Fazit – das Wirtschaftsblog

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Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Der Mythos vom Exportweltmeister

| 2 Lesermeinungen

Das Getöse um Sieg oder Niederlage im Außenhandel leitet in die Irre: Überschüsse sind nicht immer gut, Defizite nicht immer schlecht. Jedes Land ist wettbewerbsfähig. Der Sonntagsökonom.

Nur wenige Bereiche der Volkswirtschaftslehre bieten so viel Spielraum für Missverständnisse und Fehldeutungen wie die Außenwirtschaft. Das liegt nicht zuletzt daran, dass mit den wirtschaftlichen Beziehungen über Staatsgrenzen hinweg die politische Unterscheidung zwischen „Die“ und „Wir“ an Bedeutung gewinnt. Zwischen „Denen“ und „Uns“ lässt sich sofort ein Konkurrenzverhältnis unterstellen, in dem der eine verliert, was der andere gewinnt. Das jährliche öffentliche Getöse um die „Exportweltmeisterschaft“ oder die politischen Verrenkungen um die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes belegen eindrucksvoll, wie sehr das außenwirtschaftliche Denken in den Kategorien Sieg oder Niederlage verhaftet ist.

© Illustration Alfons Holtgreve 

Bei näherer Betrachtung ist das ganz einfach Unfug. Staatsgrenzen sind das Ergebnis historischer Zufälle und willkürliche Trennlinien des wirtschaftlichen Lebens. Der Handel zwischen einem Deutschen und einem Amerikaner unterscheidet sich im Kern nicht von dem Handel zwischen einem Kölner in Nippes und einem Kölner in Lindenthal. Niemand – vielleicht mit Ausnahme karnevalstrunkener Kölner selbst – käme aber auf die Idee, Nippes und Lindenthal als „Exportweltmeister“ zu analysieren oder einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit zu diagnostizieren, wenn ein Lindenthaler mal in Nippes einkaufen geht oder umgekehrt.

Wer bestimmt das Interesse des Kollektivs?

Anders betrachtet, ist der Außenhandel nicht mehr oder weniger als eine Vielzahl menschlicher Entscheidungen, Güter oder Dienste im Ausland zu kaufen oder an das Ausland zu verkaufen. Wenn in den bevormundenden Wohlfahrtsstaaten die Souveränität der Verbraucher und der Produzenten noch irgendetwas gilt, dann ist der Tausch und Handel von Waren über die Grenzen hinweg in jedem einzelnen Fall ebenso wohlstandsfördernd wie der Tausch und Handel von Waren im Binnenmarkt.

Das aggregierte Ergebnis der individuellen Tauschvorgänge implizit als Niederlage zu werten, weil etwa eine „Exportweltmeisterschaft“ verlorenging, unterstellt die Tauschwünsche des Einzelnen und den Einzelnen selbst den vermuteten Interessen des Kollektivs. Bei diesen Analysen bleibt in besorgniserregender Weise immer die Frage unbeantwortet, wer das Interesse des Kollektivs bestimmt.

Jedes Land ist wettbewerbsfähig

Ähnlich zerfällt bei näherer Betrachtung der Begriff der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes. Ein Land kann seine Wettbewerbsfähigkeit nie verlieren. Die Tauschbeziehungen im internationalen Handel richten sich nach den komparativen Vorteilen der Produzenten eines Landes. Mehr Wohlstand wird in Marktwirtschaften dadurch erlangt, dass jeder sich darauf spezialisiert, was er relativ am besten kann, und so seine besonderen Vorteile ausspielt. Selbst wenn alle Güter in Land A teurer herzustellen wären als in Land B und die Bewohner scheinbar verzweifeln müssten, sind die Produktivitätsnachteile in manchen Wirtschaftsbereichen immer noch etwas weniger groß als in anderen Bereichen. Damit ist der komparative Vorteil da, und Tauschgewinne sind möglich. Außenhandel ist kein Nullsummenspiel und lohnt sich immer für beide Seiten.

Im schlimmsten Fall sorgt eine Abwertung der Währung dafür, dass die komparativen Vorteile sich Bahn brechen. Um die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes kann es nur dann schlecht bestellt sein, wenn wie in Griechenland, Portugal oder Spanien die nominale Abwertung nicht mehr zugelassen wird. Das aber ist ein Fall des Staats-, nicht des Marktversagens.

