Raghuram Rajan hat dieser Tage an der Goethe-Universität in Frankfurt den “Deutsche Bank Prize in Financial Economics” *) verliehen bekommen. In seiner Festansprache befasste sich der langjährige Chicago-Professor (und ehemalige IWF-Chefökonom) und nunmehrige Präsident der Reserve Bank of India mit der Theorie und Praxis der Geldpolitik. Rajan **) sprach in seiner “Unconventional Monetary Policy after the Crises” genannten Rede ausdrücklich noch in seiner Eigenschaft als Ökonom und noch nicht in seiner Eigenschaft als Geldpolitiker. Wir dokumentieren seinen Vortrag in Thesen.
1. Wir haben vor der Krise in den Industrienationen eine schuldengetriebene Politik zur Steigerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage gesehen, mit der die als unbefriedigend angesehenen Raten des wirtschaftlichen Wachstums gesteigert werden sollten. Tatsächlich aber wären zur Steigerung des Wirtschaftswachstums oft Strukturreformen notwendig gewesen. Man soll die Entwicklung in den Jahren vor der Krise, darunter die gewachsene Bedeutung des Finanzsektors, nicht vollkommen verdammen. Grundsätzlich sei vieles an dieser Entwicklung gut gewesen, man habe aber – gerade in der Bildung von Schulden – übertrieben.
2. In der Krise haben sich die Notenbanken aber sehr gut verhalten, indem sie durch aktives Eingreifen verhindert haben, dass die Wirtschaft in eine tiefe Depression und Deflation fällt wie in den dreißiger Jahren des 20.Jahrhunderts. In diesem Sinne gilt Rajans Satz: “Geldpolitiker sind verdientermaßen Helden.” Zu den Notenbankmaßnahmen, die Rajan in diesem Zusammenhang in einer Grafik zeigte, gehören auch die langfristigen Geldmarktgeschäfte (LTRO) und das Anleihekaufprogramm der EZB (OMT). ***)
3. Das Problem besteht laut Rajan darin, dass nun – nach der heißen Phase der Krise – zu viel von der Geldpolitik erwartet wird. Sie soll durch Nachfragepolitik für mehr Wirtschaftswachstum sorgen, aber man vernachlässigt darüber, dass nicht zuletzt Strukturprobleme ein höheres Wirtschaftswachstum verhindern.
4. Da die Geldpolitik vielerorts die Nullzinsgrenze erreicht hat, versucht man, durch unkonventionelle Maßnahmen wie Anleihenkäufe die Geldpolitik weiter zu lockern. Rajan fragt: Auf welche Theorie stützt sich eigentlich eine solche Politik? Offensichtlich sollen die Menschen angeleitet werden, wie “betrunkene Seemänner” zu konsumieren.
5. Nur, wer kann mehr konsumieren? Die hoch verschuldeten Privathaushalte können es nicht. Nun, dann können es die Privathaushalte, die nicht verschuldet sind. So argumentiert ein Paper von Eggertsson/Krugman. ****) Rajan wendet ein: Viele Menschen haben feste Sparziele, zum Beispiel im Blick auf ihre Altersvorsorge. Diese Menschen konsumieren bei sinkenden Zinsen nicht mehr, stattdessen haben sie einen Anreiz, mehr zu sparen.
6. Ist der Zins – und damit die Geldpolitik – nicht ein viel zu grobes Schwert? Untersuchungen zeigen, dass Überschuldung von Konsumenten in einer Wirtschaft kein gleichmäßig verteiltes Phänomen ist. Es gibt sie in den Vereinigten Staaten in einzelnen Regionen, in anderen weniger. Sie befällt vor allem die untere Mittelklasse, aber in geringerem Maße andere Bevölkerungsschichten. In Europa ist die Peripherie im Schnitt höher verschuldet als der Kern. Wäre in einer solchen Situation eine zielgerichtete expansive Finanzpolitik nicht wirksamer als eine breitflächig eingesetzte Geldpolitik?
7. Ein in jüngster Zeit stark betontes Problem niedriger Notenbankzinsen ist der sogenannte “Risiko-Kanal” der Geldpolitik. (Dazu gibt es mittlerweile eine sehr umfangreiche Literatur, ein früher wichtiger Beitrag stammt von Borio/Zhu). Niedrige Zinsen veranlassen Finanzunternehmen, auf der Suche nach attraktiven Renditen mehr Risiken einzugehen. Dies ist für sich genommen noch kein Problem, wird aber ein Problem, wenn die Risiken zu hoch und damit systemgefährdend werden. Rajan warnt in diesem Zusammenhang davor, in der Risikokontrolle zu große Erwartungen in die sogenannte makroprudentielle Politik zu setzen.
