Bayern München gewinnt fast immer. Wie langweilig. Warum lässt das Fußballinteresse nicht langsam nach? Von Jürgen Kaube
Sechs zu null – die machen gerade so weiter. In der Bundesliga wurde der FC Bayern München in neun der letzten fünfzehn Jahre Meister. Nur Borussia Dortmund hat es außerdem in diesem Zeitraum mehr als einmal geschafft. Diese Konzentration des Erfolgs im Profifußball auf wenige Mannschaften ist in Europa weit verbreitet. In der ersten französischen Fußball-Liga sind die vergangenen fünfzehn Meisterschaften von nur sechs Teams gewonnen worden: siebenmal hintereinander von Olympique Lyon, seit 2013 viermal von Paris St. Germain. In Spanien waren es im selben Zeitraum sogar nur vier Vereine: viermal Real Madrid, achtmal der FC Barcelona. In der englischen Premier League gab es etwas mehr Abwechslung: einmal Leicester, zweimal Arsenal und zweimal Manchester City, viermal Chelsea, sechsmal Manchester United.
Wäre Fußball ein Wirtschaftsgut wie jedes andere, gäbe es zu ständig überlegenen Teams nicht viel zu sagen. Solange nach den Regeln gespielt wird, hat es nichts Fragwürdiges, wenn Erfolg Erfolg hervorbringt. Doch Sport lebt nicht nur vom Leistungsvergleich, sondern auch davon, dass sein Ergebnis nicht vorhersehbar ist. In der Entstehungsphase des modernen Sports hat das die Nähe des Sports zum Wetten begründet. Teams wurden beispielsweise im Cricket eigens gebildet, um Wetten auf sie zu erlauben.
Wenn hingegen praktisch feststeht, wie es ausgeht, kann das einzelne Spiel noch so gut sein, es verliert an Interesse. Genau darum hatte man einst begonnen, den Sport in Ligen zu organisieren: damit leistungsähnliche Wettbewerber aufeinandertreffen und der Ausgang relativ offen ist. Ökonomisch formuliert: Während auf einem normalen Markt gerade ein Monopol hohe Profite macht, würde im Sport eine echte Monopolsituation alle Profite verschwinden lassen. In seinem klassischen Text zur Ökonomie des Sports hat Walter Neale das vor mehr als fünfzig Jahren als “Louis-Schmeling-Paradox” bezeichnet: Die Kontrahenten haben nichts davon, wenn sie die einzigen Anbieter sind, sie brauchen einander. Denn der Wettbewerb ist hier selbst das Gut und nicht nur ein Verfahren seiner effizienten Herstellung.
Die Ökonomen Roman Sittl und Arne Jonas Warnke haben jetzt untersucht, wie es um die Wettbewerbschancen in der Fußball-Bundesliga steht. Ihr Kriterium für die “wettbewerbliche Balance” einer Liga ist dabei, wie gleichmäßig und stabil sich die Spielerqualitäten über die Mannschaften verteilen. Der einzelne Verein strebt danach, die Leistungsfähigkeit seiner Mannschaft zu verbessern. Aber dadurch schwächt er logischerweise die anderer Teams und darum eventuell auch die Qualität der Liga, wenn nämlich Ergebnisse vorhersehbar werden.
Der Zeitraum von 1998 bis 2016, den die Mannheimer Ökonomen sich angeschaut haben, ist einerseits durch ein stetiges Wachstum der Kosten für Spieler bestimmt. Andererseits hat der finanzielle Abstand zwischen erster und zweiter Liga ständig zugenommen. Gaben die Erstligisten 2004 noch gut 400 Millionen Euro mehr aus als die Zweitligisten, waren es 2015 schon 826 Millionen Euro mehr. In derselben Periode ist der Anteil der Spiele, die von den besten vier Teams der jeweiligen Saison gewonnen wurden, immer größer geworden. 1998 gewannen sie knapp die Hälfte aller Spiele, 2016 waren es fast zwei Drittel. In der Zweiten Bundesliga existiert kein solcher Trend.
