Spanien befindet sich – im Unterschied zu Italien, Frankreich und auch Griechenland – in einer Lage, die der japanische Ökonom Richard Koo “Bilanzrezession” getauft hat. Nach dem Platzen einer kreditfinanzierten Spekulationsblase müssen Unternehmen und private Haushalte sparen, um ihre Verschuldung zu reduzieren. Das gefährdet die Konjunktur. Eine “Bilanzrezession” lässt sich kurzfristig nicht aus der Welt schaffen.
Von Gerald Braunberger
Die schwierige Situation der Bankia, einer aus sieben kleineren Instituten zusammengeführten spanischen Bank, wirft ein weiteres Schlaglicht auf die Folgen der Immobilienkrise für die Wirtschaft des in einer Bilanzrezession befindlichen iberischen Landes. Mittlerweile wurden mit Roland Berger und Oliver Wyman zwei ausländische Beratungsunternehmen mit der Prüfung der spanischen Bankbilanzen beauftragt. Aus Madrid sind derzeit keine klaren Angaben erhältlich, wie die Bankia rekapitalisiert werden soll. Es kursieren Gerüchte über einen baldigen Ruf nach internationalen Hilfsprogrammen, die die Regierung Rajoy öffentlich ablehnt.
Aber: Die durchschnittliche Rendite der spanischen Staatsverschuldung liegt nur knapp über 4 Prozent. Die immer wieder zu hörende Behauptung, das Land könne sich auch vorübergehend keine Rendite für zehnjährige Anleihen von über 6 Prozent leisten, ist abwegig. Zudem finanziert sich kein Staat dieser Welt ausschließlich über die Ausgabe zehnjähriger Papiere.
Der führende spanische Aktienindex IBEX liegt auf dem niedrigsten Stand seit Mai 2003.
Wir haben uns im Finanzmarkt der F.A.Z. in der jüngeren Vergangenheit intensiv mit der Bilanzrezession und ihren möglichen Folgen befasst:
– Ein Gespräch mit Richard Koo, dem “Erfinder” des Konzepts der Bilanzrezession
– Von der Spekulationsblase in die Bilanzrezession, eine Darstellung anhand von Grafiken und erläuternden Texten. Gelegentlich entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, in Spanien tue sich nichts. In einer Grafik sind die dramatischen Anpassungsprozesse sichtbar, die um 2008 in dem iberischen Land eingesetzt haben. Erkennbar sind die Anpassungsprozesse zudem in der Entwicklung des Leistungsbilanzdefizits, das im Jahr 2009 noch 4,5 Prozent des BIP betrug, nach Schätzungen der OECD in 2012 allerdings bei nur noch 0,9 Prozent des BIP liegen könnte. So sind die Exporte Spaniens in den Jahren 2010 und 2011 kräftig gestiegen.
– Von der Bilanzrezession in die Finanzrepression, eine weitere Darstellung mit Grafiken und Texten, die zeigt, warum es für Staaten mit hoher Verschuldung reizvoll sein kann, sich in eine Finanzrepression zu flüchten. Ein grundlegendes modernes wissenschaftliches Papier zur Finanzrepression stammt von Carmen Reinhart und Belen Sbrancia; hier ist eine Zusammenfassung dieser Arbeit aus meiner Feder.
– Ein Gespräch mit Asoka Wöhrmann über Bilanzrezession, Finanzrepression und die Folgen.
Update 30. Mai: Heute war ein schlimmer Tag für Spanien an den Finanzmärkten. Der Preis für CDS auf fünfjährige Staatsanleihen stieg auf ein historisches Hoch von 597 Basispunkten. Die Renditen der Anleihen belaufen sich auf 4,89 Prozent für Zweijährige, 6,04 Prozent für Fünfjährige und 6,61 Prozent für Zehnjährige. Die Renditestrukturkurve wird wieder flacher, sieht aber noch nicht so entsetzlich aus wie Ende November 2011, als Zweijährige kurz bei 8 Prozent notierten und Zehnjährige bei 7 Prozent.
Der spanische Ibex-Aktienindex fällt weiter und hat seinen tiefsten Stand seit März 2003 erreicht. In Portugal werden unter anderem die Aktien der Telecom und der großen Versorger bei großen Umsätzen verkauft, was auf Angaben internationaler Anleger schließen lässt. Der Kurs der Telecom ist auf dem tiefsten Stand seit 1996.
Im Chart des Euro-Stoxx-50-Aktienindex deutet sich ein sogenanntes “Todeskreuz” an – ein charttechnisches Verkaufssignal.
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