Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Nimmt die IT uns die Arbeit weg?

 

… (t)he venture capitalist Marc Andreessen says: “The spread of computers and the Internet will put jobs in two categories: People who tell computers what to do, and people who are told by computers what to do.” Only one of these two job categories will be well paid.
Erik Brynjolfsson/Andrew McAfee

 

Am Anfang steht eine Grafik. Sie zeigt die Situation in den Vereinigten Staaten, aber die in diesem Beitrag behandelten Zusammenhänge sind auch für Deutschland und Europa von erheblicher Bedeutung.

© Quelle: BernsteinWie Beschäftigung und Produktivität auseinander laufen…

Die Grafik zeichnet für die Vereinigten Staaten die Entwicklung von Produktivität und privater Beschäftigung seit der frühen Nachkriegszeit nach. Beide Größen sind lange parallel gelaufen. Die Produktivität ist fast stets gestiegen, wenn auch nicht immer mit einer identischen Rate. In den siebziger und frühen achtziger Jahren stieg sie unterdurchschnittlich; aber seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ist ein überdurchschnittlich starkes Wachstum festzustellen.

Auch die private Beschäftigung ist im Trend gestiegen, aber seit dem Jahr 2000 laufen Produktivitätsentwicklung und Beschäftigung auseinander; bildlich gesprochen öffnet sich eine Schere. Das Problem am Arbeitsmarkt ist zweierlei: Die amerikanische Wirtschaft schafft weniger dynamisch Arbeitsplätze als früher (gemessen an Kennzahlen wie dem Verhältnis von Arbeitsplätzen und Bevölkerung) und viele derjenigen, die Arbeit haben, leiden unter einer schwachen Lohnentwicklung. Inflationsbereinigt haben amerikanische Haushalte heute im Durchschnitt ein geringeres Einkommen als im Jahr 1997.

Das hat eine Reihe von Konsequenzen. Der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt der Vereinigten Staaten befindet sich auf einem historischen Tiefststand. Die Einkommensverteilung ist sehr viel ungleicher geworden, wie unter anderem Arbeiten von Thomas Piketty und Emmanuel Saez zeigen (Ein FAZIT-Beitrag hierzu ist hier.)

Aber wie lässt sich diese Entwicklung begründen? Die MIT-Ökonomen Erik Brynjulfsson und Andrew McAfee sagen: Es liegt vor allem an der wachsenden Verbreitung der Informationstechnologie (IT), bei der, vereinfacht ausgedrückt, immer produktivere Güter und Dienstleistungen immer günstiger angeboten werden. (Hier ist ein aktuelles Buch der beiden Autoren, hier ein etwas älteres und hier eine Rezension.) *)

Was das für die Beschäftigung bedeutet, ist klar: Wenn der Produktionsfaktor Kapital immer reichlicher und billiger zur Verfügung steht, hat dies Folgen für den Produktionsfaktor Arbeit. Entweder wird die Arbeit in einer Industrienation wie den Vereinigten Staaten so wenig wettbewerbsfähig gegenüber dem Kapital, dass sie ganz wegfällt (oder in andere Länder verlagert wird). Oder aber Arbeit kann wettbewerbsfähig gestaltet werden, indem sie billiger wird. Die wenig dynamische Schaffung von Arbeitsplätzen sowie die Lohnentwicklung sprechen dafür, dass in den Vereinigten Staaten beide Einflüsse eine Rolle spielen.

In dieser Literatur finden sich Ausdrücke wie “das zweite Maschinenzeitalter” **) oder “Rennen gegen die Maschine”, aber es wäre völlig falsch, Brynjolfsson/McAfee unter die Zivilisationspessimisten oder die Anhänger der These einer langfristigen wirtschaftlichen Stagnation wie Larry Summers einzureihen. Im Gegenteil: Sie sehen in den erheblichen Produktivitätsgewinnen aus der IT einen hervorragenden Beitrag für ein künftiges Wirtschaftswachstum. ***) Aber Arbeitsplätze müssen nicht zuletzt in anderen Branchen entstehen.

