Seriöse Ökonomik ist die Beschäftigung mit Modellen. Aber es gibt viele Modelle und nicht das Modell – und welches das richtige ist, entscheidet der Kontext. Das sind die Kernthesen von Dani Rodriks neuem Buch. Der Harvard-Ökonom beschreibt, was Ökonomen können, wo sie sich überschätzen und warum sich Kritiker mit der Forderung nach Methodenvielfalt irren. Rodrik ist ein interner Kritiker seiner Zunft, kein externer Revoluzzer.

“History has not been kind to theorists who claimed to have discovered the universal laws of capitalism. Unlike nature, capitalism is a human, and therefore malleable, construction.” (Dani Rodrik)
Wer sich für ökonomische Fragen interessiert und in den kommenden Monaten nur ein Buch lesen will, sollte an diesem Werk nicht vorüber gehen. Dani Rodrik beschreibt in seinem neuen Buch, wie moderne Ökonomen arbeiten, was sie leisten, was man von ihnen erwarten darf und wo sie sich überschätzen. (Frühere FAZIT-Beiträge über Arbeiten Rodriks finden sich unter anderem hier und hier.) Das Buch setzt sich mit seiner eigenen Profession auseinander und nimmt gleichzeitig Kritik von Außenstehenden auf. Rodrik, einer der wichtigsten Entwicklungsökonomen unserer Zeit, weiß, dass Ökonomen allenfalls Kritik aus der eigenen Zunft akzeptieren. In der härtesten Münze, die moderne Ökonomen anerkennen – Publikationen in angesehenen Fachzeitschriften -, vermag der Harvard-Professor problemlos zu zahlen.
Es gibt nicht das Modell, sondern viele Modelle
Rodriks grundlegende Thesen lauten: Es ist gut, dass Ökonomen üblicherweise mithilfe von Modellen, also abstrakten, meist mathematisch formulierten Konstruktionen, arbeiten: „Modelle sind sowohl die Stärke als auch die Achillesferse der Ökonomik. Sie machen aus der Ökonomik eine Wissenschaft.“ Ihre Kernbestandteile sind klar definierte Annahmen und Mechanismen, die menschliches Verhalten abbilden. Aber: Es existiert nach seiner Überzeugung nicht ein Modell, mit dem Ökonomen die ganze Welt erklären können, sondern es liegt eine wachsende Zahl verschiedener Modelle vor und die Wahl des richtigen Modells für die Behandlung eines ökonomischen Themas ist vom Kontext abhängig: „Die Ökonomik ist eine Sozialwissenschaft, und Gesellschaften haben keine fundamentalen Gesetze – jedenfalls nicht auf die gleiche Weise wie Naturwissenschaften.“
Ein einfaches Beispiel: Wer einen Markt mit vielen Anbietern und Nachfragern analysieren will, kann mithilfe traditioneller Analysen, in denen jeder Anbieter und Nachfrage sich nach seinen individuellen Präferenzen verhält, mehr Erkenntnisse gewinnen als auf den ersten Blick erkennbar. Strategisches Verhalten in Form von Kooperationen bringt hier jedoch nichts. Nun betrachten wir einen Markt, den sich zwei große Anbieter teilen. Hier nützt die traditionelle Analyse eines Marktes mit vielen Anbietern wenig, aber schon ein einfaches spieltheoretisches Modell wie das bekannte „Gefangenendilemma“ verspricht Einsichten. Um Möglichkeiten und Grenzen von Modellen zu verdeutlichen, vergleicht Rodrik sie mit Fabeln: Sie sind (in der Regel) kurz und auf den Punkt gebracht. „Ein ökonomisches Modell erzählt immer eine Geschichte“, sagt auch der bekannte Ökonom Hal Varian. Urteilskraft ist gefordert, um das jeweils geeignetste Modell heranzuziehen.
