Im Jahre 1989 verschrieb sich die Reserve Bank of New Zealand dem Konzept der direkten Inflationssteuerung. In der Folge adaptierten viele Zentralbanken dieses Konzept. Das “Inflation Targeting” hat zum Rückgang der Inflationsraten beigetragen, aber seine Vernachlässigung der Finanzmärkte hat sich als eine empfindliche Schwäche erwiesen.
“Despite a common perception, most central bankers have a Keynesian streak.”
Arthur Grimes
Im Gesetz über die Reserve Bank of New Zealand aus dem Jahre 1989 heißt es: “The primary function of the Bank is to formulate and implement monetary policy directed to the economic objective of achieving and maintaining stability in the general level of prices.” So war eine klare Ausrichtung der Geldpolitik auf das Ziel der Preisniveaustabilität festgelegt. Damit stand man in Neuseeland nicht alleine, aber neu war die Ankündigung eines langfristigen Zielkorridors für die Inflationsrate.
Wie kam es zu dieser Pioniertat? Erklärbar war die Lösung aus der damaligen Zeit.
1. Das Vertrauen in monetaristische Geldmengenpolitik war Ende der achtziger Jahre erschüttert. Sie wurde zwar offiziell noch in Deutschland und der Schweiz betrieben, aber in den englischsprachigen Ländern hatte man sich wegen der durch Finanzinnovationen bedingten Instabilität der Geldnachfrage davon verabschiedet.
2. Übernommen hatte man von den Monetaristen allerdings deren Misstrauen in eine langfristig inverse Beziehung zwischen Inflation und Arbeitslosigkeit (Phillips-Kurve). Daraus folgte die Ausrichtung auf die Preisniveaustabilität als einzigem Ziel der Geldpolitik.
3. Im Einklang mit der damals modernen Literatur über die erhebliche Rolle von Erwartungen für das Verhalten von Konsumenten und Produzenten und die Vorzüge einer regelgebundenen gegenüber einer kurzatmigen Geldpolitik 1) wurde beschlossen, durch die Ankündigung eines mittelfristigen Inflationsziels die Erwartungen des Privatsektors zu stabilisieren und die Geldpolitik auf eine glaubwürdige Strategie zu verpflichten.
4. Für die direkte Steuerung der Inflationsrate entschied man sich, weil man kein Vertrauen in das seinerzeit in der Wissenschaft diskutierte Konzept einer Steuerung des Bruttoinlandsprodukts durch die Zentralbank besaß. Dieses Konzept wird seit wenigen Jahren unter der Bezeichnung “Marktmonetarismus” wieder diskutiert, aber in den Mainstream ist es auch heute nicht vorgedrungen.
Nach 1989 breitete sich das “Inflation Targeting” in Industrie- und Schwellenländern aus. Eine Untersuchung aus dem Jahre 2012 nennt 28 Staaten, in denen dieses Konzept einigermaßen originalgetreu angewendet wird. Daneben gibt es weitere Länder, deren Geldpolitik zumindest am Rande von der direkten Inflationssteuerung beeinflusst wird. Die EZB hat sich dem “Inflation Targeting” allerdings niemals verschrieben.
Der Gouverneur der Reserve Bank of New Zealand, Graeme Wheeler, hat dieser Tage in einem Vortrag die Erfahrungen mit der direkten Inflationssteuerung beschrieben. Sie sind überwiegend positiv:
1. Die Inflationsrate ist niedrig und hat das langfristige Wachstumspotential der Wirtschaft nicht geschmälert.
2. Stabile und niedrige Inflationserwartungen steigern die Effizienz der Geldpolitik.
3. Die langfristige Entwicklung des realen Wechselkurses wird von der Geldpolitik nicht beeinflusst.
4. Geldpolitik ist nicht allmächtig: Man braucht auch eine angemessene Struktur- und Finanzpolitik.
5. Die Unabhängigkeit der Geldpolitik erfordert ein hohes Maß an Transparenz.
6. Geldpolitik bedarf einer Ergänzung durch eine gute Regulierungspolitik für den Finanzsektor.
Mit der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise ist das “Inflation Targeting” in die Kritik geraten, weil es blind für Entwicklungen an den Finanzmärkten ist. Eine Bestandsaufnahme unter Beteiligung zahlreicher Fachleute fand im vergangenen Jahr statt, über die wir in FAZIT ausführlich berichtet hatten. Die Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern sind noch nicht beendet und finden derzeit unter anderem mit Blick auf die Lage in Schweden statt. Auch wenn die Verdienste des “Inflation Targeting” für die Bekämpfung der Güterpreisinflation unstreitig sind, erscheint eine geldpolitische Strategie, die Entwicklungen an Finanzmärkten ausblendet, wenig zukunftsträchtig. Leider liegt eine theoretisch sattelfeste moderne geldpolitische Strategie heute noch nicht vor.
———————————————————————————————————————-
1) Im Jahre 1983 wurde das für die Regelbindung der Geldpolitik damals sehr einflussreiche Barro/Gordon-Modell veröffentlicht, das wiederum auf einer Arbeit von Kydland/Prescott aufbaute.