8. Im Ergebnis werden Strukturreformen verschleppt, weil die Regierungen auf die Geldpolitik setzen: “The central bank is the only game in town.” Der Exit aus der lockeren Geldpolitik wird durch die fortdauernde Überschuldung erschwert. Notwendig ist aus Rajans Sicht eine vorsichtige Kommunikation der Notenbank, denn “der Exit aus der lockeren Geldpolitik wird abrupter vonstatten gehen als der Eintritt in die lockere Geldpolitik.”
9. Rajan kommt angesichts dieser Überlegungen zu dem Schluss: Wir brauchen bessere Theorien.
10. Mit Blick auf die Lage in den Schwellenländern thematisiert der Inder die grenzüberschreitenden Wirkungen (“spill-overs”) der Geldpolitik in den großen Industrienationen, die unter anderem Vermögenspreise in Schwellenländern beeinflusst. Wie sollen Schwellenländer reagieren? Rajan meint, dass antizyklische Finanzpolitik theoretisch naheliege, man müsse aber auch die politische Ökonomie sehen: Wenn die Wirtschaft boomt, tritt keine Regierung gerne auf die Bremse. Stattdessen bestehe eine Neigung, prozylische Politik zu betreiben.
11. Ratschläge an die Schwellenländer, sie sollten gefälligst ihre eigenen Häuser in Ordnung bringen, kommentiert Rajan kopfschüttelnd: Diese Vorschläge hätten die ökonomische Logik auf ihrer Seite, seien aber politisch schwer umsetzbar. Stattdessen würden Schwellenländer durch solche Krisen veranlasst, Währungsreserven zu bilden und exportorientierte Strategien zu verfolgen. Die Frage sei aber, ob die Industrieländer als Abnehmer von mehr Gütern und mehr Kapital aus Schwellenländern bereit und fähig seien, ihre Verschuldung noch weiter zu erhöhen.
12. Daher schließt Rajan: Der Zyklus von Boom und Bust muss global gebrochen werden – was eine stärkere internationale Zusammenarbeit in der Geldpolitik und der Finanzmarktregulierung notwendig macht. (Ausgearbeitet ist diese Position in einem Paper von Brunnermeier, Rajan, Shin & Co., das wir in der F.A.Z. und in FAZIT behandelt haben.) Ganz wichtig ist hier: Angesichts der sehr großen internationalen Kapitalströme und den damit verbundenen realwirtschaftlich oft nicht begründbaren Ausschlägen der Wechselkurse (“Overshooting”) sieht Rajan in einem System flexibler Wechselkurse keine ausreichende Sicherung gegen die Nachteile der internationalen Verbreitung der Fed-Geldpolitik. Daher braucht es Kooperation.
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*) Der Preis wird seit dem Jahr 2005 alle zwei Jahre von der Deutschen Bank in Verbindung mit dem in Frankfurt ansässigen Center for Financial Studies vergeben. Die Laudatio hielt Rajans wichtigster Lehrer und Mentor, Douglas Diamond (University of Chicago Booth School), der als einer der Väter der modernen Theorie der Bank gilt. Vorträge im Rahmen eines anschließenden Symposiums über das aktuelle Thema “Liquidity and Monetary Policy” hielten Markus Brunnermeier (Princeton University), Viral Acharya (New York University) und Luigi Zingales (University of Chicago Booth School). An einer “Policy Session” waren Vitor Constantio (EZB), Otmar Issing (Center for Financial Studies) und Jeremy Stein (Federal Reserve Board) beteiligt.
**) Rajan ist in FAZIT schon früher prominent erwähnt worden, zum Beispiel hier und hier und hier.
***) Zum OMT, über das bald vom Bundesverfassungsgericht geurteilt wird, gibt es ein aktuelles Arbeitspapier von Adalbert Winkler (Frankfurt School). Darin vertritt Winkler die Auffassung, dass die Argumente der OMT-Gegner letztlich darauf hinauslaufen, eine 150 Jahre alte Tradition der Geldpolitik beseitigen zu wollen mit der Gefahr der Erzeugung erheblicher Turbulenzen an den Finanzmärkten.
****) Rajan und Krugman sind sich nicht gerade in Freundschaft verbunden. Krugman hat in seinem Blog mehrfach sinngemäß die Ansicht vertreten, dass Rajan nichts von Makroökonomik und Geldpolitik verstehe, während Rajan vor kurzer Zeit in einem aufsehenerregenden Aufsatz Krugman als “paranoid” bezeichnet hat.