Außenseiter fragen: Entrückt die ausgiebige Verwendung von Mathematik die Modelle nicht der Realität? Nein, konstatiert Rodrik. Der Grund, warum Ökonomen Mathematik verwenden, werde meist missverstanden. Es gehe nicht um die Demonstration höheren Wissens: „Mathematik spielt im wesentlichen zwei Rollen in der Ökonomik, die beide kein Ruhmesblatt sind: Erstens ermöglicht die Mathematik die klare und transparente Darstellung der Elemente eines Modells. Die zweite Tugend der Mathematik ist, dass sie die interne Konsistenz eines Modells garantiert – einfach ausgedrückt, dass die Resultate aus den Annahmen folgen.“ Verbale Darlegungen beinhalteten dagegen die Gefahr von logischen Fehlschlüssen oder der Auslassung wesentlicher Sachverhalte und kollabierten oft, wenn man sie mathematisch formuliere: „Ich sage meinen Studenten: Ökonomen benutzen Mathematik nicht, weil sie so schlau sind, sondern weil sie nicht schlau genug sind.“ Im Prinzip erforderten ökonomische Modelle keine Mathematik und es sei nicht die Mathematik, die Modelle nützlich oder wissenschaftlich mache.
So wie Außenseiter die Rolle der Mathematik zu kritisch sähen, gebe es am anderen Ende des Spektrums Ökonomen, die sich leider in die Mathematik verliebt hätten. Der Verfasser zitiert als abschreckendes Exempel die nachfolgende Einführung in ein Paper: “We establish new characterizations of Walrasian expectations equilibria based on the veto mechanism in the framework of differential information economies with a finite measure space of agents.” Das klingt nicht gerade lesefreundlich und leicht zugänglich. Rodrik erinnert aber daran, dass wesentliche wirtschaftliche Anwendungen aus hoch mathematischen und scheinbar abstrusen Modellen abgeleitet wurden. Er erwähnt unter anderem die mit Nobelpreisen ausgezeichnete Auktionstheorie.
Woher kommt Ungleichheit?
Mit diesem Grundgerüst arbeitet sich Rodrik durch die Frage, wie Ökonomen Modelle bauen und wie Ökonomen die für konkrete Fragestellungen geeigneten Modelle wählen. Danach behandelt er den Zusammenhang von Modellen und Theorien. Dem Wort Theorie steht er durchaus distanziert gegenüber; in der Realität handele es sich bei sogenannten Theorien um Ansammlungen von Modellen, die sorgsam angewandt werden sollten und vor deren allgemeiner Aussagekraft man sich hüten müsse. Solange man in diesem Sinne nicht zu viel von ihnen erwarte, könnten diese Theorien sehr nützlich sein.
Versuchen wir uns an einem Exempel Rodriks: In den Vereinigten Staaten hat seit den siebziger Jahren die Ungleichheit der Einkommen zugenommen. Es fällt auf, dass dieser Prozess zeitlich in etwa mit einer größeren Internationalisierung der amerikanischen Wirtschaft, sprich: der Globalisierung, einher gegangen ist.
Nun erinnern wir uns an Einführungen in die reale Außenhandelstheorie und dort an die sogenannten Faktorproportionentheoreme, die noch heute in jedem Lehrbuch auf den vorderen Seiten zu finden sein dürften. Aus dem Heckscher-Ohlin-Modell folgt, dass die Vereinigten Staaten in Schwellenländer vor allem solche Produkte ausführen, die qualifizierte Arbeit erfordern, während ein Schwellenland wie Mexiko vor allem solche Produkte in die Vereinigten Staaten verkauft, die mit einfacher Arbeit hergestellt werden. Aus dem Stolper-Samuelson-Modell folgt ergänzend, dass deswegen die qualifizierte Arbeit sehr viel besser entlont wird und die einfache Arbeit unter Lohndruck gerät. Das ist in den Vereinigten Staaten gut für die Bezieher hoher Arbeitseinkommen und schlecht für die Bezieher niedriger Arbeitseinkommen: Die Einkommensschere geht auseinander. (Der Fachbegriff heißt “skill premium”.) Voilà, wir haben die zunehmende Ungleichheit in den Vereinigten Staaten mithilfe von Standardmodellen aus der realen Außenhandelstheorie erklärt. Wer behauptet, dass VWL schwierig ist?
Doch langsam. Aus der Anwendung dieser Modelle folgt umgekehrt, dass sich in Ländern wie Mexiko die Einkommensschere schließen müsste, denn dort profitieren ja die Bezieher einfacher Arbeit besonders vom Außenhandel. Allerdings zeigte die Empirie das genaue Gegenteil; auch in Schwellenländern ist der Abstand zwischen Löhnen für einfache und komplizierte Arbeit wie in den Vereinigten Staaten gewachsen und nicht geschrumpft. Unsere einfache Erklärung ist bestenfalls ein Teil der Wahrheit. Hat die Lohnentwicklung vielleicht gar nichts mit dem Außenhandel zu tun? Oder existieren im Außenhandel Einflüsse, die weitaus stärker wirken als die traditionellen Faktorproportionentheoreme?
