Der Dollar ist die wichtigste Währung der Welt. Die amerikanische Geldpolitik wirkt stark auf internationale Finanzströme und damit auf die Weltwirtschaft. Und das Anlageverhalten der Amerikaner macht sie zu Versicherern für andere Volkswirtschaften. Dennoch ist der amerikanische Einfluss auf die internationalen Finanzmärkte nicht immer vorteilhaft.
Im zu Ende gehenden Jahr haben viele europäische Anleger, darunter auch deutsche Großanleger, in großem Stil amerikanische Anleihen gekauft. Ein wesentlicher Grund ist die Renditedifferenz gewesen: Zwar brachten zehnjährige amerikanische Staatsanleihen nur gut 2 Prozent, aber das war immer noch mehr als die schmalbrüstigen Renditen für zehnjährige deutsche Bundesanleihen. Über den Auszug der europäischen Anleihekäufer aus ihrer Heimat, der zur Aufwertung des Dollars gegenüber dem Euro beitrug und einen stärkeren Anstieg der amerikanischen Renditen verhinderte, ist in den vergangenen Monaten viel geschrieben und gesprochen worden. Seltener wurden die Käufe europäischer, auch deutscher, Aktien durch amerikanische Anleger erwähnt. Dabei trugen diese Käufe zum guten Aktienjahr 2015 in vielen europäischen Ländern wesentlich bei.
Das sind keine Momentaufnahmen, sondern seit langem beobachtbare Muster. Den Amerikanern gelingt es, einen erheblichen Teil ihrer Staatsanleihen und auch Unternehmensanleihen an Ausländer zu verkaufen – meist zu im internationalen Vergleich niedrigen Zinsen. Im Oktober 2015 hielten ausländische Investoren nach Angaben des Schatzamts in Washington amerikanische Staatspapiere über 6046 Milliarden Dollar. Ebenso ziehen amerikanische Banken erhebliche Dollareinlagen von Ausländern an – ebenfalls meist zu niedrigen Zinsen.
Im Gegenzug investieren die Amerikaner im Ausland überdurchschnittlich viel in Aktien oder andere Arten des Erwerbs von Eigentum wie Käufe von Unternehmen und Immobilien. Jede nachhaltige Hausse am deutschen Aktienmarkt ist in der Vergangenheit von ausländischen, vor allem amerikanischen Investoren getragen worden. Der Dax wird nicht zufällig auch als der „deutsche Dow Jones“ bezeichnet. Die Grafik belegt: Ausländer investieren ihr Geld gerne in sichere amerikanische Anlagen mit oft nur kurzen oder mittleren Laufzeiten. Die Amerikaner investieren im Ausland gerne langfristig in riskante, aber potentiell höher rentierliche Anlagen.
Die Vereinigten Staaten als Versicherer der Welt
In den vergangenen Jahrzehnten ließen sich zwei Trends erkennen. Zum einen hat die finanzielle Verflechtung der Amerikaner mit dem Ausland deutlich zugenommen. Heute belaufen sich sowohl die Anlagen im Ausland wie die Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland auf mehr als 100 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zu jeweils rund 40 Prozent im Jahre 1990. Die finanzielle Globalisierung hat im Eiltempo stattgefunden.
Der zweite Trend ist eine zunehmende Verschuldung der Vereinigten Staaten gegenüber dem Ausland: Auslandsanlagen über rund 100 Prozent des BIP stehen Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland von rund 140 Prozent des BIP entgegen. Eines der sprichwörtlichen „exorbitanten Privilegien“ des Dollars als Weltwährung erlaubt eine nach wie vor hohe Reputation der Vereinigten Staaten trotz einer steigenden Auslandsverschuldung. Dies funktionierte bei kaum einem anderen Land.
In den Jahren seit dem Ausbruch der Finanzkrise hat der Status der Vereinigten Staaten als „sicherer Hafen“ für Kapitalanleger sogar eher zu- als abgenommen. Der Ökonom Eswar Prasad vertritt in seinem Buch „The Dollar Trap“ die Ansicht, dass die Rolle des Dollars als internationaler Handelswährung sehr wohl zurück gehen werde, aber die Rolle des Dollars als Anlagewährung vor allem wegen der hoch geschätzten amerikanischen Staatsanleihen unangefochten bleibe.
Ein weiteres, damit verbundenes „exorbitantes Privileg“ besteht im Potential Amerikas, sich billig im Ausland zu verschulden und gleichzeitig auf seine oft riskanteren langfristigen Auslandsanlagen höhere Renditen zu erzielen. Es gibt vorläufige Schätzungen, nach denen sich diese Extrarendite im Zeitraum von 1952 bis 2009 auf 1,6 bis 2,7 Prozent im Jahr belaufen haben könnte.