Besonders drastisch zeigen die außenwirtschaftlichen Irrungen und Wirrungen sich, wenn es um Handelsbilanzsalden geht und die Frage, ob ein Land mehr Waren und Dienstleistungen ausführt als einführt oder umgekehrt. Schon semantisch führt hier alles auf die schiefe Ebene: Ein Überschuss in der Handelsbilanz, also ein Überschuss von Export über Import, klingt sprachlich immer gut. Ein Handelsbilanzdefizit, ein Import größer als der Export, ist dagegen sprachlich negativ belegt und mit dem Klang des Niedergangs verbunden. Mit ökonomischen Inhalten hat das indes rein gar nichts zu tun. Ein Handelsbilanzdefizit kann ausgesprochen positiv sein und ein Überschuss ausgesprochen negativ.

Ein Lob auf Defizite und Überschüsse

Erlebt ein Land wetterbedingt einen Ernteeinbruch und nimmt im Ausland Kredit auf, um seinen Bedarf an Getreide zu decken, resultiert das für sich genommen in einem Handelsbilanzdefizit. Das Defizit ist dann aber nicht schlecht, sondern nur Symptom und zugleich Teil der Lösung des wirtschaftlichen Problems. Auf das Defizit zu fokussieren verschleiert mehr, als dass es hilft, künftigen Ernteeinbrüchen vorzubeugen.

Analog ist ein Handelsbilanzüberschuss nicht mit einer positiven Entwicklung oder einem besonderen Erfolg gleichzusetzen. Um das zu erkennen, muss man sich vor Augen führen, dass  in leicht vereinfachter Betrachtung  ein Handelsbilanzüberschuss immer mit einem Nettokapitalexport einhergeht.

Das ist einfach zu verstehen, wenn man sich den Außenhandel am Beispiel der Nachbarn Fritz und Paul klar- macht. Baut Fritz seinem Nachbarn Paul ein Vogelhaus und stellt es in dessen Vorgarten auf, ist das vergleichbar einem Export auf das Nachbargrundstück. Streicht Paul im Gegenzug den Gartenzaun von Fritz, ist die Handelsbilanz zwischen beiden ausgeglichen. Nun ist Paul aber gerade sehr beschäftigt und hat keine Zeit, den Gartenzaun zu streichen. Fritz könnte sagen: „Mach das mal später, ich baue dir das Vogelhaus dennoch.“ Dann geht Fritz in Vorleistung und baut einen Handelsbilanzüberschuss gegenüber Paul auf. Er gibt Paul einen Kredit, in der Erwartung, dass dieser ihn später mit dem Streichen des Gartenzauns begleicht. Ein Handelsbilanzüberschuss ist so notwendigerweise mit einem Kredit verbunden. Ein Kredit ist aber nichts anderes als ein Kapitalexport: Kapital ist ein Anspruch auf künftige Rückzahlung, idealerweise mit Zinsen.

Ein Land, dem mangels guter Investitionsmöglichkeiten oder angesichts politischer Unsicherheit die Kapitalanleger weglaufen, hat notwendigerweise einen Handelsbilanzüberschuss. Niemand wird das freilich als positive Entwicklung werten wollen. Auch hier ist der Handelsbilanzsaldo nur ein Symptom und verschleiert das Problem. Fokussiert die Politik auf die Außenhandelsbilanz, läuft sie in die Irre. Oder in den Worten von Adam Smith: „Nichts ist absurder als diese ganze Doktrin von der Handelsbilanz.“

Adam Smith (1776): The Wealth of Nations.
David Ricardo (1817): The Principles of Political Economy and Taxation.

Der Beitrag erschien als “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung am 7. Juli. Die Illustration stammt von Alfons Holtgreve.