Nun waren die vergangenen Jahrzehnte nicht nur die Ära der Globalisierung, sondern auch ein Zeitalter erheblichen technologischen Wandels. Technischer Fortschritt geht mit Nachfrage nach qualifizierter Arbeit einher. Diese beiden Effekte zusammen haben dazu geführt, dass amerikanische Unternehmen einen Teil der mit dem technischen Fortschritt verbundenen qualifizierten Arbeit in Schwellenländer ausgelagert haben. Das heißt: Sie haben so weit wie möglich qualifizierte Arbeit in Ländern wie Mexiko beschäftigt – die für dortige Verhältnisse sehr hoch, nach amerikanischen Standards aber immer noch niedrig bezahlt wurde. Damit konnte wachsende Einkommensungleichheit in den Vereinigten Staaten, aber auch in Mexiko erklärt werden. Der Fachbegriff lautet “skill-biased technological change”. In den neunziger Jahren wurden Studien vorgelegt, nach denen 80 bis 90 Prozent der wachsenden Einkommensungleichheit mit diesem Effekt erklärt wurden und 10 bis 20 Prozent mit der traditionellen Außenhandelstheorie. Die ehrwürdigen Faktorproportionentheoreme sind nicht irrelevant und niemand muss sie aus den Lehrbüchern verbannen. Ihre Relevanz hängt vom jeweiligen Kontext ab.
Aber auch hier endet die Geschichte nicht. Eine bekannte Beobachtung aus den Vereinigten Staaten lautet, dass dort in den vergangenen Jahrzehnten die ohnehin schon sehr hohen Einkommen besonders stark gestiegen sind und man kann sich fragen, ob dieser Effekt ganz oder überwiegend mit einer steigenden Arbeitsproduktivität erklärt werden kann. Die neuere Forschung verweist auf unterschiedliche Begründungen wie, unter anderem, ein unnatürlich starkes Wachstum des Finanzsektors oder einen “crony capitalism”, bei dem sich Manager hohe Einkünfte zulasten der Aktionäre und der anderen Mitarbeiter zuschanzen. Zu diesen Aspekten liegen zum Beispiel Arbeiten von Piketty/Saez vor.
Rodriks Botschaft aus diesem Beispiel ist klar: Es gibt nicht ein Modell zur Erklärung der wachsenden Ungleichheit der Einkommen. Die Entwicklung der Realität und die Entwicklung neuer Modelle geht idealerweise Hand in Hand. Und die neuen Modelle treten neben die alten, aber ersetzen sie nicht notwendigerweise.
Die Fehler der Ökonomen
Anschließend setzt sich der Verfasser mit typischen Fehlern von Ökonomen auseinander. Vereinfacht lauten diese Selbstüberschätzung, Neigung zu ideologisch verbrämten Vereinfachungen und Unkenntnis der relevanten Modellwelt. Wir beschränken uns nur kurz auf den Hinweis, dass es schon lange Modelle gab, deren Analyse vor dem Jahr 2008 auf die Gefahren für die Finanzstabilität hinwiesen. Wer damals die Schlangen vor den Filialen der britischen Bank Northern Rock sah und sich als Ökonom unversehens Gedanken über die Bedeutung von Einlagensicherungssystemen machte, hatte etwas übersehen: Das einschlägige Modell von Diamond/Dybvig stammt aus dem Jahre 1983 und dürfte sich in jedem besseren Lehrbuch über Finanztheorie finden.
In diesem Kapitel bringt Rodrik auch seine seit langem vorgetragene Kritik an einer unkritischen Betrachtung der Globalisierung und besonders des jederzeitigen Nutzens kurzfristiger internationaler Kapitalströme. Kritikern des Mainstreams schreibt er allerdings ins Gewissen, dass ein gewaltiger Unterschied vorliege zwischen Ökonomen, die sich in der Öffentlichkeit als simpel gestrickte wirtschaftspolitische Lautsprecher betätigen und forschungsorientierten Ökonomen, die untereinander sehr harte Fach- und Sachdebatten führen, weil viele Dinge eben nicht einfach und offensichtlich sind. Da geht es dann nicht selten hoch her: “Wer glaubt, dass sich Ökonomen gegenüber Außenstehenden rüde benehmen, sollte einmal an einem ihrer Seminare teilnehmen.”