Die Vereinigten Staaten funktionieren somit wie eine hoch verschuldete Bank, die, wie die seit langem in London lehrende französische Ökonomin Hélène Rey gezeigt hat, für den Rest der Welt Liquiditäts- und Fristentransformation betreibt: Sie bietet Anlegern kurzlaufende, sehr liquide Anlagen und investiert gerne in langfristige, oft wenig liquide Anlagen. Die Vereinigten Staaten agieren aber auch wie eine Versicherung für den Rest der Welt. Zwischen dem Ausbruch der Finanzkrise Ende 2007 und dem Frühjahr 2009 fiel der Wert der von den Vereinigten Staaten im Ausland gehaltenen riskanten Anlagen dramatisch. Dies ist vor allem auf den sehr starken Preisrückgang an Aktien- und Immobilienmärkten in vielen Ländern zurückzuführen. Gleichzeitig boten die Vereinigten Staaten dem Rest der Welt mit Bankeinlagen und liquide handelbaren Staatspapieren in einer schweren Krise sichere Anlagen, die angesichts einer vorübergehenden Aufwertung des Dollars ausländischen Besitzern damals schöne Gewinne bescherten.
Insgesamt fand während dieser Krisenzeit eine massive Umverteilung von Vermögen von den Vereinigten Staaten ins Ausland statt: Amerika diente dem Rest der Welt als eine Art Versicherung. Man könnte von einer „exorbitanten Verpflichtung“ sprechen. Die Extrarendite von jährlich rund 2 Prozent, die Amerika in guten Zeiten einstreicht, lässt sich auch als eine Art Versicherungsprämie verstehen, die der Rest der Welt den Vereinigten Staaten für den Krisenfall zahlt.
Die Fed wirkt auf die Weltwirtschaft
Die Rolle der Vereinigten Staaten als einer Art Bank für den Rest der Welt ist unter Fachleuten kaum umstritten. Sehr viel kontroverser bleibt die Bedeutung der amerikanischen Geldpolitik für den Rest der Welt. Schon seit längerer Zeit lässt sich für viele Länder ein annähernder Gleichlauf des Volumens internationaler Kapitalströme, der Verschuldung der Banken, der Kreditvergabe von Banken und der Preise riskanter Kapitalanlagen wie Aktien und Unternehmensanleihen beobachten. Rey nennt dieses Phänomen den „Globalen Finanzzyklus“. Sie zeigt, dass auf die Vermögenspreise in der Welt sehr wohl auch regionale Kräfte einwirken. Aber ein signifikanter Teil des Gleichlaufs entsteht durch einen globalen Einflussfaktor. Was könnte das sein?
Auf die Spur führt ein Index an der Terminbörse in Chicago: der Vix. Er misst anhand von Optionspreisen erwartete Kursschwankungen an der Wall Street. Unter anderem bildet er die Grundlage für Finanzprodukte, mit denen auf seine Entwicklung spekuliert werden kann. Der Vix ist der bekannteste sogenannte „Volatilitätsindex“; sein deutsches Pendant ist der V-Dax.1)
Der Vix besitzt noch eine zweite, ihm eigentümliche Funktion, die sich aus der erheblichen internationalen Bedeutung des amerikanischen Aktienmarktes ableitet: Er dient als Maßstab für den mentalen Zustand der Welt-Finanzmärkte. Liegt der Vix im historischen Vergleich niedrig, wird dies als ein Zeichen von Entspannung gedeutet, das zu optimistischem Handeln an den Märkten und zu Kurssteigerungen Anlass gibt. Liegt der Vix im historischen Maßstab hoch, zeigt er Nervosität und Angst an den Finanzmärkten an, die Vorboten von Verkäufen und damit Kursverlusten sein können.
Tatsächlich lässt sich ein Zusammenhang zwischen dem Vix sowie den Volumen internationaler Finanzströme, der Verschuldung und der Kreditvergabe von Banken sowie der Preise riskanter Kapitalanlagen nachweisen. Daraus folgt: Der dominierende Einflussfaktor auf den Vix muss mit dem ominösen Einfluss auf die globale Verfassung der Finanzmärkte identisch sein.
