“Banking is not difficult to understand…Simply learning the precise meanings of some of the terms that are used, such as the word capital, can help uncover some of the nonsense. You do not need any background in economics, finance, or quantitative fields to read and understand the book.”
Anat Admati & Martin Hellwig
Es wurde höchste Zeit, dass Fachleute in einem Buch allgemeinverständlich das Wesen des Bankgeschäfts erläutern, die daraus entstehenden Risiken klar beschreiben und einen ökonomisch plausiblen Vorschlag für eine größere Stabilität des Banksystems unterbreiten, der im Interesse der breiten Öffentlichkeit liegt – allerdings Banken und Politik zu einem Umdenken zwingen müsste. Anat Admati (Stanford University) und Martin Hellwig (Max Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn) haben ein solch lobenswertes Buch verfasst. Insofern ist die Bezeichnung Meisterwerk gerechtfertigt. Ihre grundlegende Botschaft lautet, die Banken müssten durch eine höhere Eigenkapitalausstattung sicherer gemacht werden: „Was immer sonst noch getan werden sollte, die signifikante Reduzierung der Abhängigkeit großer Banken ist der direkteste und kosteneffizienteste Ansatz, um Krisen zu verhindern.”
Dieser Vorschlag ist für sich genommen natürlich nicht neu. Neu ist die Verve und die Überzeugungskraft, mit der Admati und Hellwig die üblichen Gegenargumente der Bankenlobby auseinander nehmen. Daher verdient dieses glänzend und gut verständlich geschriebene Buch, das aus einem in der F.A.Z. seinerzeit präsentierten Arbeitspapier entstanden ist, höchste Aufmerksamkeit und weite Verbreitung – sogar wenn man die Fokussierung auf das Eigenkapital für etwas einseitig halten sollte. Und darum ist diesem in englischer Sprache erschienenen Buch bald eine deutschsprachige Ausgabe zu wünschen.
“A major reason for the success of bank lobbying is that banking has a certain mystique. There is a pervasive myth that banks and banking are special and different from all other companies and industries in the economy. Anyone who questions the mystique and the claims that are made is at risk of being declared incompetent to participate in the discussion.”
Anat Admati & Martin Hellwig
Auf gut 200 Seiten, der Rest besteht aus Anmerkungen, Fachliteratur und Sach- sowie Namensregister, unternehmen die beiden Autoren einen Parforceritt durch das moderne Bankgeschäft. Eine ihrer wichtigsten Thesen lautet, dass dem klassischen Bankgeschäfte, also dem Kredit- und Einlagengeschäft, auch schon vor dem Ausbruch der aktuellen Krise erhebliche Risiken inne gewohnt haben, die sich unter anderem aus dem Phänomen der Fristentransformation, der internationalen Vernetzung der Banken und der Gefahr von Dominoeffekten nach dem Zusammenbruch einer Bank ergeben. Die Herausbildung von Terminmärkten und modernen Risikosteuerungsmodellen haben vielleicht herkömmliche Risiken reduziert, aber neue geschaffen, indem sie zu viel zu optimistischen Geschäftsstrategien verleiteten.
Nebenbei: Aus der Sicht von Admati/Hellwig folgt, dass die Ausgliederung von Geschäften aus Banken, wie sie unter anderem die Liikanen-Kommission vorgelegt hat (hier ein FAZIT-Artikel zu dem Vorschlag), die eigentlichen Probleme der Bankbranche nicht behandeln – eine ähnliche Position hat kürzlich Raghuram Rajan in einem Interview mit FAZIT vertreten.
Nein, was Banken brauchen, ist eine deutlich höhere Eigenkapitalausstattung, damit im Falle von Schwierigkeiten Steuerzahler oder Zentralbanken nicht einspringen müssen. Die neuen Eigenkapitalregeln, die unter der Bezeichnung „Basel 3″ kursieren, sind aus Sicht von Admati/Hellwig völlig unzureichend; auch dauert ihre Umsetzung viel zu lange. Statt dessen sollten die Banken ihr Eigenkapital so schnell wie möglich deutlich vergrößern, unter anderem, indem sie für eine gewisse Zeit auf die Ausschüttung von Dividenden verzichten und ihre Gewinne vollständig einbehalten. *)
Die Bankenlobby hält Forderungen nach deutlich mehr Eigenkapital gerne ein „Ja, aber” entgegen. Ja: Im Prinzip sei dies ja sinnvoll, weil mehr Eigenkapital die Banken sicherer mache. Aber: Eigenkapital sei viel teurer als Schulden (Fremdkapital), und deshalb führe viel Eigenkapital leider dazu, dass die Banken nicht genügend Kredite vergeben könnten und die gesamte Wirtschaft zu leiden habe. Deshalb sei viel Eigenkapital gesamtwirtschaftlich schädlich und daher doch nicht zu empfehlen.