Außenseiter schießen daneben
Im abschließenden Kapitel bewertet er die Kritik von heterodoxen Ökonomen und Außenstehenden an der modernen Wirtschaftslehre.Dazu zählen Vorwürfe, die Modelle der Ökonomen seien zu simpel, sie enthielten unrealistische Annahmen, sie verzichteten auf soziale und kulturelle Aspekte, sie verherrlichten den Markt und viele Modelle seien nicht empirisch überprüfbar. Rodrik findet keinen Kritikpunkt wirklich überzeugend.
Auch greift er den gerade auch in Deutschland geäußerten Vorwurf auf, es fehle an einem Methodenpluralismus. Keine akademische Disziplin gestatte die Anwendung von Methoden, die sich zu weit von den verwendeten Praktiken unterschieden, stellt Rodrik klar: „Ein aufstrebender Ökonom muss klare Modelle formulieren und die dazu passenden statistischen Techniken anwenden können.“ Der Verfasser gibt zu bedenken, dass die bevorzugten Arbeitsweisen des Mainstreams keineswegs unveränderlich blieben: In seiner Jugend sei vor allem theoretisch gearbeitet worden, heute spiele die Empirie eine größere Rolle.
Eine wichtiges Buch
Dies ist kein dickes, aber ein wichtiges Buch. Nicht, dass alles unumstritten wäre, was Rodrik schreibt – er zieht seit Jahren innerhalb seines Faches, in dem er häufiger als unorthodox wahrgenommen wird, auch Kritik auf sich. Aber es ist ein schönes Buch in seiner Komposition und in der Art, wie der Verfasser scheinbar komplizierte Zusammenhänge auch für interessierte Laien verständlich schildern kann. Rodrik stellt viele verschiedene Modelle vor, erklärt, warum alte Modelle nicht einfach vergessen werden, und bringt zahlreiche praktische wirtschaftspolitische Anwendungen, die aus scheinbar hoch theoretischen Konstrukten folgen. Mittendrin schreibt er auf wenigen Seiten eine konzise Dogmengeschichte.
Rodrik schildert die Anfälligkeit von Ökonomen für Ideologien und Moden und ihre Fehleinschätzungen, die ihnen gerade in Phasen von Selbstzufriedenheit unterlaufen. Auch Rodriks eigene Arbeiten sind offen für Zweifel und Widerspruch. Es handelt sich um eine Wissenschaft, die von nicht-perfekten Menschen betrieben wird, die eine Welt beschreiben, deren Bevölkerung sich nicht wie ein Heer kalkulier- und steuerbarer Roboter verhält. Es ist eine sehr schöne Wissenschaft.
Also vom Stuhl hat es mich nicht gehauen ...
Dass die Wahl von Modellen und Methoden gegenstandsabhängig erfolgt, ist doch ein alter Hut. Zur Quantifizierung fällt mir ein uraltes Diktum Homans ein: “Wir wollen das Wichtige quantitativ, aber nicht das Quantitative wichtig machen.”
Distanz gegenüber dem “Wort Theorie” sollte m.E. sowohl eine Definition als auch eine Begründung einschließen. Wenn es sich dabei um eine “Ansammlungen von Modellen” handelt, wird ein qualitativer Unterschied geleugnet, und dass selbige “sorgsam angewandt werden sollten”, gilt generell und ist als methodologischer Hinweis nicht ernstzunehmen. Das trifft auch für die Warnung “vor deren allgemeiner Aussagekraft” zu, wenn nicht expressis verbis entwickelt wird, wie das gemeint ist; Stichwort: Mertons “Theorien mittlerer Reichweite” (Merton ist der Vater des Nobelpreisträgers; hat Letzterem das Pokern beigebracht).
Die Konstruktion von der vollkommenen Konkurrenz ist ein Modell. Theoretisch fruchtbar machen ließe sich diese unter Umständen, wenn man Einkommensunterschiede – neben anderen Kausalfaktoren – als Ergebnis von Wettbewerbsbeschränkungen und Marktschließungen bestimmt.
G.S.