Die Effekte des “zweiten Maschinenzeitalters” erklären die beiden Autoren sehr schön an einem Vergleich von Kodak und von Instagram. Das Unternehmen Instagram, das eine verbreitete Foto-App herstellt, wurde von Facebook für eine Milliarde Dollar gekauft. Kurz danach ging der traditionelle Fotoapparatehersteller Kodak in Insolvenz. Nach den Berechnungen der beiden Autoren beschäftigte Kodak zu seiner Glanzzeit 145.000 Mitarbeiter; Facebook/Instagram kommen auf rund 4600. Aber Kodak war an der Börse nie auch nur annähernd so hoch bewertet wie Facebook, das 7 Personen zu Milliardären gemacht hat – und jeder von ihnen ist deutlich reicher, als es Kodak-Chef George Eastman jemals war.

Die Botschaft ist eindeutig: Gegenüber dem “ersten Maschinenzeitalter”, für das Kodak steht, zeichnet sich das “zweite Maschinenzeitalter”, für das Facebook/Instagram stehen, durch weitaus weniger Mitarbeiter, aber eine höhere Wertschöpfung zugunsten einer geringeren Zahl von Mitarbeitern/Aktionären aus, die zu einer sehr viel ungleicheren Verteilung führt.

Die Geschichte von Brynjolfsson/McAfee klingt sehr plausibel. Der Zusammenhang zwischen der Ausbreitung der IT und dem Wachstum der Produktivität ist aber möglicherweise nicht ganz eindeutig. So liegt eine aktuelle Arbeit einer Gruppe von Ökonomen (darunter Daron Acemoglu) vor, die empirisch vorgegangen sind. Ihre Arbeit bestätigt – von ihnen zugestanden – einerseits die alte Erkenntnis, dass die Messung gesamtwirtschaftlicher oder sektoraler Produktivitätskennziffern schwierig ist und die Ergebnisse vorsichtig behandelt werden sollten. Zum zweiten haben sie getrennt voneinander untersucht, wie die Produktivitätsentwicklung in der IT-Industrie und im verarbeitenden Gewerbe, dass IT-Produkte verwendet, verlaufen ist. Die Ergebnisse sind differenziert, aber nur eingeschränkt im Einklang mit der These von Brynjolfsson/McAfee. So kommen die Autoren unter anderem zu dem Schluss, dass man positive Effekte von IT auf die Produktivität früher als die beiden MIT-Ökonomen annehmen, hätte sehen müssen – also etwa zu der Zeit, als Robert Solow nach ihnen suchte. ****)

Die These ist nicht gewagt: Das Thema Produktivität in hoch entwickelten Industrienationen bleibt aktuell und wird noch viele Arbeiten generieren.

 

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*) Es gibt auch andere Erklärungen für die ungleicher werdende Verteilung. In der oben erwähnten Arbeiten von Piketty/Saez werden unter anderem die Steuerpolitik seit den achtziger Jahren sowie die Aneignung substantieller Teile des BIP durch mit der Politik verbündete Intreressengruppen (“rent seeking”) genannt. Das “rent seeking” lässt sich auch als ein Symptom für eine nachlassende Qualität von Institutionen interpretieren; ein zum Beispiel aus Arbeiten von Acemoglu/Robinson bekanntes Thema. (Darüber informieren mehrere FAZIT-Beiträge, zum Beispiel hier).

**) Mit dem ersten Maschinenzeitalter wird die Industrielle Revolution verbunden, die sich im 19. Jahrhundert ausbreitete. Johann Wolfgang von Goethe schrieb im Jahre 1829: “Das überhandnehmende Maschinenwesen quält und ängstigt mich, es wälzt sich heran wie ein Gewitter; langsam, langsam: aber es hat seine Richtung genommen, es wird kommen und treffen.”

***) Damit bieten die Autoren auch eine Lösung für das berühmte “Solow-Paradoxon”. Der amerikanische Nobelpreisträger Robert Solow hatte im Jahre 1987 in einem Zeitschriftenbeitrag die seitdem oft zitierte Beobachtung beschrieben, nachdem man nahezu überall Computer sehen könne – in Büros, in Fabriken, zu Hause -, aber nur in den Produktivitätsstatistiken nicht. Die Antwort von Brynjolfsson/McAfee lautet: Man kann die Produktivitätsgewinne des Computers sehr wohl in den Statistiken sehen, aber erst richtig seit den späten neunziger Jahren.

****) Womit das berühmte “Solow-Paradoxon” – beschrieben in ***) – vielleicht doch noch nicht geklärt wäre…