Es handelt sich, und davon ist nicht nur Rey überzeugt, um die amerikanische Geldpolitik. Sie zeigt auf der Basis von Daten aus dem vergangenen Vierteljahrhundert, wie eine Leitzinssenkung der Fed nach rund fünf Quartalen einen Fall des Vix zur Folge hat, der eine größere Bereitschaft zum Eingehen von Risiken an den Finanzmärkten ausdrückt. Die Geldpolitik ist natürlich nicht der einzige Einflussfaktor für die Stimmung auf den Finanzmärkten; aber sie ist doch ein bedeutender. Vier Quartale nach dem Fall des Vix beschleunigt sich das Kreditwachstum in den Vereinigten Staaten, nach rund zwölf Quartalen steigern unter anderem europäische Großbanken ihre Verschuldung, indem sie Mittel in den Vereinigten Staaten aufnehmen und dann an Kreditnehmer in aller Welt verteilen. Dies ist in der jüngeren Vergangenheit ein wichtiger Kanal gewesen, durch den die amerikanische Geldpolitik in die Welt exportiert worden ist.
Das durch Banken geschaffene und in die Welt verteilte billige Geld führt dann zum Anstieg von Vermögenspreisen und einer Abwertung des Dollars am Devisenmarkt. Zwar müssen sich seit der Finanzkrise viele Banken mit der Kreditvergabe mehr zurückhalten, doch wurden bis zum vergangenen Jahr von Großanlegern wie Pensionsfonds, Investmentfonds und Versicherungen aus den Vereinigten Staaten erhebliche Mittel in die Schwellenländer gebracht. Staaten und Unternehmen aus Schwellenländern haben heute Dollarschulden über 3,3 Billionen Euro; gefördert durch niedrige Zinsen und einen längere Zeit schwachen Dollar.
Entgegengesetzte Effekte lassen sich beobachten, wenn die amerikanische Geldpolitik zu erkennen gibt, dass sie den Leitzins erhöhen will. Im bisherigen Jahresverlauf sind als Folge von Wertpapierverkäufen amerikanischer Großanleger viele Vermögenspreise in Schwellenländern gefallen. „Nun wertet der Dollar wieder auf“, sagte BIZ-Chefökonom Hyun Song Shin in einem Gespräch mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Und das sorgt für Probleme. Viele der Projekte, die einst mit Dollarkrediten finanziert wurden, werden nun eingestellt oder rückabgewickelt.“ Der Vix ist seit seinen Tiefstständen aus dem vergangenen Jahr bereits etwas gestiegen. Viele Finanzmarktteilnehmer erwarten für das kommende Jahr deutliche Kursschwankungen an den Finanzmärkten; ein weiterer Anstieg des Vix wäre nicht erstaunlich.
Worin liegt das Problem? Eine Geldpolitik der Fed, die für amerikanische Verhältnisse angemessen sein mag, kann für andere Länder viel zu expansiv sein. Der „Globale Finanzzyklus“ geht dann mit einer zu starken Zunahme der Kredite einher, die nach den historischen Erfahrungen eine wichtige Ursache von Überdehnungen von Banken und anderen Finanzhäusern sind und zu einer für die Finanzstabilität gefährlichen Krise führen können. Plötzliche Abzüge von Geldern durch amerikanische Großanleger in Erwartung höherer Zinsen in den Vereinigten Staaten sorgen für zusätzlichen Stress. Dies gilt vor allem für Schwellen- und Entwicklungsländer mit wenig entwickelten Finanzmärkten und nicht sehr stabilen Banksystemen. Schwere Finanzkrisen gehen gewöhnlich auch mit Einbußen bei Wirtschaftswachstum und Beschäftigung einher.