 

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2 Lesermeinungen

  1. dspeth sagt:

    Die Menschen sind nun mal in Nationalstaaten organisiert, jeder mit Haushalt und eigener Währung
    Das ist die Vorgabe seit Gründung der UNO im Jahre 1945, und die UNO hat inzwischen 194 Mitglieder. Jeder dieser Nationalstaaten hat einen eigenen Haushalt. Der Haushalt ist Ausdruck von Demokratie, Autonomie und Rechtsstaat. Er wird in der jeweiligen nationalen Währung aufgestellt. Wie diese Währungen sich zueinander verhalten, regelt der UNO-Zwilling IWF. Wie der Außenhandel dieser Länder sich zueinander verhält, regelt der UNO-Drilling WTO. Dieser berichtet jedes Jahr über das Null-Summen-Spiel seiner Mitglieder. Denn die Summe der Leistungsbilanzüberschüsse entspricht der Summe der Leistungsbilanzdefizite. Die hiermit zwangsläufig verbundenen internationalen Kreditgewährungen und Kreditnahmen werden vom IWF sorgfältig registriert und betreut. Treten Klemmen ein, hilft der IWF mit Krediten. Wo strukturelle Anpassungen nötig sind, hilft der IWF ebenfalls und arrangiert auch Abwertungen nationaler Währungen, die sehr viel häufiger sind als Aufwertungen. Warum all das? Weil menschliches Zusammenleben klar definierte und abgegrenzte Verantwortlichkeiten braucht. Verbrauchen die Bürger des Staates A mehr als sie produzieren, so haben sie einen Importüberhang, müssen also in entsprechendem Umfang im Ausland Kredit aufnehmen. Setzt sich das übrige Jahre hinweg fort, werden die von den ausländischen Kreditgläubigern geforderten Zinsen steigen. Der Stadt A wird entweder seine Exporte erhöhen oder seine Importe mindern. Wenn nicht anders möglich, geschieht das unter Zuhilfenahme einer Abwertung seiner nationalen Währung. Der internationalen Ordnung des IWF entspricht im Prinzip die nationale Ordnung der Konvertibilität: Ein Staat kann seiner Nationalbank nicht erlauben, den Bürgern fremde Valuta gegen nationale Währung zu verkaufen, wenn der Staat im Außenhandel strukturell im Defizit ist. Diese ehernen Grundsätzen, die der Welt jahrzehntelang wohlgetan haben, sind allerdings durch zwei grundsätzliche politische Tendenzen verbwässert worden. Die eine ist die weltweite Deregulierung der Finanzmärkte. So konnten diese sich von den zugehörigen Realwirtschaften abkoppeln und ein Eigenleben beginnen, das
    in den seit der Lehman-Pleite offengelegten Risiken nur noch durch Intervention von Steuerzahlern beherrscht werden kann – eine offensichtliche Verhöhnung von Rechtsstaat, Autonomie und Eigenständigkeit. Die andere politische Tendenz ist die Schaffung des Euro. Hier wird so getan, als könne politischer Wille fehlende realwirtschaftliche Kongruenz ersetzen. Das ist natürlich Unfug. Also haben wir Deutschen letztes Jahr einen Leistungsbilanzüberschuss von 170 Milliarden Euro bei der EZB abgeliefert, damit diese daraus die Defizite anderer Euro-Brüder bezahlen konnte. Uns Deutschen ist nur eine Forderung der Bundesbank gegen die EZB verblieben, genannt Target2. Früher buchte die Bundesbank an dieser Stelle ihrer Bilanz “Gold und Forderungen an das Ausland.” Denn die aus einem Leistungsbilanzüberschuss resultierenden Ansprüche haben denselben Charakter wie Gold: Der zukünftige Käufer hat im Voraus bezahlt. So bleibt als Summe zu fixieren, dass Deutschland sich sowohl durch Deregulierung als auch durch Euro verschlechtert hat. Das ist in Zahlen nachzulesen bei der Weltbank. Hier werden wir mit unserem Pro-Kopf-Einkommen nur noch als Nummer 21 geführt – früher lagen wir in der Spitzengruppe. Damit kein Irrtum aufkommt: Für zukünftige Risiken sind keine nennenswerten Reserven vorhanden. Sie schlagen voll auf den Haushalt durch. Die Autonomie des Deutschen Bundestages in Sachen Haushalt steht nur auf dem Papier.

  2. rum sagt:

    Normal ist Gleichgewicht. Ungleichgewicht bedeutet Kredit, was gut oder schlecht sein kann.
    Tolle Entdeckung, Herr Welter! Vor einigen Jahren, so weit ich mich erinnere, vertraten Sie die Idee, Exportüberschuss sei unbedingt gut.

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