Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Der Dollar bleibt der König

Showdown in Davos: Die Finanzierung des Welthandels hängt von der amerikanischen Währung ab. Daran ändert China nichts.

 

Einen Höhepunkt des diesjährigen Weltwirtschaftsforums in Davos bildete eine Kontroverse der beiden bekannten britischen, seit Langem in den Vereinigten Staaten lebenden Wirtschaftshistoriker Adam Tooze und Niall Ferguson. Tooze bekannte sich zu dem in Davos populären Konzept einer „Polykrise“, also der Vorstellung einer Welt, in der die Globalisierung durch eine Vielzahl wirtschaftlicher, geopolitischer und ge­sellschaftlicher Einflüsse bedroht wird. Fer­guson entgegnete, er möge Be­griffe wie Polykrise gar nicht. Was gerade ge­schehe, sei einfach der Gang der Ge­schichte, und etwaige Veränderungen der Globalisierung würden langsam ver­laufen.


Mit offensichtlichem Bezug auf Tooze warnte Ferguson vor einer Verbreitung „journalistischer Narrative“ – was so ziemlich der schlimmste Vorwurf ist, den ein Wissenschaftler einem Kollegen ma­chen kann. Tooze, sichtlich getroffen, re­vanchierte sich mit der von seinem Kontrahenten erkennbar als Beleidigung eingeschätzten Bemerkung, Ferguson würde sich phantastisch als eine Figur in Tiktok-Videos eignen. Das Publikum erlebte eine kurzweilige Stunde.


In der Sache lagen Tooze und Ferguson unter anderem in der Einschätzung der „Theorie hegemonialer Stabilität“ aus­einander. Ferguson teilt die mit dieser Theorie verbundene Ansicht, dass für den Erfolg der Globalisierung die Unterstützung durch führende Mächte notwendig erscheint. Nach dieser Lesart hatte die erste Globalisierung im 19. Jahrhundert von der Pax Britannica profitiert, während die zweite Globalisierung nach dem Zweiten Weltkrieg durch die Pax Americana geprägt war. Ferguson sieht dieses Modell durch die amerikanisch-chinesische Rivalität gefährdet, wenn auch nicht unmittelbar bedroht.
Tooze hegt deutliche Zweifel an der „Theorie hegemonialer Stabilität“. Er meint, dass die Globalisierung keinen He­gemon benötigt, sondern geopolitisch auf mehreren regionalen Machtzentren beruhen kann. „Die Globalisierung hängt nicht von der Existenz eines auf dem Dollar beruhenden Währungssystems ab“, lautete seine Begründung.


Zu diesem Thema hat mit Hyun Song Shin einer der scharfsinnigsten Ökonomen unserer Zeit das Wort ergriffen. Shin, der in Oxford und Princeton gelehrt hat, arbeitet als ökonomischer Chefberater der in Basel ansässigen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Die Analyse von Wechselwirkungen zwischen der Weltwirtschaft und den globalen Finanzmärkten gehört seit Langem zu seinen Spezialgebieten.


Shin beginnt mit der Beobachtung, dass in den vergangenen Jahrzehnten, nur je­weils kurz durch die Große Finanzkrise und die Pandemie unterbrochen, sowohl das Bruttoinlandsprodukt als auch der Welthandel deutlich gestiegen sind – al­lerdings in unterschiedlichem Tempo. Der Anteil des Welthandels am Brutto­inlandsprodukt liegt heute mit 17 Prozent im historischen Vergleich sehr hoch. Allerdings befindet er sich unter seinem 2008 erreichten Höchststand von etwa 19 Prozent. Es wäre übertrieben, angesichts dieses geringen Rückgangs von einer De­globalisierung zu sprechen, aber die in­ternationale Verflechtung des Handels mit Gütern und Dienstleistungen nimmt offenbar auch nicht mehr zu.