Marshall on Math
Hier ist noch der legendäre Ratschlag des Cambridge-Ökonomen Alfred Marshall (1842-1924), des wichtigsten Lehrers von John Maynard Keynes:
“(1) Use mathematics as a short-hand language, rather than as an engine of inquiry. (2) Keep to them till you have done. (3) Translate into English. (4) Then illustrate by examples that are important in real life. (5) Burn the mathematics. (6) If you can’t succeed in 4, burn 3. This last I did often.”
Gruß
gb.
Wie wählt man Modelle aus?
Den Aspekt fand ich deshalb interessant, weil Eucken in den ‘Grundlagen der Nationalökonomie’ ein Brücke zwischen Historischer Schule und Neoklassik zu schlagen versuchte. Seine Frage war ähnlich wie die Rodriks: Welches Modell wende ich auf welche Fragestellung an? Seine Antwort war (grob skizziert) zunächst muß ich mir die bestimmenden Faktoren des “Datenkranzes” (Institutionen, Marktverfassung, usw.) anschauen, dann wähle ich das passende Modell. “Historische Analyse” weist mir den Weg zum Modell, anschließend folgt die “innere” ökonomische Analyse.
Richtige Gedanken scheinen immer wieder gedacht zu werden.
In diesem Kontext ...
finde ich auch Spiethoff interessant, der verschiedene Klassen/ Kategorien von Theorien und damit auch (im Englischen auch wörtlich) Modelle unterschied. Damit sind verschiedene Abstraktionsstufen der Theorien und Modelle möglich (reine “Gedankenkonstrukte” bis stark an der “Realität” – dem “Dantenkranz” – orientiert).
Insofern würde auch dort die “historische Analyse” – wie Sie schreiben – den Weg zu einem “realistischen” bzw. einem für die (Politik-) Praxis relevanten “Modell” ebnen.
Unabhängig meines Einwurfs bedeutet Ihre Schlussfolgerung bzgl. der historischen Analyse aber in der Endkonsquenz ebenso, dass “Ökonomik” zum Teil eben auch in dieser “historischen Analyse” (ich würde eher von kultur-historischer Analyse schreiben) besteht. Die muss aber nicht zwangsläufig auf die gleiche Art und Weise umgesetzt werden, wie die von Ihnen beschriebene “innere” ökonomische Analyse (womit, so vermute ich, die überwiegend mathematische Modellierung gemeint ist). Anders formuliert: Es müsste also auch (!) – sozusagen: komplementär – eine nicht überwiegend mathematisch arbeitende Ökonomik geben, so dass dann doch eine Art Methodenpluralität gegeben ist – ganz im Gegensatz zur im Beitrag für Rodrik erwähnten Ablehnung derselben.
[…] Fazit: Was können Ökonomen? […]
[…] … […]
[…] […]
Das ist doch ein methodologischer Uralt-Hut
“Die Ökonomik ist eine Sozialwissenschaft, und Gesellschaften haben keine fundamentalen Gesetze – jedenfalls nicht auf die gleiche Weise wie Naturwissenschaften.”
Woher kommt dieses Streben der Ökonomen eine “andere” Art von Wissenschaft betreiben zu wollen als die Naturwissenschaftler?
Jeder Naturwissenschaftler, der ein reales Problem beschreiben möchte, muss dabei genau wie ein Ökonom die Rahmenbedingungen berücksichtigen: Meeresgeologie beruht auf anderen Rahmenbedingungen als Hochgebirgsgeologie, in einem Regenwaldbiotop überwiegen andere Effekte als in einem Wüstenbiotop und wenn ein Ingenieur (Bereich angewandte Wissenschaft) ein Haus bauen will, muss er in sumpfigen Gelände andere Gesetzmäßigkeiten stärker gewichten als auf felsigem Untergrund. Und natürlich wird dieser Ingenieur größtenteils auf die gute alte Newtonsche Mechanik zurückgreifen, weil die auf der Makroebene gut funktioniert, auch wenn sie genau genommen falsch ist, während sein Kollege aus der Elektrotechnik in einigen Bereichen ohne die Quantenphysik nicht sehr weit kommt. Wo ist denn da der Unterschied zur Erklärung der Entwicklung der Einkommensverteilung? Bei jedem empirischen Phänomen, das man erklären möchte, muss man berücksichtigen, dass es mehr als einen Einflussfaktor geben kann und dass in bestimmten Kontexten einige vernachlässigbar sind und andere nicht. Daraus resultiert kein grundlegender Unterschied zwischen Natur- und Sozialwissenschaften.