Man meint bei der Lektüre des Buches geradewegs eine Art Wut zu spüren, die Admati/Hellwig, zwei renommierte Ökonomen (Hellwig ist für seine Arbeiten zur Regulierung von Finanzmärkten 2012 mit dem hoch dotierten Max Planck-Forschungspreis ausgezeichnet worden), angesichts dieses offensichtlichen ökonomischen Unsinns empfinden.
Erstens: Wer sich Industrie- oder Dienstleistungsunternehmen (jenseits der Banken) anschaut, wird dort keine Debatte über die Schädlichkeit von Eigenkapital finden. Es gibt hoch erfolgreiche Unternehmen, die praktisch keine Schulden (Fremdkapital) haben. In den Vereinigten Staaten finanzieren sich die meisten Unternehmen zu mehr als 50 Prozent mit Eigenkapital. Warum sollen ausgerechnet Banken die einzige Branche sein, bei der Eigenkapital schadet, selbst wenn man konzediert, dass die Aufnahme von Fremdkapital Teil des Kerngeschäfts einer Bank darstellt?
Zweitens: Damit verbunden, bestimmt sich der Wert jedes Unternehmens aus seinen Aktiva, aber nicht aus der Art und Weise, wie sie finanziert sind. Diese Erkenntnis läuft in der Kapitalmarkttheorie seit mehr als einem halben Jahrhundert unter der Bezeichnung „Modigliani-Miller-Theorem”, und auch wenn seine Annahmen in der realen Welt nicht komplett zutreffen, gilt doch seine grundsätzliche Aussage.
Drittens: Die Kosten von Eigenkapital und Schulden hängen zum einen von den Risiken ihrer Verwendung ab. Zum zweiten sind die Kosten von Eigenkapital und Fremdkapital miteinander verbunden. Eigenkapital ist deshalb so teuer, weil es in den Banken so knapp und damit sehr risikobehaftet ist. Sobald deutlich mehr Eigenkapital vorhanden ist, müsste es deutlich billiger werden. Die Behauptung der Bankenlobby, ein Mehr an Eigenkapital beschränke automatisch die Möglichkeit rentabler Kreditvergabe, ist schlichtweg unhaltbar – leider glauben aber viele Leute, zum Beispiel in der Politik, diesen Unfug.
Viertens: Die Eigenkapitalrendite als alleiniger Maßstab für den Erfolg einer Bank ist daher vollkommen unangemessen – sie wird gerne verwendet, weil Bonizahlungen an ihr hängen. Wenn der Bonus abhängig ist von der Eigenkapitalrendite, wird eine Bankführung für möglichst wenig Eigenkapital plädieren – die Risiken, wenn es schief geht, werden dann auf die Allgemeinheit abgewälzt.
Fünftens: Systemrelevante Banken profitieren von einer Subventionierung ihres Fremdkapitals. Es existieren recht belastbare Rechnungen, die zeigen, dass die implizite Staatsgarantie für führende Banken diesen Häusern eine Aufnahme von Fremdkapital zu Konditionen erlaubt, die ohne die implizite Staatsgarantie weniger günstig wären.
Sechstens: Die gelegentliche Behauptung der Bankenlobby, viel Eigenkapital sei schädlich, weil es als Reserve unrentabel vorgehalten werden müsse, ist völlig abwegig. Sie beruht aber auf einem allerdings sehr verbreiteten Missverständnis, wonach eine Bank Eigenkapital vermeintlich nur als Reserve für schlechte Zeiten vorhalte – sozusagen in einem Geldspeicher wie Dagobert Duck. Aber das ist einfach falsch: Das Eigenkapital wird wie das Fremdkapital im Geschäftsbetrieb verwendet und – als Beispiel – einer im Besitz einer Bank befindlichen Anleihe ist in der Regel nicht anzusehen, ob sie mit Eigenkapital oder mit Fremdkapital erworben wurde.