Auf der Suche nach Erklärungen un­tersucht Shin die Entwicklung globaler Finanzströme. Hier fällt auf, dass der An­teil der grenzüberschreitenden Kredite von Banken am weltweiten Bruttoinlandsprodukt nach einem starken An­stieg bis auf 60 Prozent seit der Finanzkrise auf annähernd 40  Prozent gefallen ist. Besteht ein Zu­sammenhang zwischen der rückläufigen Be­deutung internationaler Bankkredite und der rückläu­figen Bedeutung des Welthandels für die Weltwirtschaft? Und wenn ja: Wie sähe dieser Zusammenhang aus?


Einen Anknüpfungspunkt verortet Shin in der Struktur des Welthandels. Zwar hat die Bedeutung der Dienstleistungen für den Welthandel über die Jahrzehnte zugenommen. Doch ein erheb­licher Teil des Welthandels beruht immer noch auf Industriegütern. Deren Produktion muss erst einmal finanziert werden. „Globale Wertschöpfungsketten wurden genährt durch hohe Ausgaben für Be­triebskapital, das die Zeitspanne zwischen Kosten und Cashflows überbrückt“, konstatiert Shin. Mit Betriebskapital ist das Umlaufvermögen von Unternehmen ge­meint, das sich aus Lagerbeständen von Fertigwaren, Roh- und Betriebsstoffen so­wie dem Saldo aus kurzfristigen For­derungen und Verbindlichkeiten ergibt. „Damit sind die globalen Wertschöpfungsketten in hohem Maße von den Fi­nanzierungsbedingungen abhängig“, sagt Shin.


Wenn die Sprache auf Finanzierungen von Unternehmen kommt, wird oft auf langfristige Investitionsprojekte abgestellt. Aber 35 bis 50 Prozent der Aktiva von Industrieunternehmen bestünden aus Betriebskapital, gibt Shin zu bedenken. Das übliche Bild, sich die Weltwirtschaft als eine Ansammlung nationaler oder regionaler Volkswirtschaften vorzustellen, sei daher überholt, meint Shin: „Im Zeitalter globaler Wertschöpfungsketten ist es besser, sich die Weltwirtschaft als ein hoch entwickeltes Netzwerk miteinander verbundener Unternehmensbilanzen vorzustellen.“ Über die Finanzierung des Umlaufvermögens werden die Bilanzen von Industrieunternehmen und damit die globalen Wertschöpfungsketten von den globalen Fi­nanzierungsbedingungen beeinflusst. Diese Finanzierungsbedingungen wie­derum hängen stark vom Wechselkurs des Dollar gegenüber den anderen Währungen ab. „Ein starker Dollar geht Hand in Hand mit strafferen Finanzierungsbedingungen, die dämpfend auf die globalen Wertschöpfungsketten wirken“, er­läuterte Shin kürzlich auf Twitter. Das Umgekehrte gilt für einen schwachen Dollar – er unterstützt die wirtschaftliche Globalisierung.


Als ein Beispiel für diese Analyse führt Shin die Entwicklung der Exporte seines Heimatlandes Südkorea an, die im Sommer 2021 ein starkes Wachstum zeigten. Da­mals war der Dollar schwach, was nach der traditionellen Lehre wegen der spiegelbildlichen Stärke der Heimatwährung Won die Exporte Koreas belastet haben sollte. Aber ein schwacher Dollar bedeutet günstige Finanzierungsbedingungen, die über ihre positiven Wirkungen auf die globalen Wertschöpfungsketten die koreanischen Exporte belebten. Dieser As­pekt wurde bisher unterschätzt.


Eine Erkenntnis aus Shins Analyse für die Debatte zwischen Tooze und Fer­guson liegt nahe: Trotz der geopolitischen Rivalität zwischen den USA und China ist der Dollar für die Entwicklung der Globa­lisierung immer noch die entscheidende Währung. Zumindest in dieser Hinsicht bleibt die amerikanische Hegemonie er­halten. Niall Ferguson fand die Ausführungen seines früheren Oxford-Kollegen Shin wohl nicht zufällig gut.


Hyun Song Shin (2023): Global Value Chains under the Shadow of Covid. Im Internet: https://www.bis.org/speeches/sp230216.htm

weiterhin