So weit , so gut
Aber in der Physik gibt es eben nicht je nach Randbedingungen verschiedene Theorien, sondern nur verschiedene Ergebnisse. Die verschiedenen Geologen wenden letztlich dieselbe Theorie an, nur spielen nicht alle Aspekte davon die gleiche Rolle. Der Ingenieur kann für seine Hausplanung auch gerne Relativitätstheorie und Quantenmechanik berücksichtigen – es wird seine Planung nur ganz unmerklich verändern, ist nur eben viel aufwendiger. Die Hinzunahme weniger relevanter Aspekte (etwa die von Wasser im Wüstenbiotop) ändert auch fast nichts am Resultat.
Im Gegensatz dazu wird Ökonom F, der als Grundlage den berühmten rein rationalen „homo oeconomicus“ verwendet, eine deutlich andere Beschreibung liefern als Ökonom S, der zuläßt, daß auch nicht rationale Aspekte eine Rolle bei Entscheidungen spielen. Derlei Unterschiede würde es in der Physik allenfalls geben, wenn man prinzipiell unzutreffende Theorien verwendet wie etwa die Mechanik nach Aristoteles – die Newtonsche Theorie ist für einfach Fälle in der Relativitätstheorie „enthalten“, die von Aristoteles nicht. In der Ökonomie ist eine solche klare Widerlegung oder Trennung aber eben meist nicht möglich, daher ist die Ausgangsbasis prinzipiell anders.
@Neininger: Wenn die in der Ökonomik die Unsicherheit über die bei wirtschaftspolitischen..
…Entscheidungen zu verwendende Theorie größer ist, dann weil derzeit noch die empirische Überprüfung ökonomischer Theorien schwieriger ist, als die empirische Überprüfung physikalischer Theorien. Aber das bedeutet dann lediglich, dass die Unsicherheit von Aussagen/Prognosen die aus den “empirischen Rahmenbedingungen + schlecht bewährter ökonomischer Theorie” gemacht werden können, größer ist als die Unsicherheit von Aussagen/Prognosen, die aus den “empirischen Rahmenbedingungen + gut bewährter physikalischer Theorie” gemacht werden können.
Das ist dann bestenfalls ein die größere Unsicherheit betreffender “quantitativer” aber kein “qualitativer” methodologischer Unterschied zu den Naturwissenschaften. Übrigens gibt es auch in den Naturwissenschaften Bereiche, in denen die experimentelle Überprüfung von Theorien ähnlich schwierig ist, wie in der Ökonomik, z.B. in der Meteorologie, Ökologie oder Geologie. D.h. immer dann, wenn es um das Zusammenwirken komplexer Systeme geht. Umgekehrt gibt es in der Ökonomik auch Bereiche in denen eine experimentelle Überprüfung relativ gut möglich ist, z.B. in der Verhaltensforschung – die Ökonomen haben damit leider erst sehr spät begonnen, weil sie dachten, ihr Sonderstatus würde ihnen das ersparen. Genau diese Einstellung ist das Problem. Deshalb geht es nicht richtig voran und jede Finanzmarktblase verursacht Fundamentalkrisen im wissenschaftlichen Selbstverständnis.
Von “der Soziologie” zu sprechen, wie Sie es tun ist auch problematisch. Es gibt, vereinfacht gesagt, eine “deutsche Soziologie”, die stark an dem orientiert ist, was sie für “geisteswissenschaftliche Methoden” hält (i.d.R. bestimmen dann die politischen Überzeugungen des Soziologen bzw. seiner Peer-Group das “Forschungsergebnis”) und eine “amerikanische Soziologie” die stark empirisch orientiert ist und die Daten sprechen lässt. Deutsche Soziologen werfen der amerikanischen Soziologie deshalb gerne eine “gefährliche Nähe” zu den Naturwissenschaften vor…
Vollkommen richtig, was Sie sagen – und man sollte es oft genug wiederholen.
Während man im Physikstudium bereits ab dem ersten Semester dazu angehalten wird, sich Gedanken über die Unsicherheit der Messungen und Theorien zu machen und jeder ernstzunehmende Zahlenwert in der Physik selbstverständlich eine Angabe des Fehlerbereichs enthält, ist dies in der Ökonomie ausgesprochen unüblich, man könnte sogar sagen, verpönt.