Die Spielerqualität bestimmten die Ökonomen, indem sie die Ergebnisse – die Tordifferenz – von Bundesliga- und Pokalspielen den an ihnen beteiligten Athleten je nach der Länge ihres jeweiligen Einsatzes zurechneten. Wurde Philip Lahm im Spiel der Bayern gegen Augsburg 2015 in der 14. Minute beim Stand von 0:0 ausgewechselt, wurde ihm für dieses Spiel der Wert 0 zugeordnet, gewichtet mit 0,15; Lewandowski hingegen, der erst in der 74. Minute vom Platz ging, als es schon 0:1 für Augsburg stand, erhielt den Wert -1, gewichtet mit 0,81.
Einige Vereine konnten im Zeitablauf ihre durchschnittliche Spielerqualität erhöhen. Für Bayern München gilt das ebenso wie für Dortmund, Schalke, Mönchengladbach – und bemerkenswerterweise auch für Eintracht Frankfurt. Die größten Einbußen an Spielerqualität im gesamten Profifußball hatte hingegen Werder Bremen vor den Spielzeiten 2008/9 und 2010/11 (Weggang von Özil, Verletzung von Naldo) hinzunehmen. Dortmund wiederum büßte zur Zeit der finanziellen Engpässe zwischen 2004 und 2009 nicht so stark an Leistungsfähigkeit ein.
Insgesamt nimmt die Konzentration starker Spieler in überlegenen Vereinen in der Ersten Bundesliga – nicht in der Zweiten – immer stärker zu. Die Qualitätszuwächse der Bayern sind dabei die größten aller Mannschaften. Sie beruhen allerdings der Studie zufolge weniger auf dem “Wegkaufen” der Spieler von direkten Konkurrenten (Ballack, Lucio, Klose, Pizarro, Lewandowski) als vielmehr auf unterschiedlich guter Jugendarbeit und darauf, dass Topspieler heute die Bundesliga seltener in Richtung Ausland verlassen als früher. Die Zahlungen aus den Spielen der Champions League erlauben überdies denen, die sich dafür qualifizieren, starke Zukäufe. Nicht die Transfers innerhalb der Bundesliga, sondern solche Zukäufe aus dem Ausland und das Bleiben starker Spieler in ihren Vereinen tragen am meisten zur steigenden Ungleichheit zwischen den Mannschaften bei.
Ist diese zunehmende Ungleichheit ein Ärgernis oder gar dysfunktional, wenn die Attraktivität der Liga auch davon abhängt, dass die Meisterschaft offen ist? Sieht man von der Einführung der Relegationsspiele ab, gab es zwischen 1998 und 2016 keine Änderungen von Wettbewerbsregeln im deutschen Profifußball. Sind angesichts der Bayern-Dominanz veränderte Transferregeln oder eine Umverteilung von Fernsehgeldern von oben nach unten überfällig?
Die Ökonomen sind skeptisch. Das Zuschauerinteresse hat nämlich im Zeitraum steigender Ungleichheit zwischen den Vereinen und vier aufeinanderfolgender Meisterschaften des FC Bayern nicht ab-, sondern zugenommen. Die Champions League, die dafür sorgt, dass national überlegene Teams einem zweiten Wettbewerb ausgesetzt werden, mag dazu beigetragen haben. Ein Zusammenhang zwischen Zuschauerzahlen und “ausbalanciertem Wettbewerb” lässt sich bislang nicht nachweisen. Die Bayern sind schließlich jedes Wochenende nur an einem von neun Spielen beteiligt. Solange die anderen acht ergebnisoffen scheinen, ist die Liga jedenfalls für Anhänger von Werder Bremen wie den Autor dieser Zeilen intakt, für die Rilkes Dichterwort nüchterne Realität anzeigt: “Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles.”
Roman Sittl, Arne Jonas Warnke: “Competitive Balance and Assortative Matching in the German Bundesliga”, Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, Discussion Paper 16-058 (2016); Walter C. Neale: “The peculiar economics of professional sports”, Quarterly Journal of Economics, Februar 1964.
Der Beitrag ist am 28. August 2016 als “Sonntagsökonom” in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erschienen.