Fazit – das Wirtschaftsblog

Fazit - das Wirtschaftsblog

Für alle, die’s genau wissen wollen: In diesem Blog blicken wir tiefer in Börsen und andere Märkte - meist mit wissenschaftlicher Hilfe

Geldpolitische Normalität gibt es überhaupt nicht

Die Fed denkt über die erste Leitzinserhöhung seit vielen Jahren nach. Manche Beobachter sehen darin einen ersten Schritt zurück zu einer geldpolitischen Normalität. Das ist leider nicht mehr als eine historische Verklärung, sagen zwei Ökonomen auf der Konferenz von Jackson Hole. Auch früher hat es nach ihrer Ansicht keine normalen Zeiten in der Geldpolitik gegeben.

Die meisten Menschen akzeptieren gewöhnlich, dass es im Leben keinen Weg zurück in die Vergangenheit gibt. In der Betrachtung der Geldpolitik ist es anders; dort findet man immer wieder Stimmen, die meinen, man könne in eine Vergangenheit zurück, in der sich die Geldpolitik an einfachen und nachvollziehbaren Regeln ausgerichtet hat und in der die Welt mehr oder weniger in Ordnung war. Die Ökonomen Jon Faust und Eric M. Leeper haben in einer auf der geldpolitischen Tagung von Jackson Hole präsentierten Arbeit darauf verwiesen, dass die Welt früher auch nicht immer in Ordnung war und die der Wirtschaft eigene Dynamik dafür sorgte, dass eine konsequente Ausrichtung der Geldpolitik an einfachen Regeln auch zu Problemen führte. Faust und Leeper, die dies nicht für eine neue Erkenntnis halten, zeigen dies anhand der amerikanischen Geldgeschichte seit dem Jahr 1850. Eine ähnliche Analyse ließe sich aber auch für die geldpolitischen Verhältnisse in Deutschland, der Schweiz oder anderer Länder erbringen.

Geldpolitik soll transparent sein, keine Verunsicherung schaffen, die Stabilität des Güterpreisniveaus garantieren und sich am besten an einfachen und langfristigen Regeln orientieren. Darin würden heute Anhänger unterschiedlicher ökonomischer Schulen übereinstimmen. Faust und Leeper nennen als Beispiele zwei einfache Regeln:

Milton Friedmans Geldmengenregel, nach der die Geldpolitik eine Geldmenge steuern sollte. Im Grundsatz, wenn auch nicht präzise nach dem Modell Friedmans, hat die Deutsche Bundesbank eine solche Politik während eines Vierteljahrhunderts betrieben. Geldmengenpolitik ist allerdings außer Mode gekommen.

– Statt dessen haben sich viele Zentralbanken einer Strategie verschrieben, bei der sie nicht die Geldmenge, sondern den Leitzins so beeinflussen wollen, dass der Geldwert stabil bleibt. Der Zins wird gesetzt mit Blick auf die erwartete Inflationsrate und das erwartete Wirtschaftswachstum. Ein Beispiel ist die von dem Ökonomen John Taylor stammende Taylor-Regel.

Werden beide Regeln konsequent angewendet, muss die Geldpolitik nur wenige ökonomische Größen im Auge behalten. Tatsächlich aber geschehen in einer Volkswirtschaft viele Dinge, die nicht in den für die Festlegung der Geldpolitik nach einfachen Regeln notwendigen Datensätzen erscheinen, zum Beispiel Veränderungen von Wechselkursen oder Risikoprämien an Finanzmärkten. Nun beruhen ökonomische Modelle immer auf Vereinfachungen, aber einfache Regeln für die Geldpolitik machen es sich manchmal sehr leicht. Ein Beispiel: Weder in der Geldmengenregel noch in der Taylor-Regel wird die Verschuldung einzelner Sektoren beachtet. Nun haben sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur Staaten hoch verschuldet, sondern auch Privatpersonen, wie die nachfolgende Grafik für die Vereinigten Staaten zeigt. Diese Verschuldung hat sich überwiegend in den Jahrzehnten vor der Finanzkrise aufgebaut, also in einer Zeit angeblicher geldpolitischer Normalität. Wäre es – im Nachhinein ist man immer schlauer – nicht schlecht gewesen, die Geldpolitik hätte schon in den Jahrzehnten vor der Finanzkrise die präzise Entwicklung der Verschuldung auf dem Radar gehabt? Dass die Modelle der vergangenen zwei Jahrzehnte blind für die Entwicklung im Finanzsektor waren, ist eine heute sehr verbreitete Kritik.

Verschuldung in Relation zum verfügbaren Einkommen: Quelle: Faust/Leeper (2015)Verschuldung in Relation zum verfügbaren Einkommen: Quelle: Faust/Leeper (2015)

Aber auch schon vor der Krise haben selbst sehr angesehene Zentralbanken sich nicht immer an Regeln gehalten. Die Deutsche Bundesbank hat im Durchschnitt in jedem zweiten Jahr ihr Geldmengenziel verfehlt und es hat weder ihrer Reputation noch der Reputation der D-Mark geschadet. Man kann zeigen, dass die Bundesbank Geldmengenziele vor allem dann verfehlt hat, wenn starke Wechselkursbewegungen beobachtet wurden. Das heißt: In der Praxis hat die Bundesbank neben der Geldmenge auch andere wirtschaftliche Größen im Auge gehabt – und dass die Zentralbank eines sehr stark mit der Außenwirtschaft verflochtenen Landes auch auf den Wechselkurs schaut, ist keine wirkliche Überraschung.

Wohlgemerkt: Aus einer realitätsnäheren und weniger verklärenden Betrachtung der Vergangenheit lässt sich kein Argument gegen geldpolitische Regeln an sich ableiten; die grundsätzlichen Argumente für Regeln sind durchaus überzeugend. Aber gerade wer für sehr einfache Regeln eintritt, muss wissen, dass diese nicht immer stur angewendet werden dürfen, sondern dass zur Vermeidung schwerer Krisen Zentralbanken hin und wieder kurzfristige Handlungsfreiheit benötigen. Auch das ist keine neue Erkenntnis. Sie wurde früher keineswegs nur von keynesianischen Kritikern Milton Friedmans vertreten, sondern auch von einem Erzliberalen wie Friedrich von Hayek:

“I wish I could share the confidence of my friend Milton Friedman who thinks that one could deprive the monetary authorities, in order to prevent the abuse of their powers for political purposes, of all discretionary powers by prescribing the amount of money they may and should add to circulation in any one year. It seems to me that he regards this as practicable because he has become used for statistical purposes to draw a sharp distinction between what is to be regarded as money and what is not. This distinction does not exist in the real world. I believe that, to ensure the convertibility of all kinds of near-money into real money, which is necessary if we are to avoid severe liquidity crises or panics, the monetary authorities must be given some discretion. ” Friedrich von Hayek (1975)

 

Wie sollte Geldpolitik künftig betrieben werden? Faust und Leeper sehen keine einfach Antwort auf diese Frage: “Our only robust advice at this point is that we should stop looking for simple and straightforward solutions to the challenges that monetary policy poses.” Eines aber stehe fest. Eine Rückkehr zu einer einfach strukturierten und gleichzeitig gut funktionierenden Geldpolitik werde es nicht geben, denn eine solche Politik habe es ohne Friktionen auch früher nicht gegeben.

———————————————————-

Neues aus Jackson Hole 2015 (1): Wo blieb eigentlich die Deflation?