Flexible Wechselkurse schützen nicht
Die These von der starken internationalen Ausstrahlung der amerikanischen Geldpolitik wird von prominenten Ökonomen geteilt, die nicht aus den Vereinigten Staaten stammen. So vertritt der aus Korea stammende Shin die Ansicht, es reiche nicht, in der Geldpolitik nur auf die Binnenwirkung zu schauen und das eigene Haus in Ordnung zu halten. Globales Denken sei notwendig. Der Gouverneur der indischen Notenbank und frühere Chicago-Professor Raghuram Rajan fordert seit längerem die Fed zu einer Straffung ihrer Geldpolitik im Interesse des internationalen Finanzsystems auf. Andere Zentralbanken sollten den Vereinigten Staaten folgen. „Ich denke, dass daraus Volatilität an den Finanzmärkten entstehen wird“, sagte Rajan in einem Vortrag in Frankfurt. „Aber wir werden damit umgehen müssen. Ich mache mir mehr Sorgen über die Fortsetzung einer ultralockeren Geldpolitik in der Welt.“
Viele amerikanische Ökonomen und Geldpolitiker, zuletzt Ben Bernanke auf einer Konferenz des Internationalen Währungsfonds 2), neigen allerdings dazu, nachteilige Wirkungen der amerikanischen Geldpolitik auf den Rest der Welt zu bestreiten oder doch zumindest klein zu reden. Sie stützen sich auf ein seit Jahrzehnten geläufiges Lehrbuchmodell: das Trilemma. Nach ihm kann ein Land seine geldpolitische Autonomie auch bei freiem Kapitalverkehr bewahren, wenn es auf einen festen Wechselkurs für seine Währung verzichtet und seinen Wechselkurs frei schwanken lässt. Flexible Wechselkurse, so ein altes Dogma liberaler Ökonomen, schotten ein Land gegenüber nachteiligen Wirkungen einer ausländischen Geldpolitik ab. Diese Auffassung war noch in der Asienkrise des Jahres 1997 verbreitet. 3)
Ökonomen wie Rey, Shin und Rajan betrachten dieses Dogma im Zeitalter der finanziellen Globalisierung und einer sehr starken internationalen Rolle des Dollars mittlerweile als mindestens fragwürdig. Nach ihrer Ansicht können flexible Wechselkurse den globalen Einfluss der amerikanischen Geldpolitik allenfalls reduzieren, aber nicht völlig neutralisieren. Das bestätigen empirische Untersuchungen aus den vergangenen Jahren. Wenn sich ein Land allerdings weder mit freiem noch mit festem Wechselkurs gegen die Auswirkungen der amerikanischen Geldpolitik vollständig schützen kann, entsteht die Frage, ob geldpolitische Unabhängigkeit bei freiem Kapitalverkehr überhaupt noch möglich ist.
Eine Möglichkeit zielt darauf ab, den Kapitalverkehr nicht unmittelbar zu beschränken, aber Finanzhäuser stärker zu regulieren, um nachteilige Folgen der finanziellen Globalisierung zu bremsen. Mit Shin als Berater beschloss die Regierung in Korea im Jahre 2010 solche Regulierungen, um spekulative Kapitalzuflüsse aus dem Dollarraum zu bremsen. So wurde das Volumen von Devisentermingeschäften an das Eigenkapital der in Korea tätigen Banken gebunden. Auch Rey empfiehlt Regulierungen von Finanzinstituten, zum Beispiel die Beschränkung der Kreditvergabe von Banken, falls Exzesse drohen. Aber sie geht noch weiter und stellt die Frage, ob Einschränkungen des internationalen Kapitalverkehrs sinnvoll sein könnten, zumal sie die gesamtwirtschaftlichen Vorteile besonders kurzfristiger internationaler Kapitalbewegungen für übersichtlich hält.
Noch vor einigen Jahren hätte eine solche Frage provoziert – gerade in Deutschland, wo die meisten Ökonomen und nicht zuletzt die Bundesbank Anhänger freien Kapitalverkehrs sind. Doch die Zeiten ändern sich. Im Jahre 2014 erhielt Hélène Rey vom Verein für Socialpolitik, der führenden deutschen Ökonomenvereinigung, den erstmals vergebenen und mit 20 000 Euro dotierten Carl-Menger-Preis. Überreicht wurde der Preis von Andreas Dombret, einem Vorstandsmitglied der Bundesbank. Die nächste Provokation des deutschen ökonomischen Establishments, jedenfalls soweit es Euro-kritisch gesinnt ist, stammt von BIZ-Chefökonom Shin. Die internationale Rolle des Euros könnte so stark zunehmen, dass sie in ein paar Jahren von der EZB in der Formulierung ihrer Geldpolitik berücksichtigt werden dürfte, sagt er voraus.
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- Hier ist ein ausführlicherer F.A.Z.-Artikel über den Vix, der mehrere Arbeiten von Ökonomen aus der jüngeren Vergangenheit zitiert.
- Bernanke hielt dieses Jahr die renommierte Mundell-Fleming-Vorlesung beim IWF, in der er sich kritisch mit den Arbeiten Reys und Shins befasste. Rey hatte die Vorlesung im Jahre 2014 gehalten, Shin im Jahre 2012.
- Milton Friedman war seit den fünfziger Jahren der prominenteste Befürworter flexibler Wechselkurse. Im deutschen Sprachraum engagierten sich ab den sechziger Jahren besonders Herbert Giersch und Egon Sohmen stark für flexible Wechselkurse. Jedoch gab es in Deutschland damals auch prominente liberale Ökonomen wie Wolfgang Stützel und Wolfram Engels, die für feste Wechselkurse plädierten. Nach meiner Kenntnis spielte die heute von Rey und Shin herangezogene Finanzstabilität in den früheren Debatten um das optimale Wechselkursregime keine bedeutende Rolle.