Siebstens: Gerne wird auch behauptet, wenn man die Banken reguliere, wandere Geschäft in den kaum regulierten Schattenbankenbereich ab. Admati/Hellwig schütteln nur den Kopf: “The argument that we should not have regulation because banks might evade regulation ist somewhat perverse. It turns the failure to enforce regulation into an argument against having regulation at all.” Die Autoren sind der Ansicht, dass nicht Unfähigkeit, sondern Unwilligkeit zur Regulierung von Banken wesentlich zu der Krise ab 2007 beigetragen habe und dass die Bedeutung der Schattenbanken für die Krise überschätzt würde.
“It is difficult to get a man to understand something, when his salary depends upon his not understanding it!”
Upton Sinclair
Nicht das geringste Verdienst des Buches von Admati/Hellwig besteht in ihrer übersichtlichen Beschreibung des Bankgeschäfts, weil die Banker und ihre Hilfstruppen gerne in Formeln und Fachbegriffen reden und den Eindruck erwecken, sie betrieben ein höchst kompliziertes Gewerbe, das Außenstehenden nicht zugänglich sei. Immerhin ist es den Banken nach Ansicht der beiden Autoren gelungen, einschneidende Regulierungen zu verhindern, unter anderem, weil viele Politiker nicht wirklich konsequent sind. Admati/Hellwig führen den früheren französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy an, der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos öffentlich den populistischen Bankenkritiker gab, in Paris aber nicht konsequent etwas gegen die Fehlentwicklungen im Bankgewerbe unternahm. Solche Vorwürfe ließen sich nicht nur gegen Sarkozy erheben, sondern auch gegen viele andere Politiker.
Nun ist es aber nicht nur Unkenntnis gegenüber dem Finanzgewerbe, das viele Politiker handzahm werden lässt. Admati/Hellwig kommen auch auf die Kumpanei zwischen Banken und Politik zu sprechen. Banken lassen sich für die Staatsfinanzierung mobilisieren, indem man sie „überredet”, in großem Stile Staatsanleihen zu kaufen, für die überdies kein Eigenkapital vorgehalten werden muss. Schaut man auf Deutschland, wird man die Landesbanken zumindest in vergangenen Zeiten fast als eine Art Schattenhaushalt für Bundesländer bezeichnen können.
Schließlich existiert so etwas wie ökonomischer Nationalismus und, damit verbunden, die Förderung “nationaler Champions”. In der Deutschen Bank kokettiert man gerne mit dem Argument, man dürfe ihr als einziger deutscher Bank von Weltgeltung schon alleine angesichts der Exportlastigkeit der deutschen Industrie nicht die Flügel stutzen. Auf europäischer Ebene ist häufig zu hören, angesichts der globalen Strategie amerikanischer Großbanken wie JP Morgan Chase oder der Citigroup und des allmählichen Vordringens großer Banken aus den Schwellenländern dürfe man im Interesse der eigenen Unternehmen nicht alle europäischen Banken auf einen Regionalstatus begrenzen.
Admati/Hellwig haben nichts gegen große Banken an sich. Sie haben etwas gegen große Banken, die ihre Geschäfte im Vertrauen auf ein Sicherheitsnetz durch die Öffentlichkeit betreiben. Politischer Wille wäre in der Lage, die Banken im Interesse der Allgemeinheit sicherer zu machen.
Die wenigsten Bücher verändern die Welt. Aber wenn die Bankenlobby künftig größere Schwierigkeiten besitzen sollte, wirtschaftlichen Unsinn zum eigenen Nutzen zu verbreiten, wird dieses Buch dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet haben.
———————————————————–
Anat Admati/Martin Hellwig: The Bankers’ New Clothes: What’s Wrong with Banking and What to Do about It. Princeton University Press. Woodstock 2013. 392 Seiten. 29,95 Dollar
*) Die im Zweifel durch die Aufsicht angeordnete Einbehaltung von Gewinnen zur Eigenkapitalstärkung wurde schon vor Jahrzehnten von Hyman Minsky vorgeschlagen.
Dieser Beitrag ist in einer kürzeren Version am 18. Februar 2013 im Wirtschaftsteil der F.A.Z. erschienen.
————————————————————
In der FAZIT-Reihe “Bücherkiste sind bisher erschienen:
Bücherkiste (1): Wie uns Ökonomen vom Dunkel ins Licht führen
Bücherkiste (2): Ökonomen für jedermann
Bücherkiste (3): Warum Nationen scheitern
____________________________________________________________________
Das Blog finden Sie unter https://www.faz.net/fazit und auf: