon das Ende gescheiterter Verhandlungen – es wäre dann kein Wunder, dass die weiteren Sanktionen keine große Wirkung mehr haben.
 

Warum die Forschung so schwer ist

 
All das ist schwer zu ermitteln – das alte Problem der Sozialwissenschaften. Sanktionen stehen ja selten allein, sondern es gibt dafür meist einen Auslöser. Ob die weiteren Geschehnisse mehr vom Auslöser oder mehr von den Sanktionen beeinflusst werden, das lässt sich nur mit sehr vielen Beispielen analysieren. Doch in der internationalen Politik gibt es nicht Tausende Fälle von Sanktionen.
 
Wie schwer die ganzen Effekte voneinander zu trennen sind, das hat Russland im vergangenen Jahr gezeigt: Nur zwei Monate nach Beginn der Sanktionen war der Rubel wieder so stark wie vorher. Lag das daran, dass die Sanktionen nicht wirkten? Nein, wie die Ökonomen Oleg Itskhoki und Dmitry Mukhin zeigten: Die Sanktionen wirkten. Russland konnte viele Güter nicht mehr importieren. Darum flossen weniger Rubel aus dem Land ab, und darum wurde die Währung nominell wieder stärker, obwohl sich die Russen von ihrem stärkeren Rubel weniger kaufen konnten.
 

Sanktionen werden immer besser

 
Hier aber kommt endlich die gute Nachricht. Forscher kamen noch auf eine andere These: Könnte es sein, dass Politiker mit der Zeit immer genauer lernen, wie sie Sanktionen einsetzen müssen – und dass Sanktionen deshalb mit der Zeit immer häufiger und immer wirksamer werden?
 
Dafür spricht inzwischen vieles. Morgan, Syropoulos und Yotov haben selbst noch einmal nachgerechnet. Sie kommen zu dem Schluss, dass Sanktionen im Lauf der Zeit tatsächlich immer mehr Wirkung entfaltet haben. 1950 erreichten nur rund 20 Prozent der Sanktionen all ihre Ziele, doch bis zu den Zehnerjahren stieg die Erfolgsquote auf über 50 Prozent. Dazu kommen rund 25 Prozent an Sanktionen, die wenigstens teilweise Erfolg haben. Die restlichen Ergebnisse sind so, wie man sie erwarten würde: Wenn sich viele Länder beteiligen, sind Sanktionen effektiver. Am erfolgreichsten sind Sanktionen der USA, die der Europäischen Union sind kurz dahinter.
 
Die Autoren spekulieren also nun, dass Politiker im Umgang mit Sanktionen tatsächlich immer gewiefter geworden sind. Erst als in Amerika Donald Trump Präsident wurde, fiel die Erfolgsquote steil ab. Und der politische Erfolg der vielen Russland-Sanktionen lässt sich heute noch nicht bewerten. Wirtschaftlich haben sie jedenfalls schon manches erreicht.