„Die Reichen werden immer reicher”: So hieß die Schlagzeile aus dem – jetzt geänderten – Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung. Während die Reichen immer mehr Vermögen anhäuften und das vermögendste Zehntel der Deutschen die Hälfte des Gesamtvermögens besitze, hätte die ärmere Hälfte der Deutschen quasi keine Rücklagen. Und der Staat werde immer ärmer.
Von Patrick Bernau
Nun wissen wir alle, warum das Vermögen des Staates immer weiter schrumpft: Weil er jedes Jahr wieder mehr Geld ausgibt, als er eingenommen hat. Könnte das bei den Armen auch so sein? Ist das Sparen aus der Mode gekommen? Sind die Konsumansprüche schneller gestiegen als das Einkommen? Das war die Frage, mit der ich mich zu einer Datenrecherche aufgemacht habe.
Die Antwort kurz gefasst: Ja, das Sparen ist aus der Mode gekommen. Und nein, eine richtige Geschichte ist das Thema trotzdem nicht. Aber wir haben hier im Blog einige Leser, die sich für das Thema tiefer interessieren und die mit den vorläufigen Daten vielleicht trotzdem etwas anfangen können. Darum erzählen wir zum ersten Mal von einer Geschichte, die wir – im Journalistensprech – „totrecherchiert” haben.
Frage 1: Sparen die Armen heute weniger als früher? Ja.
Die Antwort findet sich in der „Einkommens- und Verbrauchsstichprobe” des Statistischen Bundesamtes. Seit Jahrzehnten notieren die Statistiker alle paar Jahre, wie viel Geld die Deutschen einnehmen und wofür sie es ausgeben. Wir vergleichen monatliche Ersparnis aus den Jahren 1983 bis 2008 im früheren Bundesgebiet. Weil das Statistische Bundesamt die Ersparnis immer nur pro Einkommensklasse angibt, müssen wir die Klassengrenzen (und die Ersparnis) in heutige Euro umrechnen und dann für eine erste Überschlagsrechnung ungefähr die richtigen Einkommensklassen auswählen. Wir rechnen nach zwei Maßstäben um: (a) Inflation und (b) Entwicklung des Medianeinkommens, denn die Armutsdefinition hängt am Median-Einkommen. Dann überschlagen wir die grobe Ersparnis mit einem gewichteten Mittel aus den entsprechenden Einkommensklassen.
Die ausgerechneten Ersparnisse schwanken natürlich heftig, schon allein, weil die Grenzen der Einkommensklassen über die Jahre nicht richtig vergleichbar sind. Trotzdem lässt sich ungefähr festhalten: Zu Beginn der achtziger Jahre verschuldeten sich die Armen tatsächlich weniger, also blieb in unteren Einkommensschichten mehr Vermögen.
Doch das ist nicht das Ende der Geschichte. Allein die Tatsache, dass die durchschnittliche Ersparnis der Armen zurückgeht, heißt noch nicht, dass sich die Ansprüche armer Menschen geändert hätten. Möglicherweise haben sich die Ansprüche der ganzen Gesellschaft geändert. Vielleicht ist der Grund auch einfach die Demografie: Wenn es mehr Rentner gibt, gibt es mehr Menschen, die ihr Vermögen auflösen. Also gucken wir mal, was die Reichen machen.
Frage 2: Was ist mit den Reichen? Die sparen auch weniger.
Die Ersparnisdaten für einkommensstarke Haushalte schwanken noch heftiger als die für einkommensschwache Haushalte, weil die Einkommensklassen gröber sind. Besonders schwierig ist die Interpretation der Jahre 1988 und 1983, weil sich die Einkommensklassen nach einer Inflationsbereinigung erheblich von denen im Jahr 2008 unterscheiden (anders nach einer Medianeinkommen-Bereinigung). Trotzdem wird deutlich: Auch in den einkommenstarken Einkommensschichten geht die Ersparnis eher zurück.
Fazit: Alle zusammen sparen weniger, Arme und Reiche. Aber das lässt sich auch demografisch erklären und ist so keine Geschichte.
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