Natürlich wissen zumindest die Wissenschaftler, daß man keine genauen Zahlen haben kann, aber der Umgang damit insbesondere in der Praxis ist, nun, hemdsärmelig. Das geht bis in die offiziellen Vorschriften: für die Berechnung der Eigenkapitalausstattung gibt es eine vorgeschriebene Formel, deren Ergebnis dann mit einem „aufsichtlichen Skalenfaktor“ von 1,06 zu multiplizieren ist. Man hat also den Eindruck, daß die berechnete Reserve nicht ausreicht und „legt noch einen Schnaps drauf“. Man ist sich des Fehlers bewußt („fat tails“, „Modellrisiko“, „Schätzunsicherheit“), aber will ihn nicht quantifizieren. Das steht dann im Widerspruch zu den aufwendigen Rechenverfahren, die gerne verwendet werden – was nützt eine mehrdimensionale Korrelationsrechnung, wenn die verwendete Mathematik gar nicht anwendbar ist? Nach der Finanzkrise gab es plötzlich Fachartikel, die zeigten, daß die Methoden, mit denen man die Risiken von Verbriefungen ausgerechnet hatte, nur in einfachen Ausnahmefällen funktionierten. Man war vorher im Glauben, das Risiko genau berechnen zu können und hatte auf der Basis dieser Rechnungen immer kompliziertere Konstruktionen ersonnen – hatte aber von vorneherein einen völlig unzureichenden Ansatz.
Wissenschaft und Öffentlichkeit
Es ist wohl leider so, daß man den Ökonomen immer wieder ins Gedächtnis rufen muß, daß sie wesentlich mehr mit der Soziologie verwandt sind als mit den Naturwissenschaften. Die Fachkollegen in ihren Seminaren wissen das vermutlich auch, nur gibt es eben auch die anderen, die sich öffentlich hinstellen und Politikern und der Öffentlichkeit erklären, was zu tun sei. Und bei diesen ist die beschriebene und zu Recht geforderte Nachdenklichkeit eben eher selten anzutreffen. Man denke etwa an E. Fama, von dem jüngst ein Interview in der FAZ zu lesen war. Er vertritt mit Verve immer noch die Thesen seiner Dissertation (also seit 50 Jahren) und weiß genau, daß es keine Spekulationsblasen gibt. Immerhin hat er seinen “Nobelpreis” zusammen mit R. Shiller bekommen, der einigermaßen das Gegenteil von ihm behauptet. Und sein Doktorvater, B. Mandelbrot, hat sicher die Kennzeichen eines guten Ökonomen nach Rodrik weit eher gehabt – aber diesen Preis nicht bekommen.
Eine neue Woche ,ein neuer FAZIT
ihr Hinweis Rodriks Buch erfreut mich sehr.Danke!
Obendrein ihrer Text macht klar wie wichtig ,für jeder Wissenschaftler ,Worte und Deutung sind,ein Sozialwissenschaftler konnte einfach falsch interpretiert werden,zB. Wiedergabe mediale Kurzfassungen.
Lange her gab es Texte die nicht misszuverstehen waren(zB.Huygens und lateinisch).Mein verehrter Lehrer Prof. P.Hennipman unterrichtete dass nur dan mathematik benutzt werden sollte ,wenn ein Wissenschaftler nicht fahig ist
sein these mit Worte verständlich zu machen.Daher sollte die linguistik und die analytische nicht vernachlässigt werden.
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Ja,Fabels!,keine Frage,die liebe ich.
Prazisionsmängel
daher folgendes:
P.Hennipmans Studie:Economisch Motief en Economisch Principe ,1945
und F.L.Polaks Studie :Kennen en Keuren in de Sociale Wetenschappen,1948[Hennipmans Doktervater].
Was könnten Ökonomen?
Sie könnten sich mal mit den monetären Basics eines Kreditgeldsystems auseinandersetzen und dies in ihre Modelle integrieren. Die Arbeiten von Bernard Schmitt und Alvaro Cencini sind hierzu wegweisend:
https://tracksofthoughts.blogspot.de/2011/04/geld-und-zeit.html
https://tracksofthoughts.blogspot.de/2011/06/quantum-okonomie.html
LG Michael Stöcker